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Antisemitismus-NGO Rias über Vorwürfe„Unsere Ergebnisse sollen abgewertet werden“

Ein Bericht der Diaspora Alliance kritisiert die Arbeit der Antisemitismusmeldestelle Rias. Ein Sprecher weist die Vorwürfe als „bizarr“ zurück.

Was zählt zum Antisemitismus? Aufkleber in Eisenach Foto: Müller-Stauffenberg/imago
Nicholas Potter
Interview von Nicholas Potter

taz: Herr Poensgen, ein Bericht der Diaspora Alliance, verfasst von dem israelischen Journalisten Itay Mashiach, kritisiert, Rias blase die Zahl antisemitischer Vorfälle in Deutschland künstlich auf, überdramatisiere viele Fälle. Ist da nicht was dran, wenn etwa eine Rede im Magdeburger Landtag aus dem Jahr 2020 mitgezählt wird, in der Moshe Zimmermann anmahnt, „Nie wieder“ gelte auch für Israelis?

Daniel Poensgen: Erst mal ist festzuhalten, dass der Bericht ganz wesentlich auf fundamentalen Auslassungen basiert. Er berücksichtigt zahlreiche Rias-Publikationen nicht – nämlich immer dann, wenn sie die Argumentation des Autors explizit widerlegen. An vielen Stellen gibt er die Arbeit von Rias faktisch falsch wieder. Die Rede im Magdeburger Landtag ist ein gutes Beispiel: Auch da werden unsere Einschätzungen verzerrt wiedergegeben und dann wird falsch generalisiert.

Bild: Robert Poticha
Im Interview: Daniel Poensgen

ist wissenschaftlicher Referent beim Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus e.V., kurz RIAS. Seit 2018 dokumentiert die zivilgesellschaftliche Organisation mithilfe eines Meldeportals deutschlandweit antisemitische Vorfälle. Regionale Verbände gibt es mittlerweile in elf Bundesländern. Der Jahresbericht für 2025 erscheint am 4. Juni.

taz: Inwiefern?

Poensgen: Bei einer Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus wurde damals eben gesagt, dass die Mahnung „Nie wieder“ auch für Israelis gelte, und zwar nicht nur aus der Opferperspektive. Hier werden in einem deutschen Parlament ausschließlich Israelis als Gruppe erwähnt, die aufpassen müssen, die deutschen Verbrechen nicht zu wiederholen. Dabei haben wir den Kontext der Aussage ganz besonders gewichtet und diese Situation als Vorfall in die Statistik aufgenommen.

taz: Ist die Tatsache, dass Moshe Zimmermann selbst jüdischer Israeli ist, nicht auch wichtig für den Kontext?

Poensgen: Das berücksichtigen wir auch. Aber grundsätzlich spielt die Intention bei antisemitischen Aussagen für unsere Einschätzung keine große Rolle. Unmittelbar vor der Passage positionierte sich der Redner zudem als Historiker und allgemein als Beobachter. Wir haben es uns in diesem Fall nicht leicht gemacht, aber der Kontext der Gedenkfeier in einem deutschen Parlament wog aus unserer Sicht schwerer. Man mag in diesem Fall auch zu einer anderen Einschätzung kommen, daraus aber ein generelles Problem der Rias-Daten zu machen, das gibt auch der Bericht nicht her.

taz: Der Bericht kritisiert auch, für Rias sei es schon antisemitisch, wenn auf einer Theaterbühne eine Figur antisemitisches äußert.

Poensgen: Auch das ist faktisch falsch. Der Bericht zitiert aus sehr umfassenden Einschätzungen, die die Meldestelle aus Bayern hinsichtlich des Theaterstücks Vögel vorgenommen hat. Natürlich wird zwischen den Aussagen fiktiver Personen innerhalb eines Stückes und der gesamten Figurenkonstellation und Dramaturgie unterschieden. Das Stück, um das es hier geht, ist voller antisemitischer Tropen, die sich eben nicht nur aus einzelnen Aussagen ergeben. Das sehen auch Theaterwissenschaftler so, auch die taz kam damals zu einer ganz ähnlichen Einschätzung, als sie nämlich geschrieben hat, das Stück würde sich „simpelster antijüdischen und antiisraelischen Stereotype“ bedienen.

taz: Ein anderer Vorwurf der Diaspora Alliance lautet, Rias mache nicht transparent, um welche Fälle es überhaupt geht. Warum machen Sie die Datenbank nicht öffentlich?

Poensgen: Das Vertrauen und der Schutz von Betroffenen steht im Zentrum unserer Arbeit. Und häufig lassen sich die Vorfälle auch nicht anonymisieren. Das ist eigentlich völliger Standard bei Organisationen, die eine ähnliche Arbeit in anderen Staaten machen, ebenso in wissenschaftlichen, qualitativen Studien. Wir verifizieren jeden Vorfall ganz ausführlich, bevor wir sie in unserer Datenbank aufnehmen.

taz: Der Bericht wirft Rias vor allem vor, Antisemitismus von rechts nicht angemessen zu berücksichtigen. Nazis seien „am Rand des Monitorings“, heißt es. Ist Rias auf einem Auge blind?

Poensgen: Dieser Vorwurf ist besonders bizarr. Der Bericht kann ihn eigentlich nur erheben, weil er zahlreiche Publikationen von Rias dazu schlichtweg ignoriert. Kritisiert wird ein Bericht von Rias Thüringen. Es war der erste Jahresbericht dieser Meldestelle, der zu keiner Kategorie eine genauere Analyse vornimmt, weil gleichzeitig mit diesem Bericht eine zweite Studie von Rias Thüringen veröffentlicht wurde, in der Rechtsextremismus in unterschiedlichen Bereichen in eigenen Kapiteln ausführlich behandelt wird. Im vergangenen Jahr erschien etwa eine bundesweite Studie nur zum Antisemitismus der extremen Rechten.

taz: In Thüringen verzeichnete die Polizei 2021 64 antisemitische Straftaten, 98 Prozent wurden dem Rechtsextremismus zugeordnet. In der Rias-Zusammenfassung waren nur 37 Prozent der mutmaßlichen Täter rechtsextrem, merkt der Bericht der Diaspora Alliance kritisch an. Wie erklären Sie diesen Unterschied?

Poensgen: Diese Kritik greift auch die taz in ihrem Artikel zum Bericht auf. Dabei wird eine seit Jahren laufende Debatte um die polizeilichen Kriminalstatistiken ignoriert, die einen rechtsextremen Tathintergrund als eine Art Restekategorie verwendet haben. Wenn Straftaten keinem politischen Hintergrund zugeordnet werden konnten, wurden sie jahrelang dem rechtsextremen Spektrum zugeschrieben. Das hat Rias auch ausführlich kritisiert. Deswegen hat die Polizei diese Praxis mittlerweile auch verändert. Im Gegensatz zu dieser Praxis ist die Vorgehensweise von Rias genau und präzise.

taz: Auch das rechtspopulistische Portal Nius wirft Rias vor, ein „verzerrtes Bild von Judenhass“ zu zeichnen, jedoch weil Rias den Eindruck vermittele, der Antisemitismus komme vor allem von rechts, statt von Linken und Islamisten.

Poensgen: Das ist ein guter Beleg dafür, dass in der Debatte um Antisemitismus in Deutschland er immer nur dann kritisiert wird, wenn er nicht aus den eigenen Reihen kommt. Aber Antisemitismus ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Für uns ist es wichtig, ihn in all seinen Formen umfassend darzustellen und dabei die Perspektive von denjenigen zu stärken, die von Antisemitismus unmittelbar betroffen sind – eben Jüdinnen und Juden. Und das passt nicht allen.

taz: Der Bericht der Diaspora Alliance bezieht sich auf die Zeit von 2015 bis September 2023. Er wurde nach dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober zurückgehalten, heißt es. Jetzt erscheint er mehr als anderthalb Jahre später – kurz vor der Veröffentlichung des neuen Rias-Jahresberichts.

Poensgen: Es geht nach meiner Einschätzung gar nicht darum, fundierte Kritik an unserem Bericht oder eine konstruktive Kritik an unserer Arbeit zu leisten. Es soll einfach der Eindruck hängenbleiben, die Arbeitsweise von Rias sei umstritten, und so sollen unsere Ergebnisse insgesamt abgewertet werden.

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17 Kommentare

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  • Das Interview fasst meiner Meinung nach die Probleme der deutschen Debatte ganz gut zusammen. Da unterhalten sich



    ein Herr Poensgen und ein Herr Potter darüber, dass der Herr Zimmermann Antisemit sei und Herr Mashiach ja keine Ahnung habe was die richtige, deutsche Definition davon wäre. Anmaßend und ziemlich egozentriert könnte man meinen, diente das Ganze un der öffentlichen Debatte nicht vorrangig dazu eine rechtsextreme, verbrecherische Regierung vor Kritik an ihren genozidalen Aussagen und Handlungen abzuschirmen. Da bekannt ist, wer die Opfer dieses Hasses sind kann ich nicht anders, als hinter dieser Haltung ein ordentliches Maß an Islamophobie und Rassismus zu vermuten. Die Sorge um, oder gar den Kampf gegen Antisemitismus kann ich hinter dieser Verharmlosung echter Antisemiten und Rassisten, indem man etwa einen Moshe Zimmermann mit diesen in einen Sack schmeißt, beim besten Willen nicht erkennen.

  • Es kann nicht funktionieren, wenn Israelis versuchen, einen Diskurs zu israelischer Politik in Deutschland zu führen.

    In der Natur der Sache liegt es, dass in beiden Gesellschaften die Grenzen des Sagbaren verschieden sind.

    Hier findet man ein anderes Publikum, andere Diskurse.

    In Israel ist manches sagbar, was in Deutschland tabuisiert ist und als Holocaustverharmlosung interpretiert werden würde.

    Das ist nun mal Diversität.

    Dass jemandem wie Moshe Zimmermann das nicht bewusst ist, überrascht mich.

    Ein Journalist sollte das aber eigentlich auch wissen.

    • @rero:

      Kann sein, dass hier Dinge tabuisiert sind, die in Israel nicht tabuisiert sind. Nichtsdestotrotz sollte eine seriöse Erfassung von Antisemitismus-Fällen keine Fälle berücksichtigen, in denen Jüdinnen und Juden selbst – etwa als angeblich "selbsthassende Juden" – als Täter dargestellt werden.

      • @FEB:

        Das sind in den seltensten Fällen selbsthassende Juden.



        Allerdings können sich natürlich auch Juden antisemitisch bzw. antijüdisch äußern. So wie sich Muslime antimuslimisch, Christen antichristlich und Deutsche antideutsch äußern können.

  • Ich verstehe immer noch nicht, wie die Aussagen von Moshe Zimmermann als antisemitisch gewertet werden können.

  • Auffällig ist, wie RIAS auf Kritik reagiert: Statt die inhaltlichen Punkte des Berichts der Diaspora Alliance ernsthaft zu prüfen, wird vor allem versucht, die Autor:innen zu diskreditieren und ihre Motive infrage zu stellen. Wer pauschal unterstellt, es ginge nur darum, „den Eindruck einer umstrittenen Arbeitsweise zu erwecken“, betreibt genau das, was man der Gegenseite vorwirft: Delegitimierung statt Argumentation. Gerade eine Organisation, die für Aufklärung stehen will, sollte Kritik nicht reflexhaft abwehren.

  • Intransparente Einstufungen werden nicht dadurch abgewertet, dass man diese als intransparent bezeichnet.

    Transparenz kann auch durch Öffnung der Datenbank für unabhängige wissenschaftliche Prüfer hergestellt werden

  • "Wenn Straftaten keinem politischen Hintergrund zugeordnet werden konnten, wurden sie jahrelang dem rechtsextremen Spektrum zugeschrieben." Das halte ich mal für Blödsinn. Eher das Gegenteil ist der Fall.

    • @Andreas J:

      Das ist etwas, was die Polizei selbst erklärt.

      Da müssten Sie schon besser argumentieren als " Das halte ich mal für Blödsinn."

      Bei einem gefühlten "Eher das Gegenteil ist der Fall." erst recht.

      • @rero:

        Es gibt genug Beispiele rechter Taten bei denen ein rechter Hintergrund von der Polizei erstmal ausgeschlossen wurde. Dönermorde, Brandanschläge wie in Solingen u.s.w.



        Offensichtlich ist das eine Schutzbehauptung der Polizei. Das die Polizei auf dem rechten Auge zur Blindheit neigt sollte langsam zu jedem durchgedrungen sein.

        • @Andreas J:

          Das antisemitischen Straftaten Standardmäßig als Rechts eingestuft wurden, ohne das zu hinterfragen, ist bereits seit Jahren bekannt und Teil einer Debatte- das die Polizei bei rassistischen Straftaten häufig anders agiert, muss da kein Widerspruch sein.

  • Okay, einverstanden … sehen wir Antisemitismus also als gesamtgesellschaftliches Phänomen.



    Mich hätte dann allerdings auch interessiert, ob und inwieweit Herr Poensgen einen Zusammenhang zwischen den Phänomenen Antisemitismus und Extremismus der Mitte sieht - das berührt z.B. den Fall Aiwanger (!) - und Judenfeindlichkeit insofern nicht ausschließlich als Problem der politischen Ränder identifiziert.



    Aber gut, hier geht es ja um die Erfassung konkreter antisemitischer Straftaten - das ist das Geschäft von RIAS - und nicht um ein politikwissenschaftliches oder soziologisches Seminar zum Thema.



    Vielleicht gibt es zum latenten Antisemitismus der politischen Mitte doch bald mal eine Studie - auch wenn von dort aus sicherlich weniger justitiable Straftaten ausgehen als vom islamistischen, linken oder rechten Rand.



    Schließlich geht es immer auch um den „Boden“, auf dem Hass, Hetze und Gewalt gedeihen. Dann wird sich die AfD mit Ihrer vermeintlich „pro-israelischen“ Ausrichtung auch nicht mehr so leicht aus der Affäre ziehen können (und die bayerischen FW auch nicht).

    • @Abdurchdiemitte:

      'Aber gut, hier geht es ja um die Erfassung konkreter antisemitischer Straftaten - das ist das Geschäft von RIAS...'

      Nein, darum geht es nicht Weder ist die Erfassung konkret, noch muss es sich notwendigerweise um Straftaten handeln:

      RIAS 'verfolgt das Ziel, mit Hilfe des Meldeportals www.report-antisemitism.de bundesweit eine einheitliche zivilgesellschaftliche Erfassung und Dokumentation antisemitischer Vorfälle zu gewährleisten.' (www.report-antisem...ndesverband-rias/)

      Es geht also um die Erfassung und Kategorisierung als antisemitisch wahrgenommener Vorfälle (nicht: Straftaten), die von jedermann/frau/* der RIAS über das Portal gemeldet werden können. Bei der Einstufung, ob antisemitisch oder nicht, greift die RIAS auf die Definition der IHRA zurück.

    • @Abdurchdiemitte:

      Studien gibt es doch schon längst:

      Erhöhte Zustimmungswerte zu antisemitischen Aussagen finden sich unter Personen mit niedrigerem Bildungsabschluss, Menschen mit muslimischem Glauben oder Migrationshintergrund sowie unter AfD-Anhängern. Personen mit rechts- oder linksextremen Einstellungen zeigen häufiger antisemitische Haltungen, wobei der Effekt bei Rechtsextremen deutlich stärker ist. Verschwörungsglaube ist oft mit klassischem Antisemitismus verknüpft.



      12,3 % der Befragten stimmen zu, dass „Juden in Deutschland zu viel Einfluss haben“, 21 % der Bevölkerung stimmen laut Religionsmonitor 2023 klassischen antisemitischen Aussagen zu, 43% stimmen israelbezogenen antisemitischen Aussagen zu.

      mediendienst-integ...tisemitismus.html?

      www.kas.de/de/moni...gen-in-deutschland

      www.land.nrw/press...rbreitung-und-hohe

      www.polsoz.fu-berl...ntisemitismus.html

      • @BrendanB:

        Der Mediendienst Ntegration schreibt aber auch "Laut "Autoritarismus-Studie" der Universität Leipzig 2024 ist die Zustimmung zu antisemitischen Aussagen seit 2002 zurückgegangen, von 2022 auf 2024 hat sie jedoch wieder zugenommen." RIAS dagegen dokumentiert Anstiege von 88 bspw. für 2023.

        Die Zahlen der intransparenten Angaben von RIASund der wissenschaftlichen Untersuchungen klaffen also mächtig auseinander. Das man da bei RIAS genauer hinschauen mzss, wie die Zahlen zustande kommen halte ich für selbstverständlich.

        • @Rudolf Fissner:

          Bei dem einen geht es um repräsentative Studien zu antisemitischen Einstellungen in der Bevölkerung, in Schichten und Milieus.

          Bei dem anderen um daraus resultierende Vorfälle. Der Untersuchungsgegenstand ist nicht ganz derselbe.

          Das eine Ergebnis gegen das andere auszuspielen, um damit das Problem des Antisemitismus kleinzureden, ist Bestandteil des Problems.

          Wie man sieht

          • @BrendanB:

            Es ist en grundsätzliches Problem wenn Statistiken bzw. deren Grundlagen nicht wissenschaftlich verifiziert werden können. Das hat mit "Gegeneinander ausspielen" nichts zu tun. Schon gar nicht wird die wissenschaftliche Arbeit der Universität Leipzig dadurch disqualifiziert.