Antikolonialer Vordenker Frantz Fanon: Den Kanon neu denken
2025 wäre der Politiker und Autor Frantz Fanon 100 Jahre alt geworden. Zadie Smith und Adam Shatz haben in Potsdam sein postkoloniales Erbe diskutiert.

Auf dem Podium „Frantz Fanon zum 100. Geburtstag. Den Kanon neu denken“ am Einstein Forum in Potsdam sitzen am Montagabend Moderatorin Susan Neiman, Adam Shatz und Zadie Smith, Autorin unter anderem von „Zähne zeigen“: Fanon sei der John Coltrane des Antikolonialismus, behauptet Adam Shatz.
Der US-Redakteur der London Review of Books zeichnet die Laufbahn Fanons nach, vom Soldaten in Nordafrika im Kampf gegen die Wehrmacht zum in Frankreich ausgebildeten Philosophen, der dort krassere Rassismuserfahrungen macht als in seiner Heimat Martinique; vom Psychiatriearzt in Algerien zum altermondialistischen Aktivisten. Das soll also der wandlungsfähigen Spielweise des US-Saxofonisten John Coltrane ähneln?
Fanons dialektische Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus führe uns das Dilemma mit dessen rassistischem Erbe heute vor Augen, bilanziert Shatz. Seine Fanon-Biografie wird gerade ins Deutsche übertragen. Am Montag oblag es Shatz, biografische Details einzuflechten, während Zadie Smith zunächst stumm blieb.
Ambivalente Haltung
Erst als es um Fanons Befürwortung des bewaffneten Kampfes im Algerienkrieg ging, kontert sie mit der Ambivalenz, die schon die afroamerikanische Feministin bell hooks angesichts von Fanons machistischer Haltung geltend gemacht hatte. Smith erzählt, sie sei seit ihrer Kindheit mit Fanons Werk vertraut, es sei wichtig für ihr schwarzes Selbstbild gewesen, wie auch für das ihrer in Jamaika aufgewachsenen Mutter.
Neiman fragt nach der Aufklärung und dem Universalismus, mit denen sich Fanon kritisch auseinandersetzte. Heute seien deren Errungenschaften im Zeitalter des Wokeismus stärker in Frage gestellt. Smith antwortet differenziert: „Die Aufklärung ist Teil unseres Werkzeugkastens, auch wenn daran nicht alles perfekt ist.“
Humanismus mag als Wort entwertet sein, im Angesicht des Todes seien wir nach Kant alle gleich. Smith, die in New York Creative Writing unterrichtet, erzählt vom Lehralltag, etwa, wenn sie Studierende beim Thema Rassismus und Polizei auf strukturelle Gewalt der nigerianischen Polizei hinweist.
Blumige Antworten
Adam Shatz antwortet insgesamt blumiger, sagt – typisch für dieses Milieu –, heute wäre Fanon aufseiten „der Palästinenser“. Immerhin erwähnt er Chinas imperiale Ausbeutung von Bodenschätzen im Kongo, zum Krieg im Sudan schweigt er! Auch zum kriegerischen russischen Kolonialismus in der Ukraine ist leider nichts zu erfahren. Wenn Scham revolutionäres Empfinden sei, wie Karl Marx apostrophiert hat, konnte man sich daher schämen.
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