Anti-Kriegs-Protest: Viele Gruppen, eine Bewegung?
Die Friedensbewegung galt als Putin-Versteherin. Den Ruf will sie nun schleunigst loswerden.
Schon am Dienstag ging das so nicht mehr. Am Vorabend hatte Russland die abtrünnigen Republiken in der Ostukraine anerkannt, der Krieg wurde wahrscheinlicher. Also noch eine Telefonkonferenz, noch mal am Aufruf feilen. Am Mittwoch ging er online – mit mehr Putin und weniger Nato.
Am Donnerstag war dann natürlich schon wieder alles überholt. Gleich nach dem Kriegsbeginn schaltete sich das Bündnis am Morgen wieder zusammen. Die Stimmung war am Boden, die Entscheidung aber diesmal schnell getroffen: eine Menschenkette zwischen russischer und ukrainischer Botschaft, wie ursprünglich geplant? Als Symbol passt das nicht mehr ganz. Mehr Platz braucht es nun auch. Der neue Plan: eine Kundgebung an der Siegessäule mit Lautsprechern über die gesamte Straße des 17. Juni – dort, wo im Februar 2003 eine halbe Million Menschen gegen den Irak-Krieg demonstriert hatten.
Wo diese Bewegung denn diesmal sei, hatten in den vergangenen Wochen viele Kommentator:innen gefragt. Jetzt, da Putin den Krieg tatsächlich gestartet hat, will das Bündnis in Berlin die Antwort liefern. Es ist eine breite Allianz, die zuvor in der Form noch nie für den Frieden auf die Straße gegangen ist: Der DGB und die Evangelische Kirche sind dabei, Pulse of Europe und Seebrücke, Greenpeace und Campact, aber auch Gruppen der klassischen Friedensbewegung wie Pax Christi.
Für sie ist das auch eine Chance. Nicht nur, dass die Friedensgruppen ohne Hilfe der großen Organisationen – also deren Infrastruktur, Geld und Mobilisierungspotenzial – eine Aktion dieser Größenordnung nicht stemmen könnten. Sie hoffen auch, sich mit der Kundgebung gewissermaßen rehabilitieren zu können. Der Ruf als Putin-Versteher klebt seit Jahren an der Bewegung.
Das kommt nicht von ungefähr. Es ist erst eine Woche her, dass die Linken-Abgeordnete Sevim Dağdelen auf einer Kundgebung vor dem Brandenburger Tor auftrat. Ein Youtube-Video ihrer Rede machte schnell die Runde. Sie sprach darin unter großem Jubel von „Kriegshetze und Kriegstreiberei“ des Westens. Die CIA-Warnung vor einer russischen Invasion sei ein „Lügenmärchen“ und erschreckend, wie viele Medien es ungefragt übernommen hätten – wie „in einem totalitären Staat“. Das klang bereits befremdlich, als das russische Militär die Ukraine nur umzingelt und noch nicht angegriffen hatte.
Der Anstoß für die Berliner Demo kam von Campact
Zur Wahrheit gehört aber auch: Viele in der Friedensbewegung haben umgedacht und ob des Kriegsbeginns ihre Positionen revidiert. Auch Dağdelen. Von „der Friedensbewegung“ zu sprechen, ist ohnehin verkürzt. Sie ist mittlerweile genau genommen zu klein, um diese Bezeichnung überhaupt noch zu verdienen, aber dafür nicht weniger breit. Längst nicht alle Gruppen treten als Apologeten des Kreml auf.
Den Anstoß zur Aktion am Sonntag machte vor zwei Wochen Campact. Die NGO ist spezialisiert auf Onlinekampagnen in verschiedensten politischen Bereichen. Je nachdem, welches Thema gerade Konjunktur hat: Campact hängt sich dran und mobilisiert Unterstützung für linke Positionen, oft mit Erfolg. Friedenspolitik war dabei in den letzten Jahren aber selten Thema.
Dabei kommt Campact-Mitbegründer Christoph Bautz im Grunde selbst aus der Friedensbewegung. 2003 war er Sprecher von Resist, einer Gruppe aus dem Attac-Umfeld, die mit Sitzblockaden vor US-Einrichtungen gegen den Irak-Krieg protestierte und schon damals möglichst breit zu mobilisieren versuchte. „In Situationen starker Zuspitzung wie damals beim Irak-Krieg lassen sich Menschen gut ansprechen und auf die Straße bringen. Außerhalb solcher Zeiten ist die Massenmobilisierung für das Thema Frieden aber sehr schwierig. Es gibt eben auch nicht so eine große Szene wie im Umweltbereich“, sagt Bautz.
Als der Ukraine-Konflikt in den vergangenen Wochen immer gefährlicher wurde, dachte er sich: Jetzt müsste mal wieder ein passender Zeitpunkt gekommen sein. Erst rief Bautz bei Greenpeace an, wo man auf das „Peace“ im Namen in den letzten Jahren wieder mehr Wert legt, ohne im Verdacht irgendeiner Nähe zum Kreml zu stehen. Als Zweite waren dann schnell die Naturfreunde dabei, eine Freizeitorganisation mit politischem Anspruch und Wurzeln in der Arbeiterbewegung.
Noch vor zwei Wochen hatten die Naturfreunde ein Statement veröffentlicht, in dem die Verantwortung für den Ukraine-Konflikt vielerorts gesucht wurde, nur kaum in Moskau. „Die Bilder der militärisch gekleideten deutschen Außenministerin an der Front tragen nicht zur Klärung oder gar Deeskalation bei“, hieß es darin unter anderem. Aber: Die Naturfreunde sind pragmatisch und in allerlei Bewegungen gut vernetzt. Als das Bündnis für Sonntag geschmiedet wurde, waren sie in der Mittlerrolle. „Wenn wir in dieser Situation etwas erreichen wollen, müssen wir die bürgerliche Mitte erreichen, um gemeinsam ein Zeichen für Frieden zu setzen“, sagt Uwe Hiksch, Vorstandsmitglied der Naturfreunde und einst Bundestagsabgeordneter für SPD und PDS. Der gründlich ausgetüftelte Demo-Aufruf ist mit nur sechs Absätzen für ein linkes Bündnis ausgesprochen kurz. Er kommt sogar ohne Fußnoten aus. Vieles, was die Friedensbewegung sonst umtreibt – die Frage etwa, welchen Anteil die Nato-Osterweiterung an der Eskalation hatte –, ließ man einfach weg. „In der jetzigen Lage ist das nicht entscheidend“, sagt Hiksch.
Michael Schulze von Glaßer
Das ist auch ganz im Sinne von Michael Schulze von Glaßer. Er sitzt mit im Bündnis, als Vertreter der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK). Sie gehört zum Kern der klassischen Friedensbewegung, hadert aber mit einigen ihrer übrigen Teile. „Vor allem im Gespräch mit jungen Leuten haben wir oft mit dem öffentlichen Bild der Friedensbewegung zu kämpfen“, sagt er. Dass einige Gruppen in der ersten Ukraine-Krise ab 2014 in der sogenannten Mahnwachenbewegung gemeinsame Sache mit Rechtsextremen gemacht haben, habe dem Image ebenso geschadet wie die Russland-Treue. „Es gibt aber durchaus auch eine andere Friedensbewegung“, sagt Schulze von Glaßer.
Zum Teil gehe es auch um eine Generationenfrage, meint der 35-Jährige. Der Vorstand der DFG-VK hat sich in den vergangenen Jahren verjüngt. „Wir haben andere Ansichten als Teile der älteren Generation, die in Russland noch immer das sieht, was die Sowjetunion früher schon nicht war“, sagt er. Unter jüngeren Linken spielen liberale Werte eine größere Rolle, sie sind staatskritischer und mit ihrem großen Herz für Minderheiten und Klima keine geborenen Putin-Freunde. Unter den älteren sind links-autoritäre Einstellungen dagegen noch stärker verbreitet und als Feind des eigenen Feindes – der Nato – funktionierte der russische Präsident noch eher als Freund.
Es überrascht angesichts dieser Differenzen nicht, dass einige Gruppen der Friedensbewegung unter dem Aufruf für die Aktion am Sonntag fehlen. Niemand, der angefragt wurde, habe abgesagt, heißt es aus dem Bündnis. Heißt im Umkehrschluss: Manche hat man wohl gar nicht erst gefragt. Dem Ansinnen, eine Brücke in die bürgerliche Mitte zu schlagen, hätte das wahrscheinlich nicht gutgetan.
Manchen Gruppen hat es die Sprache verschlagen
Tatsächlich bestätigen einige obskure Teile der politischen Linken auch jetzt noch den schlechten Ruf der Friedensbewegung. Der Freidenkerverband wiederholt am Tag des Kriegsbeginns auf seiner Homepage die Kreml-Propaganda von einem „Genozid im Donbass“. Die Tageszeitung Junge Welt rechtfertigt die russische Invasion in einem Kommentar als Mission zur Rettung vor angeblichen ukrainischen Verbrechen: „Abwehr von Massenmord ist nicht nur elementare Pflicht, sondern hat auch das Recht auf ihrer Seite.“
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Manchen Gruppen scheint es dagegen die Sprache verschlagen zu haben. Auf den Internetseiten vieler Ostermärsche zum Beispiel gibt es noch keine Statements zum Krieg. Dann gibt es aber auch noch einige, die in der Vergangenheit stets besonders russlandfreundlich aufgetreten sind und jetzt doch umschwenken. Reiner Braun zum Beispiel, der 2014 die Querfront mit den Friedensmahnwachen vorantrieb und in der Friedensbewegung nicht nur deshalb umstritten ist, hat am Donnerstag gemeinsam mit der Ostermarsch-Legende Willi van Ooyen eine Stellungnahme veröffentlicht. Sanktionen gegen Russland seien falsch, heißt es darin zwar. Aber auch: „Wir verurteilen die militärische Aggression Russlands gegen die Ukraine. Die Mitschuld des Westens, besonders der USA und der Nato, rechtfertigen keinesfalls diese militärische Aggression.“ Es sei Zeit, auf die Straße zu gehen.
Das immerhin verbindet sie mit denen aus der Friedensbewegung, die zu der Kundgebung am Sonntag aufrufen. Sie könnte einen gesellschaftlichen Nerv treffen. Schon in den vergangenen Tagen gab es an vielen Orten Kundgebungen, organisiert teils aus der ukrainischen Community, teils von Parteien und deren Jugendorganisationen. Deutschlandweit protestierten Tausende.
Über 10.000 Teilnehmer:innen hat das Bündnis für Sonntag als Ziel ausgegeben. Insgeheim hofft man auf deutlich mehr. Um erfolgreich mobilisieren zu können, ist in der letzten Version des Aufrufs jede Zweideutigkeit verschwunden. Nur noch ein Verantwortlicher für die Eskalation wird genannt. Der klare Appell: „Wir fordern die russische Regierung auf, sofort alle Angriffe einzustellen.“
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