Antagonistische Konflikte: Eine Kartografie des Hasses
Streiten hält demokratische Gesellschaften zusammen. Allerdings nur, wenn dieses agonal geschieht und Gegner sich mit Anerkennung begegnen.
W as hält eine demokratische Gesellschaft zusammen? Seit den 1970er Jahren lautet die Antwort: Der produktive Streit sei das zentrale demokratische Medium. Man streitet sich sozusagen zusammen. Man glaubt an die Demokratie als eine Ordnung des Streitens: eine Ordnung zur Hegung und Austragung von Konflikten.
In demokratischen Gesellschaften wird der Konflikt also nicht stillgestellt. Denn es ist gerade der Konflikt, der uns verbindet. Nicht soziale Harmonie, sondern die Form unseres Streitens soll uns zusammenhalten. Dissens ist gewissermaßen der demokratische Kitt. Fruchtbar sind Konflikte aber nur dann, wenn sie begrenzt werden. Wenn sie – wie Chantal Mouffe immer wieder betont – agonal und nicht antagonistisch ausgetragen werden.
Agonal bedeutet: Gegner treffen aufeinander, wobei beide Seiten aber eine grundlegende Ordnung und ein Prozedere akzeptieren. Damit bestätigen sich auch Gegner als Mitglieder derselben Gesellschaft. In antagonistischen Konflikten hingegen gibt es keinerlei Anerkennung. Da stehen sich Feinde unversöhnlich gegenüber.
Die gesellschaftliche Tendenz geht heute eindeutig in letztere Richtung.
Vielfältige Frontverläufe
Nicht nur sehen wir überall Antagonismen aufbrechen – die Frontverläufe sind zudem so vielfältig, dass man leicht den Überblick über die Feindschaften verliert. Es braucht schon eine Kartografie der Hasslinien.
Da gibt es den Antagonismus „Rechte gegen Moslems“. Hier kann man noch mal unterscheiden zwischen Upperclass-Rechten – wie jene Schnöselpartien, die von Sylt bis Kärnten grölend, aber mit sicherem Klasseninstinkt das vollziehen, was man Klassenkampf von oben nennt: „Deutschland, den Deutschen. Ausländer raus“ tönt es durch die Nobelbars. Der Unterschied zu den Straßen-Nazis liegt nicht in der Gesinnung, sondern in der Ausführung. Letztere singen nicht nur.
Wie ein Echo dazu gibt es den Antagonismus „Islamisten gegen Rechte“ – der zuletzt in Mannheim auf schreckliche Weise aufgebrochen ist. Zur Erinnerung: Ein afghanischer Flüchtling, mutmaßlicher Islamist, hat dort einen politischen Aktivisten mit einem Messer attackiert, wobei der Polizist Rouven L. tragischerweise ums Leben kam. Noch komplexer ist die Situation, da der Attackierte bekanntlich vom Verfassungsschutz als islamfeindlich eingestuft ist.
Die islamistische Demonstration in Hamburg zur Einführung eines Kalifats nimmt sich da wie eine Ausweitung der Feinderklärung aus: Hier galt diese der gesamten Gesellschaft.
Sich spiegelnde Antagonismen
Wirklich unübersichtlich aber wird es jenseits dieser sich spiegelnden Antagonismen. Denn da gibt es dann noch den Antisemitismus, den wiederum beide Kontrahenten teilen.
Wenn etwa Nazis sich ihres guten alten Judenhasses besinnen (dieser geriet ja über die Freude an der rechten israelischen Regierung etwas in Vergessenheit) – wie in Sachsen-Anhalt, wo sie Ausgaben des „Tagebuchs der Anne Frank“ in alter Tradition verbrannt haben.
Solch einheimischer Antisemitismus wird durch den muslimischen gewissermaßen ergänzt. Auch das eine Entladung von Feindschaft, die infolge des Nahostkriegs noch einen zusätzlichen Schauplatz an den Universitäten eröffnet hat: Hier stehen sich propalästinensische und proisraelische Gruppen unversöhnlich gegenüber.
Aber auch damit sind wir noch nicht am Ende der Auflistung angekommen.
Angriffe auf Politiker
Denn ein weiterer Bereich kippt vom Agonismus in Antagonismus – und zwar der ureigenste Bereich gehegter Konfliktaustragung: die Politik.
Seit Wochen häufen sich in Deutschland tätliche Angriffe auf Politiker. Galten die Attacken zunächst Grünen und SPD-Vertretern, so hat sich auch dieser Antagonismus ausgeweitet: Kürzlich wurde, wieder in Mannheim, ein AfDler attackiert.
Diese Überschreitung der genuinen Form demokratischer Auseinandersetzung ist gerade im Bereich des Politischen besonders heikel. Ist doch der politische Wettbewerb das Medium, um Konflikte ins Verhandelbare zu übersetzen – sie also der Feindschaft zu entziehen.
Wenn Demokratie die institutionalisierte Form des Streitens ist, dann steht es um diese gerade nicht sehr gut.
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