Anschläge in Dresden: Die Ruhe nach dem Knall
Die Explosionen ändern kaum etwas an der Stimmung vor der Einheitsfeier. Verwirrung gibt es nur um ein Bekennerschreiben.
Nach den Sprengstoffanschlägen von Dresden ist offenbar die Zeit der Trittbrettfahrer angebrochen. „Wir haben das Feuerwerk zum ‚Tag der Deutschen Einheit‘ etwas vorverlegt“, so beginnt ein angebliches Bekennerschreiben. Es tauchte vorübergehend auf dem linken Internetportal „linksunten.indymedia.org“ auf. Man wolle gegen „Standortnationalismus, Partypatriotismus und Nützlichkeitsrassismus“ protestieren.
Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) und die ermittelnde Generalstaatsanwaltschaft erklärten, das Schreiben werde auf seine Echtheit geprüft. Am Montagabend hatten Unbekannte zwei Sprengkörper vor einer Dresdner Moschee und dem Kongresszentrum gezündet. Die Polizei vermutet ein „fremdenfeindliches Motiv“.
Die Dresdner Antifa, angeblich Autor des Bekennerschreibens, hatte dieses umgehend als „Fake“ deklariert: „Billig zusammengeschustert ist nicht so unser Stil.“ Auch der Sächsische Flüchtlingsrat warf Ulbig vor, auf eine Fälschung hereinzufallen und vom „eigentlichen Problem der rassistischen Radikalisierung“ abzulenken.
Der Sächsische Landtag verurteilte am Mittwoch einstimmig die Anschläge. Ulbig nannte es „ein völlig falsches Signal“, wenn nun die Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag am 3. Oktober in Frage gestellt würden.
„Ein ordentliches Land“
Damit trifft er offensichtlich eine Stimmung in der Stadt. Demirbas Mehmet, der seit 1990 in Deutschland lebt und zu den Gründern der vom Anschlag betroffenen islamischen Gemeinde zählt, berichtet zwar von zwei schlaflosen Nächten des Imams und seiner Familie. Angst habe man aber nicht. „Wir leben in einem ordentlichen Land, und viele haben sich um uns gekümmert.“ Mehmet bedankt sich für die Besuche von Politikern, die spontane Solidaritätskundgebung mit etwa 200 Teilnehmern am Dienstagabend und den Einsatz der Polizei.
Im Kongresszentrum am Elbufer ist man sauer über falsche Medienberichte, wonach es eine Hotelevakuierung und Veranstaltungsabsagen gegeben habe. Die Veranstaltungen folgen im Gegenteil so dicht, dass das Haus erst am Sonntag für den Empfang von Bundespräsident Joachim Gauck am 3. Oktober eingerichtet werden kann.
Auch Touristen und Gäste vor der Semperoper zeigen sich unbeeindruckt. „Dann dürfte man nirgendwo mehr hinfahren“, ist zu vernehmen. Charlotte Kriemberg, die die „Freiraum“-Zeltbühne der Leipziger Stiftung „Friedliche Revolution“ auf dem Theaterplatz betreut, warnt vor einer „Paranoia“. Ähnlich äußern sich Dresdner um den Altmarkt, wo das Partydorf für die Einheitsfeiern aufgebaut wird. Von deren Besuch will sich niemand abschrecken lassen. Ein Jugendlicher erzählt, seine Mutter habe ihm zwar empfohlen, die Innenstadt zu meiden, aber er fahre trotzdem hin.
Gerhard Schwabe, Geschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbandes Dresden, bestätigt „ganz wenige punktuelle Stornierungen“ von Hotelbuchungen. Es gebe jedoch häufiger Gästeanfragen, die sich über die Situation in Dresden informierten. Die Unterkünfte blieben für das kommende Wochenende aber nahezu ausgebucht.
Beim Kontakttelefon der Polizeidirektion Dresden, das diese für die Feiern eingerichtet hat, sind nach Auskunft eines Sprechers nur die gewohnten Anfragen nach Straßensperrungen oder anderen praktischen Problemen eingegangen. Besorgte oder verängstigte Anrufe aus Verunsicherung wegen der Anschläge seien nicht zu registrieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus