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Anklage eines linken PressesprechersSein Name war bekannt

Für Aufrufe zu G20-Demos im Hamburger Hafen ist der Sprecher des linken „Social-Strike“ Bündnisses angeklagt worden. Das Verfahren wurde eingestellt.

Keine Barrikaden, keine Steinwürfe: Demo im Hamburger Hafen während des G20-Gipfels. Foto: Jean-Philipp Baeck

BREMEN taz | Über ein Jahr nach dem G20-Gipfel in Hamburg wollte die Staatsanwaltschaft in Bremen den Sprecher eines Blockade-Bündnisses für angebliche Aufrufe zu Straftaten belangen. Tobias H. hatte dafür geworben, am 7. Juli 2017 während des G20-Gipfels den Hamburger Hafen zu blockieren. Mehrere Demos waren in dem Gebiet angemeldet, heraus kam ein friedlicher Protestzug ohne Zwischenfälle.

Anders als im Fall anderer SprecherInnen von Protest-Bündnissen, bei denen die Staatsanwaltschaft Hamburg die Ermittlungen einstellte, wollte die Bremer Staatsanwaltschaft den Fall durchziehen. Am Montag wurde das Verfahren schließlich eingestellt – auf Kosten des Staates, der auch die Anwaltskosten des Angeklagten übernehmen wird.

Schon nach wenigen Minuten hatte Richterin Cosima Freter deutlich gemacht, dass sie der Sicht der Staatsanwaltschaft nicht folgen konnte. „Ich tendiere zu Freispruch“, sagte sie. Weil die Staatsanwältin da aber nicht mitgehen wollte und somit weiterer Verhandlungsaufwand hätte betrieben werden müssen, kam es schließlich zur Einstellung.

Dass er die Anklage als „Einschüchterung linken Protests“ wertete, hatte der Angeklagte Tobias H. schon vor der Verhandlung gesagt. Zwei Dutzend Zuschauer waren zu seiner Unterstützung gekommen. H. ist nach dem G20-Gipfel nicht der einzige Pressesprecher einer linken Gruppe, gegen den wegen öffentlicher Äußerungen ermittelt wurde – aber sein Fall landete vor Gericht.

SprecherInnen im Visier

Nicht nur gegen den Sprecher des „Social Strike“-Bündnisses wurde nach dem G20-Gipfel wegen Statements ermittelt.

Auch gegen Emily Laquer, Sprecherin der Interventionistischen Linken, war ermittelt worden, die zur Blockade der Konvoi-Routen von Trump und Co. aufgerufen hatte.

Ebenso liefen Ermittlungen gegen Rote-Flora-Anwalt Andreas Beuth und die Organisatoren der „Welcome to Hell“-Demonstration, Andreas Blechschmidt und Michael Martin.

Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungsverfahren gegen Laquer, Beuth, Blechschmidt und Martin sieben Monate nach dem Gipfel eingestellt.

Wegen angeblicher Äußerungen in einem taz-Interview hatte es schon vor dem G20-Gipfel eine Razzia mit vorgehaltenen Maschinenpistolen bei Deniz Ergün gegeben, Sprecher der Gruppe „Roter Aufbau Hamburg“ und Mitorganisator eines Protestcamps während des G20-Gipfels. Ergüns Wohnung wurde gestürmt, weil er angeblich einen Brandanschlag auf den Veranstaltungsort des Gipfels, die Hamburger Messehallen, gerechtfertigt haben soll. „Ich bin recht präsent in der Medienöffentlichkeit“, erklärte sich der Aktivist damals die Aufmerksamkeit durch die Polizei.

Vorgeworfen wurden H. mehrere Statements, die er als Sprecher des „Social Strike“-Bündnisses unter anderem im Frühjahr 2017 vor dem G20-Gipfel abgab. H. hatte unter dem Pseudonym Timon Simons in mehreren Interviews erklärt, wie das Bündnis während des G20-Gipfels im Hamburger Hafen protestieren wolle und warum es zu „massenhaftem Ungehorsam“ aufrief.

Man wolle sich der „Logistik des Kapitals in den Weg stellen“, erklärte H. „Wir spekulieren auf viele Hundert, wenn nicht gar Tausende Menschen, die mit uns gemeinsam mit dem Einsatz ihrer Körper auf die Straße gehen werden.“ Vor Augen habe man „ein bisschen die Aktivitäten und Proteste der Kollegen und Kolleginnen in Südfrankreich, die versucht haben, miteinander Raffinerien zu blockieren im Zuge von Streiks“.

„Logistiker der linksextremen Szene“

Für die Bremer Staatsanwaltschaft hatte H. damit zu Straftaten aufgefordert, war „Gesamtaktionsplaner“ und ein „Logistiker der linksextremen Szene“. Dafür, dass Timon Simons auch wirklich H. ist, holte man eigens ein „Behördenzeugnis“ des Landesamtes für Verfassungsschutz ein. Besonders die Referenz auf den Streik in Frankreich hielt ihm die Staatsanwaltschaft vor, wo es zu „schwersten Straftaten“ gekommen sei, wie es zunächst in einem Strafbefehl hieß, den H. nicht akzeptierte.

Angestoßen worden waren die Ermittlungen durch einen Bremer Polizisten. Er sei von einem Kollegen auf das Video aufmerksam gemacht worden, sagte der 60-Jährige, der als einziger Zeuge geladen war. Der Name von H., der sich in Bremen regelmäßig öffentlich politisch äußert und als Anmelder von Demonstrationen auftritt, sei ihm bekannt gewesen, so der Polizist.

Als die Richterin den Zeugen fragt, warum er überhaupt eine Straftat vermutete, bleibt er vage. Man habe die Aussagen als „grenzwertig“ erkannt. „Wir hatten die Sorge, dass das eskaliert.“ Ob er sich denn erkundigt hätte, ob die Demonstration, zu der H. aufgerufen hatte, angemeldet war? Er sei davon ausgegangen, sagt der Polizist, aber wirklich recherchiert habe er das nicht. Trotzdem landete das Ganze dann bei der Staatsanwaltschaft.

„Ein Ärgernis“ sei das, sagte Rechtsanwalt Helmut Pollähne, der H. verteidigte. „Zumindest im Fall der Polizei kann man schon von einer Kriminalisierung sprechen“, sagte er der taz. „Das ist hart an der Grenze zur Verfolgung Unschuldiger.“

Tatsächlich verlief die Blockade, zu der H. aufgerufen hatte, völlig friedlich. Mehrere Hundert Menschen zogen am Morgen des 7. Juli 2017, dem ersten Tag des G20-Treffens, ohne Zwischenfälle durch das Gebiet des Hamburger Hafens. Während nördlich der Elbe die Hubschrauber kreisten und Rauchsäulen brennender Autos aufstiegen, wurden südlich der Elbe Äpfel verteilt und Transparente gegen den Kapitalismus, Staat und Nationalismus gehisst. Begleitet von PolizistInnen ohne Helme – an den Gipfeltagen ein seltenes Bild. Einer der Polizisten sagte der taz damals sinngemäß, dass er sogar froh sei, wenn die Hafen-Demo länger andauere. „Denn danach müssen wir da hin“, sagte er, und zeigte Richtung Innenstadt, wo der Rauch aufstieg.

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5 Kommentare

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  • "[Nach Einstellung des Verfahrens] auf Kosten des Staates, der auch die Anwaltskosten des Angeklagten übernehmen wird." Auf welcher Rechtsgrundlage geschah die Kostenübernahme? Diese Frage ist deshalb wichtig, da aufgrund einer gesetzlichen Schutzlücke die Staatsanwaltschaft außerhalb des §344 StGB nach belieben Unschuldige mit anwaltspflichtigen Verfahren überziehen und diese wieder einstellen kann, wobei die Angeklagten dann auf den Anwaltskosten sitzen bleiben - so geschehen im mg-Verfahren und vor einem Jahr in einem Prozess in Koblenz.

    • @JLloyd:

      Soweit die Eröffnung eines Hauptverfahrens abgelehnt oder das Verfahren eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten bzw. Betroffenen grundsätzlich der Staatskasse zur Last (§ 467 Abs. 1 StPO, § 46 OWiG). Eine abweichende Kostenentscheidung, etwa nach § 467 Abs. 2 StPO bedarf einer ausdrücklichen Begründung durch das Gericht.[34]

      de.m.wikipedia.org...rens_(Deutschland)



      …servíce!;)

      • @Lowandorder:

        @Lowandorder Recht haste - die Kosten in Koblenz blieben stehen, weil ein Verfahrenshindernis bestand.

        • @JLloyd:

          kl. Hinweis für Rechtsstaatinteressierte!;)

          Die obige Regelung ist Ausdruck/Ausformung.



          Der fortbestehenden Unschuldsvermutung.



          Daher dann auch die Begründungspflicht bei Abweichung durch das Gericht im Einzelfall.

  • Tja - So wird unser Rechtsstaat.

    Nach dem via Karlsruhe - die Demonstrations&Meinungsfreiheit!



    Verfassungsverbürgt - zu den Grundbedingungen unserer



    Demokratisch verfassten Republik gehört!



    Durch offensichtlichrechtsblinde Exekutiv-Hansels!



    Scheibnerweise zu Grabe getragen!

    Der Souverän - der Bürger - braucht stattdessen!



    Ein breites Kreuz - & Glück bei der Auswahl des gesetzlichen



    Richters - bzw hier Richterin - um diesem antidemokratischen



    Ansinnen ja der dreisten Collusion staatlicher Gefährder - Paroli biete zu können!



    &



    Jau. Liggers. Mut & gute Nerven. Chapeau.