Antisemitismus-Streit in Berliner Linke: Kompromiss unmöglich?
Zwei prominenten Austritten aus der Berliner Linken könnten weitere folgen. Der Streit über Antisemitismus droht die Partei zu zerlegen.
Hintergrund der Auseinandersetzungen ist die Positionierung zum Thema Antisemitismus, auch innerhalb der Partei, die am Freitag vor einer Woche zum Eklat auf dem Landesparteitag geführt hatte. Etwa zwei Dutzend Delegierte rund um den Ex-Kultursenator Klaus Lederer hatten die Veranstaltung im Streit verlassen. Auf der nun anberaumten Sitzung des Landesvorstands soll es, wie der Co-Landesvorsitzende Maximilian Schirmer der taz sagte, um eine „Auswertung des Landesparteitages“ gehen; eine abschließende Klärung sei dabei nicht zu erwarten, stattdessen der „Auftakt für eine umfassende Diskussion“.
Auf dem Tisch liegt der Vorschlag für einen Kompromiss der verschiedenen Parteitagsanträge zum Nahost- und Antisemitismus-Komplex, der der taz vorliegt. Darin enthalten ist ein Bekenntnis „gegen jede Form des Antisemitismus – unabhängig davon, von welcher politischen und weltanschaulichen Richtung er ausgeht“. Doch während aus elf Bezirken Zustimmung signalisiert wurde, will man sich in Pankow, dem Kreisverband von Lederer und vielen seiner Verbündeten, wohl nicht darauf einlassen. Befürchtet wird eine Relativierung ihrer Antisemitismus-Problembeschreibung.
Groß ist die Aufregung in jenem Lager auch über einen an den Tagesspiegel durchgestochenen Resolutionsentwurf: Darin zeigt sich der Landesvorstand „bestürzt über den Ausgang und die Außenwirkung“ des Parteitagsabgangs. Im Gespräch sagt Schirmer derweil, es gehe „darum, alle an einen Tisch zu bringen“ und „nicht sich gegenseitig Vorwürfe zu machen“. Die Bereitschaft im Realo-Flügel, sich für das Verlassen des Parteitages kritisieren zu lassen, ist dem Vernehmen nach gering, wie die taz im Hintergrund erfuhr.
Streit um Neukölln Linke
Auf wenig Verständnis stößt zudem die Formulierung in dem Resolutionsentwurf, sich schützend vor diejenigen zu stellen, „die öffentlich diffamiert werden“. Gemeint sind vor allem Mitglieder des Kreisverbandes Neukölln, die sich einer propalästinensischen Positionierung verschrieben haben und auch für eine Zusammenarbeit mit Gruppen wie „Palästina spricht“ eintreten. Deren Sprecher, Ramsis Kilani, ist ebenfalls Parteimitglied in Neukölln.
Für ihren Kurs stehen die Neuköllner derzeit massiv in der Kritik. So hatte die Integrationsbeauftragte des Bezirks, Güner Balci, kürzlich gesagt, einige „der schlimmsten Antisemiten“ säßen in der Bezirksverordnetenversammlung. Die Bezirks-CDU fordert sogar die Überwachung der Neuköllner Linken durch den Verfassungsschutz.
Prominente Linken-Mitglieder aus Neukölln, etwa der kurdisch-stämmige Abgeordnete Ferat Kocak, weisen Antisemitismusvorwürfe von sich und sprechen von einer Kampagne. Auch der Landesvorstand stellt sich gegen die pauschalen Frontalangriffe, verweist stattdessen auf die „klare Beschlusslage gegen jeden Antisemitismus“, wie Schirmer sagt. Gleichzeitig kündigt der Co-Landesvorsitzende allerdings auch an: „Dort, wo diese infrage gestellt wird, werden wir genauer hingucken und Konsequenzen beraten.“ Übersetzt dürfte das heißen: Im Härtefall wird die Partei nicht vor Parteiausschlussverfahren zurückschrecken.
Beschlüsse gegen Antisemitismus
Die Linke hat sich wiederholt gegen Antisemitismus positioniert, etwa beim Parteitag 2023 kurz nach dem Attentat der Hamas. Auch vor einer Woche gab es Zustimmung für einen Antrag, der sich von „Judenhass“ und Angriffen auf „Jüd*innen und auf jüdische Einrichtungen“ distanzierte. Dagegen hatten zahlreiche Änderungswünsche an einen dreiseitigen Antrag des Lederer-Lagers über Antisemitismus zum Eklat geführt. Gestört hatte sich die Parteitagsmehrheit etwa an der Bezeichnung des Hamas-Terrors als „eliminatorischem Antisemitismus“ sowie der Forderung, jüdische Menschen „unter Einsatz rechtsstaatlicher Mittel zu schützen“.
Für Udo Wolf war mit jener Debatte die „persönliche Schmerzgrenze überschritten“. In seinem Austrittsschreiben heißt es: „Die Täter-Opfer-Umkehr, die Behauptung, der Vorwurf eines „eliminatorischen Antisemitismus“ an die Hamas sei eine „Relativierung der Shoah“ sind perfide und widerlich“. Zudem schreibt er: „Der Umstand, dass die Landesspitze dem nicht in aller Schärfe entgegentrat und das nachträglich herunterspielt, ist nicht minder unerträglich.“
Pankows ehemaliger Bezirksbürgermeister Sören Benn dagegen arbeitet sich in seiner Austrittsbegründung vor allem an der Bundespartei ab. Diese „mutiert zu den Zeugen Jehovas der Politik“, schreibt er. An anderer Stelle ist er zurückhaltender, weist darauf hin, „dass bei der Frage, was Antisemitismus sei, niemand Recht und Autorität für sich beanspruchen kann“, betont aber dennoch: „Und dass Linke meinen, bei sich selbst Antisemitismus ausschließen zu können, ist absurd.“ Maximilian Schirmer nennt die beiden Austritte „traurige Nachrichten“ mit denen man sich „eingehend beschäftigen“ werde.
Bundespartei als Vorbild?
Dass die Partei die große Spaltungsfrage der Linken auch produktiv und kompromissbereit bearbeiten kann, zeigte dagegen der Bundesparteitag der Linken am Wochenende in Halle (Saale). Statt des erwarteten großen Clashs wurde sich mit übergroßer Mehrheit auf einen Kompromiss geeinigt, mitverhandelt von Ferat Kocak.
Darin ist die Rede von der „Gefahr genozidaler Handlungen in Gaza“, wie sie der Internationale Gerichtshof formuliert, ebenso wie vom Antisemitismus, „der den mörderischen Terror von Hamas oder Hisbollah antreibt“. Zusammenfassend heißt es: „Wer den Terror der Hamas relativiert, kann für uns ebenso wenig Bündnispartner*in sein wie diejenigen, die rassistische, antimuslimische oder antipalästinensische Angriffe und Propaganda gutheißen oder betreiben.“
Doch dass dieser Kompromiss die verfeindeten Lager zusammenführt, scheint vor dem Dienstag unwahrscheinlich. Möglich jedoch wäre es. Denn auch Klaus Lederer hat den Kompromiss in Halle mitgetragen.
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