Psychologin über Folgen von Rassismus: „Müssen das Bewusstsein schärfen“
Antimuslimischer Rassismus ist Alltag. Manche Geflüchteten werden durch ihn retraumatisiert, sagt die Psychotherapeutin Zahra Rezaie.
taz: Frau Rezaie, was bedeutet der Tag gegen antimuslimischen Rassismus für Sie persönlich und für Ihre Arbeit?
Zahra Rezaie: Da ich viel mit Migranten und Geflüchteten arbeite, habe ich täglich mit diesem Thema zu tun. Ich begleite das psychische Leiden meiner Klientel, die durch Rassismus betroffen ist. Aufgrund meines eigenen Migrationshintergrunds begegnet das Thema mir aber auch häufig im Freundes- und Kollegenkreis.
Zahra Rezaie ist psychologische Psychotherapeutin. Sie stammt aus Afghanistan und lebt seit 2008 in Deutschland. 2021 gründete sie die „Tagesklinik Transkulturell“ in Reinickendorf, die kultursensible, psychotherapeutische, sozialdienstliche und pflegerische Behandlung und Unterstützung in diversen Sprachen bietet.
Hat antimuslimischer Rassismus seit dem 7. Oktober in Berlin zugenommen?
Leider ja – und nach der Europawahl ist er noch einmal gestiegen. Täglich passieren rassistische Überfälle.
Haben Sie Beispiele?
Ein Patient, der Taxifahrer ist, wurde von einem Kunden als „Scheiß Ausländer“ beschimpft. Die Tochter einer Freundin wurde in der Öffentlichkeit von einer Männergruppe brutal zusammengeschlagen – und niemand hat eingegriffen. Beides ereignete sich nach den Europawahlen.
Der 1. Juli ist der Tag gegen Antimuslimischen Rassismus. Er erinnert an den Mord an Marwa El-Sherbini vor 15 Jahren im Verhandlungssaal des Dresdner Landgerichts, wo sie sich gegen Rassismus zur Wehr setzte, den sie durch ihren späteren Mörder erlitten hatte.
2023 haben antismuslimische Angriffe laut der Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit CLAIM enorm zugenommen, insbesondere seit dem 7. Oktober. Sie zählte 2023 deutschlandweit 1.926 Vorfälle, ein Anstieg von 114 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Elif Eralp, Sprecherin der Linksfraktion für Antidiskriminierung, erinnert anlässlich des Tages daran, dass eine vom letzten rot-grün-roten Senat eingesetzte Expert*innenkommission Antimuslimischer Rassismus Berlin 2022 umfassende Handlungsempfehlungen gegen Antimuslimischen Rassismus vorgelegt hat. Schwarz-Rot habe davon bisher nichts umgesetzt. Ihre Fraktion fordert unter anderem verpflichtender Schulungen zu Antimuslimischem Rassismus und Antidiskriminierung im gesamten Öffentlichen Dienst. (taz)
Welche Vorurteile begegnen Ihren Patienten?
Vor allem das Bild des muslimischen Mannes wird als dominant wahrgenommen. Männer mit schwarzen Haaren oder dunkler Hautfarbe werden automatisch dieser Gruppe zugeordnet. Sie werden als homogene Gruppe von Muslimen gesehen, die mit Radikalisierung und Terrorismus gleichgesetzt wird.
Und bei Frauen?
Frauen, die Kopftücher tragen, werden oft als unterdrückt wahrgenommen. Sie gelten als unsicher und unfähig. Sie werden ausgegrenzt und dadurch häufig retraumatisiert.
Was meinen Sie damit?
Viele Menschen haben sich schon in ihren Heimatländern nicht sicher gefühlt und sind deswegen nach Deutschland geflüchtet. Deutschland wird oft als ein Land wahrgenommen, in dem Menschenrechte wichtig sind und jeder Mensch akzeptiert und respektiert wird. Doch wenn sie die Realität hier erleben, sind sie oft enttäuscht. Sei es beim Arzt, in der Schule oder in einer Behörde – der Umgang mit ihnen entspricht häufig nicht ihren Erwartungen. Dies verstärkt bestehende Traumata und kann zu Depressionen führen.
Sie arbeiten nicht nur mit Flüchtlingen, sondern auch mit Patienten, die seit einigen Generationen in Deutschland leben. Sind diese Menschen weniger vom antimuslimischen Rassismus betroffen?
Nein, die dritte Generation ist genauso betroffen wie Menschen der ersten Generation. Besonders bei unseren Klienten mit türkischem Hintergrund sieht man, dass es keinen Unterschied macht. Diese Menschen sind eigentlich keine Migranten mehr, aber die Mehrheit der deutschen Gesellschaft sieht das anders.
Welche Botschaft möchten Sie der Gesellschaft bezüglich des Umgangs mit antimuslimischem Rassismus mit auf den Weg geben?
Ich wünsche mir, dass wir alle das Bewusstsein für diese Art von Rassismus schärfen und akzeptieren, dass es ihn gibt. Meine Hoffnung ist, dass die Politik keine voreiligen Schlüsse zieht. Was zum Beispiel in Mannheim passiert ist, wo ein afghanischer Flüchtling einen Polizisten ermordet hat, wird oft als allgemeingültiges Symbol dargestellt, und das beeinflusst die öffentliche Wahrnehmung negativ. Die Medien spielen eine entscheidende Rolle.
Wieso?
Leider sehen wir, dass sie oft nur negative Einzelfälle hervorheben, was die Situation verschärft. Ich hoffe, dass die Medien vermehrt positive Beispiele zeigen. Es gibt viele Menschen mit Migrationshintergrund, die erfolgreich sind und sich aktiv an der Gesellschaft beteiligen. Diese positiven Geschichten sollten für ein ausgewogenes Bild ins Licht gerückt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau