Antisemitismus im Fußball: Arenen der Affektentladung
Antisemitismus ist im deutschen Fußball nach wie vor virulent – auch in linken Milieus. Im Unterschied zu früher hat er nur einen anderen Sound.
Das Wort Auschwitz fällt nur einmal in diesem Buch. Das wäre vor 20 Jahren anders gewesen. Da wurde in deutschen Stadien noch straflos das Lied von der „U-Bahn von Jerusalem bis nach Auschwitz“ gesungen, von rechten Hooligans lauter, leiser von sogenannten Normalos.
Mittlerweile haben sich die Machtverhältnisse verändert. Linke, antirassistische und anti-antisemitische Ultras haben als Stadion-Antifa zu einem Wandel beigetragen, zur Verschiebung der Codes des Sagbaren, des Normalen. Der Antisemitismus ist damit nicht verschwunden, er hat einen anderen Sound. „Die einen hassen Juden, weil sie angeblich hinter allem und jedem stecken, die anderen, weil sie Juden für minderwertig erachten“, schreibt Daniel Botman in „Strafraum“. „Wieder andere haben angeblich nichts gegen Juden, aber was ‚die mit den Palästinensern machen, ist mindestens so schlimm wie Auschwitz‘.“
Diese Sicht teilen Antiimperialist:innen alter Schule, aber auch Leute, welche die Grünen wählen oder die Linke oder die taz lesen. Also widmet sich das Buch dem israelbezogenen Antisemitismus, der umstandslos den Staat Israel mit „den Juden“ gleichsetzt und im Land der Täter:innen salonfähiger ist als das U-Bahn-Lied. Dennoch bleiben Stadien wie potenziell viele Orte, an denen Menschenmassen zusammenkommen, „Arenen antisemitischer Affektentladung“. Das sagt Samuel Salzborn und zitiert Adornos Diktum, nach dem Antisemitismus sich aus „Gerüchten über Juden“ speist.
Je weniger Jüdinnen und Juden du kennst, desto fruchtbarer der Boden für Gerüchte und Verschwörungsmythen: der reiche Jude, der mächtige, der gerissene Strippenzieher … Noch mal Salzborn: „Das kollektive Identifikationsangebot Fußball stellt damit eine kulturelle Gelegenheitsstruktur dar, die diese ‚Gerüchte‘ kanalisiert, homogenisiert und radikalisiert“, einen Ort, „an dem das kognitive Weltbild des Antisemitismus weitgehend ohne Sanktionsgefährdung emotional-destruktiv ausagiert werden kann“.
„Antisemitismus ohne Juden“
Affektentladung – das heißt, dass Antisemitismus auch dort auftritt, wo er „nicht intendiert ist“, so formuliert es Pavel Brunssen in seinem Text „Antisemitismus ohne Juden“. Dieser kommt verschwiemelt daher, codiert, unbewusst, mit Redensarten: Ich bin ja kein Antisemit, aber …Oder er verkleidet sich als Witz wie beim jungen Aiwanger. Mehr dazu schreibt Klaus Theweleit in „Das Lachen der Täter“.
Varianten des nichtintentionalen Antisemitismus sind auch in linken Fußballmileus verbreitet oder in solchen, die sich für links halten. Mit wertkonservativen Fußballromantikern können sich traditionslinke Fans auf ihren Lieblingsfeind einigen: RB Leipzig, binnen weniger Jahre hochgezogen vom Limonadenmilliardär Dietrich Mateschitz (1944–2022).
Das Kürzel RB steht für Rasenball, aber alle wissen, worum es wirklich geht: um das Unternehmen Red Bull. Im dichotomischen Weltbild der RB-Hater gilt das „Konstrukt“ als Sündenbock für alles, was schiefläuft im modernen Fußball. Mit einer verkürzten, personalisierten Kapitalismuskritik wird das Feindbild vom künstlichen Retortenklub gepflegt. Verklärt wird dagegen der gute alte, unverfälschte Elf-Freunde-sollt-ihr-sein-Fußball, gerne orchestriert mit Currywurst-und-Malocherschweiß-Folklore.
Brunssen diagnostiziert eine „antisemitische Ressentimentkommunikation gegen RB Leipzig, den Fußballverein, der als ‚Rattenball‘ diffamiert und mit Globalisierung, Moderne und Inauthentizität assoziiert wird“. Dem verstorbenen RB-Gründer Mateschitz fällt dabei die Rolle des skrupellos profitgierigen „Globalisten“ zu, die in der Propaganda der Neuen Rechten meist der in Budapest als György Schwartz geborene Jude George Soros innehat.
Heftige Debatte bei St. Pauli
Den Vorwurf des Antisemitismus dürften die meisten RB-Hasser ebenso empört von sich weisen wie Fans des FC St. Pauli, die sich für die Rechte von Palästinenser:innen einsetzen. Florian Schubert berichtet von einer Twitter-Initiative mehrerer Pauli-Profis zum Nahostkonflikt. „Einer von ihnen, der Spieler Omar Marmoush, verbreitete damals eine das Existenzrecht Israels negierende Landkarte, auf der der Staat Israel komplett durch eine Kufiya verdeckt war“, ein in der Regel von Männern getragenes Kopftuch.
In Fankreisen des FC St. Pauli sorgt die Aktion für heftige Debatten, spiegelt sich hier doch die Spaltung der Linken in Deutschland über die Frage Israel versus Palästina. Der ägyptische Nationalspieler Omar Marmoush spielt mittlerweile bei Eintracht Frankfurt, neben dem FC Bayern einer der Klubs, die sich intensiv mit ihrer jüdischen Geschichte beschäftigen.
Oder beschäftigen müssen, auf Druck von Ultras und von Leuten wie Matthias Thoma. Der Leiter des Eintracht-Museums rekapituliert in seinem Buch „Wir sind die Juddebube“ die Rolle des Vereins zwischen 1933 und 1945. Damals galt die Eintracht als „Juddeclub“.
Bleiben wir in Frankfurt, gehen sieben Klassen runter und ein paar Jahre zurück. „Hört endlich auf, euch dauernd zu beschweren!“ Mein Zuruf gilt gegnerischen Spielern, die ständig beim Schiedsrichter reklamieren. Dabei ist doch klar, dass der es nicht besser kann. Schließlich spielt hier die 2. Mannschaft der Bezirksliga. Da muss man froh sein, wenn überhaupt einer pfeift. Ein empörter Gegenspieler brüllt mir aus nächster Nähe ins Gesicht: „Was meinst du damit: Wir beschweren uns immer?“ Ich kannte ihn, wir hatten oft gegeneinander gespielt, früher in der 1. Mannschaft, jetzt, älter geworden, in der 2.
Gerücht vom reichen Judenklub
Warum regt er sich so auf? Es spielt der SC Weiß-Blau gegen den TuS Makkabi, solide Vereine im Frankfurter Amateurfußball. Der bekannteste Makkabi-Spieler war Friedel Lutz. Der Abwehrstar der Frankfurter Eintracht ließ in den 70ern seine Karriere als Spielertrainer beim Bezirksligisten ausklingen. Da war es wieder, das Gerücht vom reichen Judenklub, der sich einen deutschen Nationalspieler kaufen kann.
Weiß-Blau gegen Makkabi, das heißt immer auch: Deutsche gegen Juden. Da spielt es keine Rolle, dass bei Makkabi mehr Spieler einen deutschen Pass haben als bei Weiß-Blau. Wenn schon die Frankfurter Oberbürgermeisterin den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden öffentlich fragt, wann er das letzte Mal „in seiner Heimat“ gewesen sei! Petra Roth meinte Israel, Ignatz Bubis lebte jahrzehntelang in Frankfurt.
Ich kann meinem Gegenspieler nicht begreiflich machen, dass mir seine ewigen Reklamationen beim Schiedsrichter auf die Nerven gehen, nicht die ewigen Reklamationen der Juden bei den Deutschen. Das war in den 90ern.
Auch mein erstes Spiel gegen Makkabi ist mir im Gedächtnis geblieben. Der jüdische Klub kam als designierter Meister, wir standen als Absteiger fest. Im Tor von Makkabi steht Henry Müller, begnadeter Torwart, aber faul und unberechenbar, so sein Ruf. Vornamen und dunkle Haut verdankt das „Besatzungskind“ seinem Vater, einem GI, den Nachnamen seiner Mutter, einer „Amihure“, so der Müller-Gerüchtemythos. Fußballer mit dunkler Haut sind in den 70ern noch eine Sensation, „schwarze Perlen“ kann sich nur ein reicher Verein wie Makkabi leisten, sagt das Gerücht.
Weniger soziale Kontrolle
Henry steht tatenlos im Makkabi-Tor, sein Team führt 6:0, als sein Verteidiger Ethan eine lustige Idee hat. Er wird an der Mittellinie angespielt, dreht ab und rennt mit Ball mutterseelenallein aufs eigene Tor zu. Aus 18 Metern schießt er Richtung Winkel, Henry fliegt und lenkt den Ball zur Ecke. Große Heiterkeit unter den Makkabi-Spielern, manche liegen auf dem Rasen vor Lachen. Der Schiedsrichter ist zu blöd oder zu feige, um Ethans Aktion regelgerecht als unsportliches Verhalten zu ahnden. Meine Mitspieler sind empört. Als wären wir nicht schon genug vorgeführt worden. Von Juden.
Ethan wird bedroht. Von Öfen, Rauch und vom Vergasen ist die Rede. Und von Scheißjuden. Oder, milder: Wir haben ja nichts gegen Juden, aber so arrogant müsst ihr uns nicht verarschen. Ich halte den Mund. Wofür ich mich heute noch schäme.
Lange her, aber gerade in den unteren Amateurklassen bleiben die Sportplätze Arenen der Affektentladung, zumal bei sogenannten Länderspielen, wenn der FC Croatia gegen einen serbischen Verein antritt oder ein muslimisch geprägter Klub gegen den TuS Makkabi. Hier können sich Affekte leichter entladen, es gibt weniger soziale Kontrolle, keine TV-Kameras, keine konfliktgeschulten Schiedsrichtergespanne mit interkulturellem Know-how.
In der achten Spielklasse pfeift ein Schiri ohne Assistent:innen achtklassige Fußballer und tut das notabene achtklassig. Dafür gibt’s mickrige Spesen, Bratwurst, Bier und Beleidigungen. Davon erzählt Alex Feuerherdt, kürzlich vom Sky-Experten befördert zum Sprecher der DFB Schiri GmbH, in diesem Buch, das den unsichtbaren Antisemitismus im Fußball sichtbarer macht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen