Annalena Baerbock besucht die CDU: Letzte Ausfahrt Schwarz-Grün?
Die CDU wird 75. Grünen-Chefin Annalena Baerbock bringt einen Strauß Komplimente mit – und will auf keinen Fall über das Offensichtliche reden.
Die CDU wird 75 Jahre, Lammert hat dazu einen 700 Seiten dicken Band herausgegeben. Das Buch ist keine der bei Jubiläen üblichen Selbstbeweihräucherungen, sondern lässt Lage und Geschichte der CDU von rund 20 Autoren (und wenig Autorinnen) ausleuchten, von Historikern, Journalisten, Politikwissenschaftlern.
Schon dass die Union es für nötig hält, über sich selbst zu reflektieren, kann als eine Art Krisensymptom gelesen werden. Der normale Modus ist, nicht erst seit Merkel, ein robuster Alltagspragmatismus, der ohne leuchtende Zukunftsideen, funkelnde Werte und diskursive Rückversicherungen auskommt.
Die entscheidenden politischen Weichenstellungen, von der Westbindung über den beschleunigten Atomausstieg bis zum Flüchtlingsherbst 2015, wurden im Kanzleramt getroffen, nicht auf Parteitagen. Die Union ist eine Art Staatspartei der Bundesrepublik, die Zukunft hingegen prekär. Was kommt nach Merkel? Ist Volkspartei ein Auslaufmodell? Ist Schwarz-Grün die Lösung?
Demut, eines von Baerbocks Lieblingsworten
Zur Lobrede auf Buch und Partei ist die Grünen-Chefin Annalena Baerbock geladen, die diese Rolle in dem coronabedingt dünn mit Maskierten besetzten kleinen Saal recht aufgeräumt nachkommt. Baerbock, geboren 1980 im Gründungsjahr der Grünen, lobt fast überschwänglich Helmut Kohl für Wiedervereinigung und Maastricht. Die Grünen hätten 1990 und 1992 gegen die deutsche Einheit und Euro votiert und seien damit auf dem Holzweg gewesen. Das müsse sie als Grüne im Rückblick mit Demut, eines ihrer Lieblingsworte an diesem Abend, in Erinnerung rufen.
Die Grünen-Chefin flankiert die Eloge auf die segensreiche Wirkung der CDU – Westbindung, soziale Marktwirtschaft, Europa – mit freundlich vorgetragenen Ermahnungen vom Merkels Mittekurs nicht abzuweichen oder wieder zum Männerclub zu werden „Bei den sieben CDU-Ministerpräsidenten muss man nicht gendern“, so Baerbock.
Auch die kurz aufflackernde Skepsis in der Unionsfraktion gegen den UN-Migrationspakt fand sie erschreckend. In Sachsen-Anhalt dürfe sich nach der Landtagswahl 2021 Thüringen, die Annäherung der Union an die AfD, nicht wiederholen. Allerdings formuliert die Grünen-Chefin dies als Warnung, nicht als Hürde für eine weitere schwarz-grüne Kooperation.
Baerbocks Kernbotschaft ist nicht Kritik, sondern ein Angebot zur Zusammenarbeit: „Die Klimakrise ist entscheidend für unsere Wettbewerbsfähigkeit in den Zukunftsmärkten“, sagt sie. Die Wirtschaftspartei CDU müsse das mutig angehen, wie beim Euro auch gegen die Mehrheitsstimmung. „Die Union sollte beim Klima nicht den Fehler machen, den wir Grüne bei der deutschen Einheit und Europa gemacht haben“, so Baerbock.
Ein Bauplan für die nächste Bundesregierung
Dieser recht kühne historische Bogen entwirft ein Bild, in dem Union und Grüne nicht Gegner sind, sondern komplementäre Organisationen, die sich gegenseitig brauchen. Es gehe darum „die soziale Marktwirtschaft zur sozialökologischen“ umzubauen, also Tradition und Erfahrung (Union) mit Zukunft (Grün) zu verknüpfen. Das ist ein grober Bauplan für die nächste Bundesregierung.
„Der CDU bleibt als realistische Option für die nächste Bundestagswahl nur eine schwarze-grüne Mehrheit oder Jamaika“, schreibt der grüne Realo Ralf Fücks zutreffend in dem CDU-Sammelband. Die Grünen sind geneigt diese Gelegenheit zu nutzen und ein Bündnis von altem und neuem Bürgertum zu schmieden.
Allerdings soll, wenn es nach der Grünen-Spitze geht, Schwarz-Grün im Bund 2021 noch immer eine Art Geheimakte sein. In Interviews, so Baerbock fast zornig, werde sie nach Koalitionen und Farbenspielen gefragt. Auf der Straße interessiere „das Gerede über Lager niemand“. Also: Immer dran denken, nie drüber reden.
Das wirkt, angesichts der unübersehbaren Symbolik ihres Auftritts in der Konrad Adenauer Stiftung, fast rührend.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis