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Antisemitischer Anschlag in HalleMörderischer Judenhass

Kommentar von Klaus Hillenbrand

Die furchtbare Tat von Halle hat gezeigt, dass dem Antisemitismus der Mord innewohnt. Wir müssen ihn entschiedener bekämpfen.

Polizist in Halle: Die Täter wollten offenbar so viele Juden töten wie möglich Foto: dpa

D er furchtbare Anschlag von Halle ist eine bisher in der Bundesrepublik beispiellose Tat, egal ob sie nun von Islamisten oder von Neonazis verübt worden ist. Ausgerechnet am höchsten jüdischen Feiertag, an Jom Kippur, haben die schwer bewaffneten Täter versucht, in eine voll besetzte Synagoge einzudringen, ganz offensichtlich, um dort ein Blutbad anzurichten. Sie haben dann, als ihnen dies nicht gelang, mindestens zwei Menschen erschossen. Doch ihr eigentliches Ziel war es, möglichst viele Juden umzubringen.

Man hat sich in Deutschland an die Polizisten gewöhnt, die vor jüdischen Institutionen patrouillieren. Man erinnert in Gedenkstätten und Museen, im Bundestag und bei öffentlichen Veranstaltungen regelmäßig an den Terror unter dem Nationalsozialismus und an dessen Millionen Opfer. Aber man hat sich auch damit arrangiert, dass Antisemitismus in einem Teil unserer Gesellschaft wieder salonfähig geworden ist, dass jüdische Schüler auf Pausenhöfen gedemütigt werden und der Vorsitzende einer im Bundestag vertretenen Partei die Nazizeit zum „Vogelschiss“ erklärte.

Der Judenhass ist keine Entgleisung, sondern ihm wohnt der Mord inne

Wozu solche Handlungen und Sprüche führen können, hat sich nun in Halle gezeigt. Es ist nicht so, dass auf verbalen Antisemitismus und die Leugnung von Geschichte automatisch der Wille zur Tat folgt. Aber dieser Schritt kann erfolgen. Er zeigt, dass der Judenhass keine Entgleisung ist, über die man auch einmal hinwegsehen kann, sondern dass ihm der Mord innewohnt. Und dass deshalb die bisherigen Anstrengungen zur Bekämpfung des Antisemitismus nicht genügt haben. Das betrifft zuallererst die Sicherheits­behörden, deren Job es sein muss, dass Taten wie diese gar nicht erst zur Ausführung kommen.

Es wäre aber allzu bequem, bei der Ursachenforschung nur auf Verfassungsschutz und Polizei zu zeigen. Ebenso wichtig ist es, schon die Anfänge judenfeindlichen Denkens zu bekämpfen, sei es in der Schule oder im Betrieb. Und dieses antisemitische Denken, das sei hier ausdrücklich erwähnt, ist auch keinesfalls nur auf Neonazis und Islamisten beschränkt– und schon gar nicht ist es ein spezielles Problem, das primär Ostdeutschland beträfe. Halle ist nicht überall. Doch es hätte eben auch überall geschehen können.

Im Übrigen ist es für die bedrohten Menschen relativ vernachlässigenswert, ob die Attentäter nun von rechts außen kamen oder religiös motiviert waren. In beiden Fällen stammen sie aus unserer Gesellschaft, aus unserer Mitte. Ihre Gesinnungsfreunde bleiben eine Gefahr für das jüdische Leben wie für die Allgemeinheit in Deutschland, solange sie nicht hinter Schloss und Riegel sind.

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taz-Autor
Jahrgang 1957, ist Mitarbeiter der taz und Buchautor. Seine Themenschwerpunkte sind Zeitgeschichte und der Nahe Osten. Hillenbrand ist Autor mehrerer Bücher zur NS-Geschichte und Judenverfolgung. Zuletzt erschien von ihm: "Die geschützte Insel. Das jüdische Auerbach'sche Waisenhaus in Berlin", Hentrich & Hentrich 2024
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25 Kommentare

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  • Es ist wieder passiert und es wird wieder passieren. Und es lässt sich nicht bekämpfen. Kampf ist kein geeignetes Mittel um Frieden zu erreichen. Der alte Satz der früheren Spontis bringt es auf den Punkt: "fighting for peace is like fucking for virginity!"



    Gewalt ist ein uns immanentes, vielgestaltiges psychisches Phänomen. Es wird immer in Erscheinung treten, wenn sich Menschen sich verunsichert, bedroht und in Frage gestellt fühlen.



    Solange wir davon ausgehen, wir können die Wirklichkeit per Verordnung festlegen, wir können Menschen ausgegrenzen, quälen, solange wir glauben, wir können die Republik spalten in Teile, die unkündbar und besitzstandsgewahrt sind und andere, die dem Moloch ALG II zugewiesen werden, solange werden wir mit dieser Gewalt leben. Da helfen keine Krokodilstränen.



    Erst wenn alle Menschen hier sozial abgesichert leben können, kann sich die Gewalt reduzieren.

  • 0G
    06313 (Profil gelöscht)

    Wie immer, wenn es zu einer antisemitischen oder rassistischen Tat kommt, ist die Bestürzung groß und es kommen die üblichen Betroffenheitsplattitüden sowie Empfehlungen nach dem Motto "wir müssten", "wir sollten", etc., doch dann passiert nichts bis zur nächsten Tat. Diesmal hatten die betenden Juden in Halle sehr großes Glück.

  • Der Attentäter 1 heißt Stephan B., ist 27 Jahre alt und ein [...] Faschist. Die Einzeltätertheorie ist Bullshit.

    Kommentar gekürzt und geändert. Die Moderation

  • youtu.be/wf-SSZzud70

    Wer etwas mehr Informationen möchte.

    • @Hampelstielz:

      Mehr Information? Du geilst Dich doch bloß an den Bildern des Täters auf.

      • @Andreas Säger:

        Nein, ich find das alles sehr scheiße. Da viele aber sofort mit einem "islamischen Motiv" zur Hand waren und man Nazis im neuen und gewandelten Gesicht nicht erkennen will, poste ich selbst. Der Täter hatte keinen Muhamad als Vornamen, sondern einen deutschen oder europäischen. Nicht Asylanten sind die neuen Faschisten, Rassisten und Antisemitisten, sondern deutsche sind es nach wie vor. Die ausländische Presse hat mehr Material geliefert, als die deutsche. Was ist falsch daran, das zugänglich zu machen?

  • Die furchtbare Tat von Halle wurde bereits mehrfach im Verlauf des "NSU" begangen. Mindestens 9 mal. Der "Aufschrei" vieler Kolumnisten mit N. war minimal. Moslems, Türken, Schwule, Araber, Punks und was weiß ich, sind deutlich regelmäßiger Opfer beschissener Faschisten geworden. Man muss ja aber immer unterscheiden. Eine Synagoge stellt aber auch etwas anderes dar.



    Damit will ich den Antisemitismus endlich auf einer Stufe mit dem Rassismus und umgekehrt sehen. Wer von Rassisten, Sexisten und Faschisten egal welcher direkten Prägung unterdrückt und diskriminert wird, verdient Solidarität. Schwulen ging es im 3. Reich nicht besser als Sintis, Kommunisten, anderen und Juden. Alle haben das elendige gleiche Schicksal erfahren müssen, wurden versklavt, gefoltert und ermordet. Über die Geschichte hinweg auch dauerhaft, regelmäßig und wie selbstverständlich.

    • 0G
      06313 (Profil gelöscht)
      @Hampelstielz:

      "Damit will ich den Antisemitismus endlich auf einer Stufe mit dem Rassismus und umgekehrt sehen....."

      Der Antisemitismus hat in Deutschland eine andere Dimension. Ich möchte, dass Antisemitismus beim Namen benannt und bekämpft wird, so wie Moslemfeindlichkeit, Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Homophobie bekämpft werden müssen. Im Übrigen muss ich Ihnen zu dieser Behauptung widersprechen: "Schwulen ging es im 3. Reich nicht besser als Sintis, Kommunisten, anderen und Juden"



      Von den Nürnberger Rassegesetzen waren Homosexuelle und Kommunisten (sofern sie nicht Juden war) NICHT betroffen. Homosexuelle und Kommunisten wurden nicht gezwungen, Namensergänzungen wie "Israel" oder "Sara" zu tragen. Homosexuelle und Kommunisten wurden in der Regel kein Berufsverbot erteilt. Es ist richtig, dass viele Homosexuelle und Kommunisten in KZs kamen, aber es gab keine Wannseekonferenz, auf der ihre Endlösung beschlossen wurde. Insofern sollte man die Dimension der Judenverfolgung im Dritten Reich nicht kleinreden, indem man sie mit anderen vom NS-Regime vergleicht.

      • @06313 (Profil gelöscht):

        Nein, die Rassegesetze waren das nicht, die Homosexuelle und Kommunisten drangsaliert haben. Die wurden einfach unter anderen Vorwänden (Homosexualität war eine 'Straftat' für sich) einfach vor Ort totgeschlagen oder inhaftiert. Sintis und Roma haben auch keine neuen 'Rassegesetze' gebraucht. Sie wurden immer schon schikaniert und mussten Progromme über sich ergehen lassen. In regelmäßiger Folge. War und ist aber kein Thema in Deutschland und auch nicht bei dir.

  • Antisemitismus fasst zu kurz und vergisst die faschistisch-rassistische Motivation des braunen Lagers. Deshalb ja auch der Angriff auf den Dönerladen. Die Opfer dieses Attentats, eines weiteren, müssen nun vergessen werden? Wie bezeichnet man einen rassistischen Amoklauf auf Türken und andere Minderheiten? Antisemitismus war nicht der vordergründige Anhalt zum Feuerüberfall auf den Dönerladen.

    • @Hampelstielz:

      Doch. Antisemitismus WAR der vordergründige Anhalt zum "Feuerüberfall" auf den Dönerladen.



      Was soll das?

      • @Henriette Bimmelbahn:

        Nein, es war Hass auf Türken und die islamische Religion. Was soll dein: Was soll das?

  • RS
    Ria Sauter

    Es geht wieder los mit dem Hass auf jüdische Menschen. Anscheinend war er nie ganz weg und wird jetzt durch braune Hundekrawattenträger aus der Kiste geholt und salonfähig gemacht.



    Warum eurde niemand für die Rede mit dem Vogelschiss verhaftet wegen Volksverhetzung?

    • @Ria Sauter:

      Weil für Verhaftungen bestimmte Voraussetzungen vorliegen müssen... und offenbar nicht vorlagen.

      • RS
        Ria Sauter
        @Tabus überall:

        Ja, leider.



        Und unsere aller Kanzlerin faselt nach den Morden davon, dass man handeln müsse.



        Irgendwie hat sie nicht kapiert, dass die Möglichkeiten dazu bei ihr liegen.

        • @Ria Sauter:

          Irgendwie schreiben Sie ziemlich ahnungslos.

          Polizeischutz, Objektschutz ist Ländersache. Die Sicherung von Moscheen und Synagogen geht also alle Parteien etwas an. Alle Parteien sind in den Landesregierungen vertreten.

  • "Die furchtbare Tat von Halle hat gezeigt, dass dem Antisemitismus der Mord innewohnt."

    Wer sowas schreibt, soll sich ernsthaft mit Antisemitismus beschäftigt haben?



    Wem galt es in dieser Hinsicht denn, noch etwas zu zeigen?



    Die Tat hat Nichts gezeigt, was sich nicht auch in einem kurzen Rückblick auf die deutsche Geschichte sagen ließe.



    Die widerliche Tat von Halle hat nur einmal mehr gezeigt, was alle antisemitischen Taten von jeher meinen: Die Vernichtung der Juden.



    Und noch mehr: Es soll sie nie gegeben haben. Daher das Schänden der Gräber.

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @Hans-Georg Schimmel:

      Ich möchte an diesem Tag und zu diesem Thema keine Diskussion anfangen, aber könnte man diesen Satz von Herrn Hillenbrand nicht auch so interpretieren, wie Sie und ich den Antisemitismus beschreiben?

      • @88181 (Profil gelöscht):

        Natürlich könnte man den Satz von Herrn Hillenbrand auch gutmütiger interpretieren, aber man ist dann geneigt zu glauben, dass sich die Nachlässigkeit beim Formulieren der Gedanken nur zufällig in eine bestimmte Richtung verschiebt und diese bedeutungsvolle Verschiebung mit dem vom Autor intendierten und ausgedrückten Inhalt nichts zu tun hat.



        Kritik ist heute wesentlich Sprachkritik. Wer nicht auf die Feinheiten achtet, dem wird das Wesentliche entgehen.

  • Wenn, wie hier behauptet, der Antisemitismus nicht nur bei Rechten und Rassisten verbreitet ist, sondern auch in der sogen. Mitte der Gesellschaft und alle Sympathisanten in den Knast gehören, damit die jüdischen Gemeinden in Frieden leben können, dann frage ich mich, wieviel neue Gefängnisse es geben muss. Vielleicht ist die Definition von Antisemitismus einfach nicht präzise genug. Inflationärer Gebrauch wäre keine Hilfe. Aber Möglichkeiten, wie man ihn erkennt und bekämpft, wären immer eine Hilfe, sofern der Begriff Antisemitismus präzise definiert wäre und nicht als Kampfbegriff gegen israelkritische Aussagen missbraucht wird.

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @Rolf B.:

      Der Antisemitismus ist im Gegensatz zum Rassismus eine Weltanschauung.

      Will sagen, er erklärt die Welt. Die Juden sind an allem schuld, das hat der Täter in Halle ja auch gesagt. Sie kontrollieren die Medien, die Finanzen, die Parteien.

      Der Rassist will die "Kanaken" einfach nicht um sich haben. Sind sie weit weg, verachtet er sie, aber es juckt ihn nicht weiter.

      Die Juden hingegen sind überall, teilweise sichtbar, zum großen Teil unsichtbar. Die Juden sind für den Antisemiten die Gegenrasse, der Feind an sich. Der Strippenzieher, die Krake, der Profiteur, der Kosmopolit, das Abstrakte.

      Wäre das alles weg, wäre die Welt in Ordnung. Also will er letztendlich die Juden von der Erde entfernen, indem er sie vernichtet.

      Einen bahnbrechenden Ansatz zur Erklärung dieses Phänomens lieferte der leider verstorbene Moishe Postone in seiner Schrift "Nationalsozialismus und Antisemitismus":

      www.krisis.org/197...nd-antisemitismus/

      Er arbeitet darin heraus, dass der Antisemit das Abstrakte im Kapitalverhältnis nicht erträgt, eben weil es abstrakt und nicht konkret ist.

      Das spiegelt sich in der Vorstellung der Nazis und auch mancher Globalisierungsgegner im Gegensatz vom "Raffenden und Schaffenden Kapital" wieder. Oder in der Aufspaltung von Finanzkapital und Realkapital.

      Der Antisemitismus ist also eine antikapitalistische Bewegung, die dem Kapitalismus das Abstrakte austreiben will, in dem es die Personifizierung des Abstrakten in Form der Juden vernichten will.

      Die Rechnung geht natürlich nicht auf, aber das ist dem Wahn egal.

      • @88181 (Profil gelöscht):

        "Der Antisemitismus ist also eine antikapitalistische Bewegung, die dem Kapitalismus das Abstrakte austreiben will, in dem es die Personifizierung des Abstrakten in Form der Juden vernichten will."

        Diese These wird durch den Antisemitismus der deutschen Nazis widerlegt. Die Parole, dass die Juden an allem Schuld sind, konkretisiert bzw. personifiziert zwar -wie Sie richtig schreiben- das Abstrakte. Nutzbar gemacht wurde es allerdings nicht als antikapitalistische Parole, sondern als Hilfsmittel des deutschen Großkapitals, indem es Hitler unterstützte.

        Ich beobachte mit Sorge den Versuch, Antisemitismus den Linken in die Schuhe zu schieben und ausgerechnet die sogenannte Mitte aus der Verantwortung zu nehmen. Große Teile der bürgerlichen Mitte waren Antisemiten. Aber keine Antikapitalisten. Dass Antisemitismus für das Lumpenproletariat eine "schöne" Ausrede war für ihr klägliches Dasein, ist eine andere Geschichte.

        Durch das mittelalterliche Verbot für Juden, handwerkliche Berufe auszuüben, waren Juden überproportional im Handelsbereich tätig und dabei nicht selten sehr erfolgreich. Die Aneignung größeren jüdischen Eigentums war kein antikapitalistischer Akt, sondern gewaltsamer Raub durch das Kapital.



        Da muss ich doch wohl keine Beispiele nennen?

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    Danke für den Kommentar.

    Antisemitismus zu Ende gedacht endet zwangsläufig immer bei Mord und Vernichtung.

    • @88181 (Profil gelöscht):

      "Antisemitismus zu Ende gedacht endet zwangsläufig immer bei Mord und Vernichtung."



      -----------------------------------------------------------



      ...Und die allermeisten Verschwörungs"Theorien" basieren letztlich auf antisemitische Wahnvorstellungen.

      • @Wagenbär:

        Denke ich auch.



        Danke für den Kommentar, Herr Hillenbrand