Antidiskriminierungsrecht in Deutschland: Gesetz, 17 Jahre, sucht Reform
Ein Bündnis fordert, das veraltete Antidiskriminierungsrecht zu überarbeiten. So will es auch der Koalitionsvertrag – aber bisher blockiert die FDP.
Mehr als 100 Organisationen haben das Bündnis Anfang 2023 gegründet. Sie arbeiteten elf zentrale Forderungen heraus, um das Antidiskriminierungsrecht zu stärken. Mitte Juli legte die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, dann ein 19 Maßnahmen umfassendes Grundlagenpapier zur Reform vor.
Das Bündnis und auch Ataman fordern vor allem eine Erweiterung der Diskriminierungsmerkmale, die im ersten Paragrafen des Gesetzes benannt sind. Bisher umfassen die verbotenen Benachteiligungen die „Rasse“ (der veraltete Begriff soll geändert werden) oder ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion/Weltanschauung, Behinderung, Alter und die sexuelle Identität.
Sozialer Status und algorithmische Diskriminierung
Neu hinzukommen soll unter anderem der „soziale Status“, so die Forderung. Davon könnten beispielsweise Alleinerziehende profitieren, die mit Kleinkindern bei der Wohnungssuche benachteiligt werden, so Alexander Thom von der Fachstelle Fair mieten – Fair wohnen. Zudem erschwere ein „nicht deutsch gelesener Name“ die Wohnungssuche immer noch stark.
Auch Oriel Klatt von der Gesellschaft gegen Gewichtsdiskriminierung sagt, eine Ausweitung sei wichtig. Andere europäische Länder hätten zum Teil mehr als 20 Diskriminierungskategorien, im Vergleich sei Deutschland „fast das Schlusslicht“. Klatt fordert dabei auch die Berücksichtigung der Gewichtsdiskriminierung, so würde bisher einigen Personen aufgrund ihres Gewichts teils eine Verbeamtung verweigert.
Eine Novelle des Gesetzes sei laut dem Bündnis auch deshalb notwendig, weil 2006 Benachteiligungen wie algorithmische Diskriminierung noch nicht abzusehen waren. Pia Sombetzki von Algorithm Watch nennt einen Fall aus den Niederlanden, die sogenannte „Kindergeldaffäre“. Dort wurde beispielsweise die Staatsangehörigkeit als Verdachtsparameter für möglichen Kindergeldbetrug benutzt.
Auch bei bereits bestehenden Diskriminierungskategorien wollen Ataman und das Bündnis nachschärfen. Sigrid Arnade vom Deutschen Behindertenrat monierte, dass Menschen mit Behinderung in Deutschland noch „tagtäglich diskriminiert“ würden. So gäbe es in ganz Deutschland nur drei wirklich barrierefreie gynäkologische Praxen. Auch Angebote für Gehörlose würden bisher oft vernachlässigt.
FDP bremst – obwohl Reform im Koalitionsvertrag steht
An Atamans Reformvorschlägen gab es in der Vergangenheit scharfe Kritik von der Union und der FDP. Bemängelt wurde vor allem Atamans Vorschlag, den Nachweis der Diskriminierung für Betroffene zu erleichtern. Diese müssen bisher Indizien vorliegen, Ataman schlägt vor, künftig solle der Nachweis auf eine „Glaubhaftmachung“ herabgesenkt werden.
Vonseiten des Justizministeriums gibt es bisher weder ein Eckpunktepapier noch einen Gesetzentwurf. Dabei ist die Reform im Koalitionsvertrag festgeschrieben. „Diese Chance müssen wir nutzen“, sagte Eva Andrades, Geschäftsführerin des Antidiskriminierungsverbands Deutschland.
Das Justizministerium verwies das Bündnis bisher auf innerhalb der EU laufende Reformen, die man zunächst abwarten wolle. Allerdings können sich EU-Gesetzgebungsprozesse lange ziehen – im schlechtesten Fall, bis die Legislaturperiode der Ampel vorüber ist. Von Buschmann erwartet das Bündnis, dass er mit Expert*innen in den Austausch geht. Ein Gespräch habe bisher nicht stattgefunden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr