Antimuslimischer Rassismus: Die öffentliche Stille nach der Tat ist unerträglich
Rahma Ayat wurde Opfer. Nicht nur eines Täters. Sondern auch eines der medialen und öffentlichen Stille. Aber sie hat Lautstärke verdient.

E in Name wie Marwa El-Sherbini bleibt im kollektiven Gedächtnis – eine kopftuchtragende Frau, ermordet in einem deutschen Gerichtssaal. Rahma Ayat aber kennt kaum jemand, der nicht auf den sozialen Medien nach ihr sucht. Eine 26-jährige Frau aus Algerien, ermordet mitten in Deutschland. Sichtbar als Muslima. Sichtbar verletzlich. Und öffentlich fast unsichtbar.
Als kopftuchtragende Muslima in Deutschland lässt mich diese Tat nicht los. Nicht nur wegen der Gewalt – sondern wegen der Stille danach. Inzwischen hat der Nachbar, der Rahma mit Messerstichen tötete, die Tat gestanden. Doch mit seinem Geständnis ist die ohnehin spärliche Berichterstattung nahezu verstummt. Wo bleibt der mediale Aufschrei? Wo sind die Titelblätter, die investigativen Fragen, die öffentliche Empörung?
ist Medien- und Kommunikationswissenschaftlerin. Als freie Journalistin beschäftigt sie sich mit den Themenschwerpunkten Medienkritik, Diskriminierung und Religion.
Täglich erleben Frauen mit Kopftuch rassistische Anfeindungen. Ich erfahre sie selbst – auf der Straße, im Alltag. Ich engagiere mich gegen Diskriminierung, schreibe Texte, kläre auf. Doch in Momenten wie diesem wird klar: Wir dürfen sprechen, aber niemand hört zu. Wir trauern – doch allein. Selbst internationale Medien haben offener reagiert als viele Deutsche. Warum braucht es Stimmen aus dem Ausland, um hier einen Diskurs zu starten, der längst überfällig ist?

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Ich frage mich: Wie sähe die Berichterstattung aus, wenn Rahma weiß gelesen worden wäre? Wenn sie keinen Hijab getragen hätte? Wenn sie nicht sichtbar als „die Andere“ markiert gewesen wäre? Hätte es dann Sondersendungen gegeben? Talkshows? Eilige Reaktionen von Politik und Presse?
Ich appelliere an die deutschen Medien: Schaut nicht weg. Stellt Fragen. Hört hin. Sprecht mit den Menschen, die betroffen sind – nicht über sie. Rassismus tötet – manchmal schleichend, manchmal brutal. Und jedes mediale Schweigen danach normalisiert ihn, lässt ihn wachsen – bis zur nächsten Schlagzeile, die wieder ausbleibt.
Rahma war kein Einzelfall. Sie war Teil unserer Gesellschaft. Sie hatte Träume. Und sie verdient, dass wir laut sind. Für sie. Für uns alle.
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