Antisemitismus im Kulturbetrieb: Raus aus der Geisterbahn
Die antiimperialistische Linke hat ein Problem: Antisemitismus. Wie kann sie aus den Trugschlüssen finden, in die sie sich verstrickt hat?
Antisemitismus hat in Deutschland keinen Platz“, sagt die Regierung; Antisemiten sei die deutsche Staatsbürgerschaft abzuerkennen, sagt der Oppositionsführer. Im Ernst? Da könnten im ganzen Land bald viele Wohnungen frei werden. Doch wenn von der Aberkennung der Staatszugehörigkeit fabuliert wird, geht es natürlich nicht um biodeutsche Antisemiten, sondern um Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft. Und um solche, die überhaupt erst hineinwollen in eine BRD, in der Antisemitismus seit 1949 sehr wohl einen festen Platz hat.
Das weiß auch der Wirtschaftsminister. Wer den Fokus auf den „islamistischen Antisemitismus“ legt, dürfe sich nicht darüber täuschen, „dass es auch einen in Deutschland verfestigten Antisemitismus gebe“, so Robert Habeck. Sorgen mache ihm „aber auch der Antisemitismus in Teilen der politischen Linken“.
Verteufelt werden dort die Selbsterhaltungsmaßnahmen des Staates Israel, der gegen Kräfte angeht, die für seine Eliminierung kämpfen und dabei foltern und morden. Nach dem Pogrom vom 7. Oktober, schrieb der Philosoph Philip Hogh im Neuen Deutschland, sei „ein erschreckendes Ausmaß an klammheimlicher und offener Freude über die zum ‚palästinensischen Befreiungskampf‘ euphemisierten Morde der Hamas ans Tageslicht“ gekommen. Es sei „erneut offensichtlich geworden, dass es innerhalb vieler sozialer Bewegungen ein Antisemitismusproblem gibt, das sich bis an die Universitäten fortsetzt“.
lehrt Designtheorie an der Technischen Hochschule in Würzburg und Philosophie an der Universität Kassel.
Im akademischen Betrieb und in den Kulturinstitutionen ist eine Verurteilung des Terrorangriffs auf die israelische Bevölkerung nicht konsens-, ja oft noch nicht einmal mehrheitsfähig. Die Kälte derer, die im März 2022 ohne Wenn und Aber die Ukraineflagge aufpflanzten, sich nun aber – angesichts eines Pogroms gegen Jüdinnen und Juden, wie es die Welt seit Jahrzehnten nicht gesehen hat – lieber heraushalten und ausdrückliche Solidarisierungen mit den Opfern verweigerten, ist mindestens irritierend. Und die sogenannte antiimperialistische Linke toppt das noch: durch lautstarke Solidarisierungen mit jenen Tätern, die das als Apartheitstaat diffamierte Israel vernichten wollen.
Antisemitismus ist der Sozialismus der dummen Kerls, bemerkte im 19. Jahrhundert ein österreichischer Sozialdemokrat: die ressentimentgeladene Simplifikation eines abstrakten Vergesellschaftungs- und Ausbeutungsverhältnisses. Man biologisiert gleichsam den Industriekapitalismus und fantasiert „die Juden“ als seine Personifikation.
Ist linker „Antiimperialismus“, der Israel für einen kriegsverbrecherischen Kolonisator im Dienst des Weltkapitals hält, heute die Kapitalismuskritik der dummschlauen Kerle (m/w/d)? Um das zu analysieren, hat sich die Rede vom „israelbezogenen Antisemitismus“ durchgesetzt. Sowohl der antizionistische Furor als auch die kalte Indifferenz gegen jüdische Opfer sollten Anlass geben, über Aussteigerprogramme aus dieser Geisterbahn nachzudenken.
Befreiungskampf ist in Wahrheit Unterdrückungsfantasie
Grundlage könnte folgende Einsicht sein: Wer sich die Vernichtung des Staates Israel zum Lebenszweck macht, will niemanden von staatlicher Herrschaft befreien. Er will „die eigenen Leute“ einem – teils imaginären, teils realen – autoritären Staat unterwerfen. Was Hamas und Hisbollah als Befreiungskampf verkaufen, ist in Wahrheit Unterdrückung im Namen größenwahnsinniger religiöser Fantasien, namentlich Gottesstaat, Kalifat. Das seit Jahrzehnten andauernde Leiden der Palästinenser*innen ist ihre Verhandlungsmasse im Kampf um die Herrschaft.
Indem sie die Verteidigungsschläge der israelischen Armee heraufbeschwört, nimmt Hamas nicht nur israelische Juden als Geiseln, sondern auch die Bevölkerung des Gazastreifens. Hat die antiimperialistische Linke einen blinden Fleck auf dem rechten Auge? Die Unterwerfung der Besitzlosen unter aufrührerische Anführer dient der Etablierung neuer, tendenziell faschistischer Klassenherrschaft.
Ein nächster Ausstiegsschritt wäre: sich darüber klar werden, dass der Judenhass im Nahen Osten nicht das Ergebnis, nicht die „Folge der Gründung Israels“ und des Nahostkonflikts ist, sondern „eine der zentralen Ursachen dieses Konflikts“, wie Stephan Grigat schreibt. Linke sollten sich vom Mythos verabschieden, „die Juden“ hätten Ende der 1940er Jahre „die Palästinenser“ aus ihrer Heimat vertrieben.
Achtung bei Delegtimierung und Doppelstandards
Die NS-nahe Muslimbruderschaft mobilisierte nach 1945 die Massen im arabischen Raum. Sie bereitete die militärische Invasion von 1948 vor, die „zur Flucht und Vertreibung von Hunderttausenden Arabern aus Palästina“ führte; die Invasion löschte nicht, wie vorgesehen, „den Teilstaat der Juden“ aus, „sondern das arabische Palästina“, wie Matthias Küntzel dargelegt hat. Solange das nicht verstanden wird, hört das wütende Anrennen „gegen den kollektiven Juden Israel“ (Grigat) nicht auf.
Der letzte Schritt könnte im Nachdenken über ideologische Kreuzungen von Postkolonialismus und Judenhass bestehen. Dort herrscht teils die Ansicht, dass israelische Juden sich als Opfer der Weltgeschichte stilisierten. Wenn aber „palästinensisch-arabische Gewalt und Judenfeindschaft de-realisiert“ wird, wenn „Israel als rassistische Entität mit Analogien zum Nationalsozialismus dämonisiert und delegitimiert wird und doppelte Standards in der Analyse des israelisch-arabischen Konflikts angelegt werden“ – dann sind, so Ingo Elbe, „meist alle Kriterien des israelbezogenen Antisemitismus erfüllt“.
Der Historiker Moshe Zuckermann meinte kürzlich in der Berliner Zeitung, israelbezogener Antisemitismus sei primär ein Slogan, um Israelkritik zu verhindern, nicht um Antisemitismus zu bekämpfen. Dem ist zu entgegnen: abusus non tollit usum. Primär handelt es sich dabei um eine ideologiekritische Kategorie. Sie ist notwendig – und, wie andere auch, nicht automatisch immun gegen Missbrauch.
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