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Antijudaistisches Kirchenrelief in CalbeDiskret verhüllt

Viele deutsche Kirchen tragen antisemitische Reliefs. Auch an der Kirche in Calbe ist eine sogenannte „Judensau“ zu sehen. Wie soll man damit umgehen?

Antisemitische Schmähfigur:wieder angebracht an der St. Stephani Kirche in Calbe Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Calbe taz | Der Rat der Stephani-Kirchgemeinde in Calbe wollte sie nicht mehr haben, doch die Denkmalschutzbehörde in Staßfurt bestand darauf, die Statue wieder an der Kirche anzubringen: Und so hing die antisemitische Figur einer sogenannten „Judensau“ am 15. Juni plötzlich wieder am Kirchpfeiler, ohne dass die Gemeinde nochmals informiert wurde.

Der Fall im 35 km südlich von Magdeburg gelegenen Calbe erinnert an den Streit um ein ähnliches Relief an der Stadtkirche Wittenberg, der noch vor dem Bundesgerichtshof anhängig ist. An etwa 30 Kirchen in Deutschland finden sich solche beleidigenden Darstellungen.

Aus Sicht von Gemeindepfarrer Kohtz stellt die Stephani-Kirche in Calbe insofern einen Sonderfall dar, als alle Chimären für die Restaurierung zwischendurch bereits abgenommen waren. Man hätte also die sogenannte „Judensau“ einfach nicht wieder anbringen oder gleich an Ort und Stelle verwittern lassen können. „Es geht nicht darum, Geschichte zu leugnen und Bilderstürmerei zu betreiben“, betont der Pfarrer aber.

Die Plastik in Calbe ist eine von 14 unechten Wasserspeiern unterhalb des Dachsimses, den so genannten Chimären. Sie stellen allgemein menschliche Verwerflichkeiten dar, darunter eine weibliche Satansfigur und einen „hinterhältigen Modenarren“. Die antisemitische Szene aus dem 15.Jahrhundert ist besonders perfide, weil ein Jude einer Sau das Hinterteil küsst. Die Plastik sei „ein Schandmal und eine exorbitante Beleidigung“, sagt Pfarrer Kohtz.

Er findet, es müsse mehr über Antisemitismus gesprochen werden, viele Einwohner von Calbe hätten jahrzehntelang nichts von der sogenannten „Judensau“ gewusst.

Wie mit der Plastik umgehen?

Zwar ist die Plastik nun wieder an der Kirche angebracht, es ist aber doch nicht alles wie vor Beginn der Sanierung. Kompromissweise wird die Figur inzwischen verhüllt. Nicht mit edlen Stoffen wie beim Aktionskünstler Christo, sondern grob und mit Panzerband umwickelt.

In der Landeskirche begrüßt man den zwischen Denkmalschutz und Gemeinde gefundenen Verhüllungskompromiss. Oberkirchenrat Christian Fuhrmann, Gemeindedezernent der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland sagt: „Weder kann es darum gehen, judenfeindliche Kunstwerke unreflektiert weiter zu tradieren, noch kann es das Ziel sein, sie verschämt vor den Augen der Öffentlichkeit zu verbergen.“

Pfarrer Jürgen Kohtz ist aber spürbar unzufrieden mit der verhüllten Statue. Die Verhüllung mache erst recht auf die Plastik aufmerksam, wenn die Baugerüste fallen werden, glaubt er.

Von einer angemessenen Form des Umgang mit solchen Zeitzeugen hat der Pfarrer jedoch eigene Vorstellungen. Sie entsprechen dem, was er seit Jahrenin der Stephani-Kirche praktiziert. An Wänden und Pfeilern der imposanten, aber karg ausgestatteten Kirche kann man Texte aus allen Religionen lesen. Nun schwebt dem Pfarrer eine kommentierende Ausstellung zu jüdischem Leben und zur „Judensau“ im großen Turmzimmer zwischen den 57 Meter hohen Doppeltürmen vor, sozusagen auf Höhe der Skulptur. Mit der Denkmalbehörde soll noch einmal gesprochen werden, ob die Plastik dann in diesem Raum platziert werden kann.

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10 Kommentare

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  • Ich muss sagen, ich bin verwirrt.

    Erst im Februar, wurde doch in dieser Zeitung, zum Thema antijudaistische Skulpturen noch geschrieben.

    "Sie ist nicht beleidigend, weil sie in ein Gedenkkonzept eingebettet ist." Und das solche Judensäue nicht beleidigend seien und das Urteil sei so Ordnung.

    Christian Rath im Februar.

    taz.de/Urteil-zur-...658022&s=Judensau/

    Jetzt ist Bilderstürmerzeit und jedes Bismarcktürmchen ist jetzt ein unerträglicher Schandfleck der umgehend niedergerissen werden muss.

    Gleichzeitig wird hier jetzt wieder gefragt, wie mit solchen Fällen umgegangen werden soll.

    [...]

    Dieser Kommentar wurde gekürzt. Bitte halten Sie sich an die Netiquette. Die Moderation

  • Diese Figuren zeigen doch deutlich die christliche Grundeinstellung zum Judentum. Sie manisfestiert sich dort und ist Ausdruck dessen! Warum das negieren oder verleugnen? Diese zeigt sich ja ständig überall ,sei es bei BDS- Unterstützung über christliche NGO´s oder zb auch direkt Vorort im Ostteil von Jerusalem bei der EKD Stiftung Evangelical Center for Pilgrims etc.

  • Wir ändern unsere Geschichte nicht indem wir deren Zeugnisse vernichten.

    Diese sind ein mehr oder weniger ferner Spiegel aus der Vergangenheit und sollten uns auch in der Gegenwart helfen Fehler zu erkennen.

  • Wieder mal der denkbar dümmste Kompromiss.



    Was spricht dagegen, eine kleine Tafel anzubringen die die antisemitische Bedeutung erklärt und vor allen Dingen erklärt wie es dazu kam dass eine solche Figur an der Kirche angebracht wurde.



    Durch die "Verhüllung" wird ja auch die Schandtat diese Skulptur zu erschaffen und anzubringen mit verhüllt.

  • Wurde diese Figur damals an der Kirche angebracht um Juden bzw. Andersgläubige zu diffamieren? Was würde denn der Denkmalschutz sagen, wenn an irgendeinem Gebäude eine Plastik von Adolf Hitler hängen würde und dieses Gebäude restauriert? Wäre der Adolf dann auch Denkmal? Oder denk mal...

    • @joaquim:

      Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass wir aus Denkmalschutzgründen irgendwo im Land Hakenkreuzflaggen oder Hitler-Denkmäler stehen hätten. Auch nicht als "Zeitzeugen" oder "historische Dokumentation".



      Antisemitismus war nicht nur im Dritten Reich tödlich - und deshalb müssen solche Skulpturen von der Kirche verschwinden. Wenn sie der Denkmalschutz für so herausragend hält, dass man sie für die Nachwelt konservieren muss, dann stellt sie halt in ein Museum. Mit einem Kommentar und einer Dokumentation über die Widerwärtigkeit dieses "Kunstwerks". Sie einfach unkommentiert hängen zu lassen, ist der falsche Weg.

    • @joaquim:

      Welche bekannte Person der letzten 2,3,4,5,6 hundert Jahre war denn ein Engel wie Jesus auf Adderall?



      Heute wissen wir Luther war Juden nicht wohl gesonnen. Man findet auch bestimmt was bei Goethe und oder Schiller...

      darf man das noch lesen? Darf das noch im öffentlichen Raum statt finden?

      Ja natürlich! das ist unsere Geschichte. vielleicht muss man ne Tafel mit Hintergrund Infos dran dübeln, aber ansonsten ist dieser Geschichtrevesionismus und diese politisch correct bereinigte Umwelt doch grauenhaft. Total steril. Wenn wir damit anfangen das in der Öffentlichkeit nur stattfinden darf was keinen real oder gewollt stört, dann laufen wir bald in grauen Einheitsanzügen und gesenktem Haupt rum.

      • @danny schneider:

        "Heute wissen wir Luther war Juden nicht wohl gesonnen."

        Das haben Sie schön formuliert.

      • @danny schneider:

        Das nennt man wohl Whataboutism. Schiller und Goethe haben mit dem Artikel nichts zu tun. Gar nichts.

        Die Beseitigung von Antisemitismus ist kein Geschichtsrevisionismus. Diesen Blickwinkel kann man nur einnehmen, wenn man die Verfolgung von Juden als ehrenwerte und schützenswerte deutsche Tradition sieht.

        Die Frage, wie wir als Gesellschaft mit (religiösen) Minderheiten umgehen wollen, ist gerade wieder brandaktuell. Aus humanistischer Sicht sollten wir Hass und Hetze in unserer Gesellschaft keine Chance mehr geben. Das hat schon viel zuviel Unheil angerichtet.

        • @Celtic:

          Diese in letzter Zeit vermehrt um sich greifenden Einwürfe "Whataboutism" (was für ein Unwort) sind in den allermeisten Fällen doch selbst nichts anderes als ein rabulistisches Foul. Die inhaltliche Auseinandersetzung wird einfach durch die Behauptung ersetzt das angegriffene Argument habe ja gar nichts mit dem Thema zu tun, Belege unnötig. Was für ein billiges Totschlagargument.

          Wenn aber etwa Goethe sich ein judenfreies Deutschland wünschte[1] und auch Schiller Juden allenfalls als Menschen zweiter Klasse sah[2] und beide dennoch als Aushängeschilder deutscher Hochkultur gelten, dann hat das als ein Fall von historisch tradiertem und unzreichend kritisiertem Antisemitismus mindestens ebensoviel oder -wenig mit dem Thema zu tun wie "Die Frage, wie wir als Gesellschaft mit (religiösen) Minderheiten umgehen wollen [...]."

          "Aus humanistischer Sicht sollten wir Hass und Hetze in unserer Gesellschaft keine Chance mehr geben." Aber die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus zentraler Verfechter des Humanismus ist Whataboutism?

          [1] www.hagalil.com/2014/03/goethe/



          [2] www.juedische-allg...-missverstaendnis/