Ankerzentren in Bayern: Um vier Uhr früh wird abgeschoben
Die bayerischen Ankerzentren sind ein Ort der Isolation und der Angst. Die Stimmung kann eskalieren – wie jetzt in Donauwörth.
So geht das schon seit über einem Jahr, im September 2017 ist S. als Asylbewerber nach Deutschland gekommen. Er habe sich in Kabul geweigert, Schwarzgeld zu waschen, und sei deswegen bedroht worden. Nun sitzt er in der Sammelunterkunft, die bis Ende Juli noch „Transitzentrum“ hieß, seit August trägt sie auf Geheiß der Bayerischen Staatsregierung den Titel „Ankerzentrum“. Nachts kommt oft die Polizei – „immer um vier Uhr“, sagt S. Dann stehe eine Abschiebung an, er habe schon viele miterlebt.
Seit August wird jeder neu ankommende Flüchtling in Bayern in einem der sieben Ankerzentren im Freistaat einquartiert. Dort muss er bleiben, bis über seinen Fall entschieden ist. „Anker“ steht für „Ankunft, Entscheidung und Rückführung“. Möglichst schnell, effektiv und ohne unnötige Bürokratie soll das gehen, in den Zentren sitzen die Entscheidungsträger mit Außenstellen direkt vor Ort – das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) sowie das Verwaltungsgericht, die Rückkehrberatung und die Arbeitsagentur. Alles soll in einem Rutsch erledigt werden.
Bayern setzt damit um, was Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) für ganz Deutschland vorschwebt. Vorgesehen ist eine Verweildauer von maximal sechs, bei bestimmten Gruppen auch bis zu 24 Monaten. Wie lange die Flüchtlinge aber tatsächlich dort ausharren, darüber gibt es bisher keine Auskunft vom bayerischen Innenministerium oder von der Regierung von Oberbayern.
Auch in Sachsen gibt es seit Anfang August ein Ankerzentrum, seit Ende September eines im saarländischen Lebach. Ende Oktober besuchte Seehofer die Einrichtung und zeigte sich zufrieden: „Nur vier Wochen nach der Inbetriebnahme dieser Ankereinrichtung bin ich von der guten und reibungslosen Zusammenarbeit der beteiligten Stellen beeindruckt“, sagte er.
Wer reindarf bleibt offen
In der Ingolstädter Marie-Curie-Straße 13, einer von drei Außenstellen des Ankerzentrums Manching, berichtet Farhad S. derweil vom Alltag in der Unterkunft: Er ist alleine eingereist und volljährig, sein Asylantrag wurde abgelehnt. Seine Angehörigen hingegen – Mutter, Vater und drei jüngere Brüder – haben einen Schutzstatus erhalten und leben in München. Besuchen darf S. sie nicht, weil er wegen der im Ankerzentrum herrschenden Residenzpflicht den Bezirk Ingolstadt nicht verlassen darf. Und sie dürfen nicht zu ihm ins „Camp“, wie die Flüchtlinge die Unterkunft bezeichnen. Besuch von außerhalb ist verboten, rund um die Uhr bewachen Sicherheitsleute das hoch eingezäunte Areal. S. könnte die Familie nur außerhalb in Ingolstadt treffen.
Ein Gefängnis ist das Camp zwar nicht, aber es ist ein abgesperrter Ort: Außer den Behörden und anderen Berechtigten wie etwa der Caritas-Sozialberatung darf niemand hinein. Verwandte oder auch Freunde der Kinder in der Unterkunft werden abgewiesen. Der Bayerische Flüchtlingsrat habe offiziell Hausverbot, sagt Jana Weidhaase von der Organisation. „In den letzten Monaten hat sich das Beratungsangebot für die Geflüchteten in den Unterkünften zwar erweitert, aber kritischen Organisationen wird der Zutritt weiter verwehrt.“
Eine Sprecherin der Regierung Oberbayerns bestreitet ein „generelles Hausverbot“ und betont, grundsätzlich werde „jeder einzelne Zutrittsantrag geprüft“. Derzeit liege „keine offene Anfrage des Bayerischen Flüchtlingsrats“ vor. Auskunft darüber, welche Institution wo reindarf, will die Sprecherin nicht geben – dies sei nicht aussagekräftig, da der aktuelle Stand „sich wöchentlich ändern kann“.
„Schlafen, essen, warten“
Auch Medien erhalten keinen Zutritt. Das Innere des Ankerzentrums bleibt für die Öffentlichkeit verschlossen. Im Mai hatte die Regierung von Oberbayern bisher einmalig einen Termin festgelegt, an dem Journalist*innen als große Gruppe, geführt und unter Aufsicht, das Ankerzentrum Manching anschauen durften. Die Bewohner*innen protestierten, um auf ihre Lage aufmerksam zu machen.
Die Stimmung in den Zentren kann eskalieren. So endete beispielsweise eine Essensausgabe im Ankerzentrum in Donauwörth jetzt in einer Randale von 50 Bewohnern. Ein Mann hatte sich beschwert, weil er keine zusätzlichen Semmeln bekommen hatte, teilte die Polizei am Sonntag mit. Daraufhin solidarisierten sich mehrere Bewohner mit dem Mann. Einer von ihnen soll den Angaben zufolge dabei mit einer Bierbank gegen eine Scheibe des Speisesaals geschlagen und das Glas beschädigt haben. Polizisten rückten an und beruhigten die Situation. Verletzte gab es nicht.
Bayernweit gibt es derzeit dem bayerischen Innenministerium zufolge 14.000 Plätze in den Ankerzentren, gegenwärtig sind 9.000 belegt. „Schlafen, essen, warten“ – so beschreibt S. das Leben im Ankerzentrum.
Die Menschen erhalten vor allem Sachleistungen, also etwa ein Bett, dreimal am Tag eine Mahlzeit und Tickets für den öffentlichen Nahverkehr. Nur was sich durch Sachleistungen nicht regeln lässt, wird durch Geldleistungen abgedeckt. Die Bewohner erhalten ein Taschengeld von 90 Euro im Monat und jedes Vierteljahr 100 Euro für Bekleidung.
„Menschenunwürdig“
Der Bayerische Flüchtlingsrat lehnt Ankerzentren ab, er bezeichnet sie als „Abschiebelager“. Die Lebensbedingungen seien „menschenunwürdig“, heißt es in einer Stellungnahme. Beklagt werden „hohe Zäune, geschlossene Tore, Überwachung, Wohnen auf engstem Raum“. Vor allem gehe es um Abschottung.
Auch Pro Asyl kritisiert die Ankerzentren scharf – sie behinderten nicht nur jede Integration, zu befürchten sei auch eine Entrechtung der Menschen. „Die ersten Erfahrungen mit den Ankerzentren bestätigen unsere Befürchtung“, sagt Günter Burkhardt, Geschäftsführer der NGO. Die Anerkennungsquote für Schutzsuchende aus Afghanistan etwa liege in Manching bei rund 27 Prozent, also weit unter dem Bundesdurchschnitt von etwa 49 Prozent – das geht aus einer Kleinen Anfrage der Linkspartei an die Bundesregierung hervor. Die Ursachen dafür sieht Burkhardt unter anderem in der Isolation in den Zentren. Wenn Ehrenamtliche keinen Zugang hätten, fehle es an unabhängiger Beratung.
Im Koalitionsvertrag heißt es: „Eine unabhängige und flächendeckende Asylverfahrensberatung ist zu gewährleisten.“ In den bayerischen Ankerzentren wird diese durch Bamf-Mitarbeiter*innen durchgeführt. „Parallel existieren auch weiterhin Beratungsangebote zum Asylverfahren durch Wohlfahrtsverbände“, teilt das Bamf auf Nachfrage mit.
Da Vertreter*innen dieser Verbände das Ankerzentrum unter Umständen aber gar nicht betreten dürfen, ist der Zugang zur Beratung erschwert. Schutzsuchende müssen die Einrichtung verlassen und sich aktiv Hilfe suchen. Einige Aktivist*innen fahren in unregelmäßigen Abständen mit einem Bus zu den Unterkünften in Manching und Ingolstadt und bieten dort mit Unterstützung von Pro Asyl und dem Bayerischen Flüchtlingsrat ihre Unterstützung an. Dieser ist auch telefonisch erreichbar.
Unabhängig sei die Beratung durch das Bamf nicht, kritisiert Burkhardt. Vor allem fehle es an Informationen, wie man gegen negative Bescheide vorgehen und an welche Anwält*innen man sich dafür wenden könne. „Es ist völlig abwegig, dass ein Bamf-Berater den Flüchtling so beraten kann, dass er gegen den eigenen Arbeitgeber vor Gericht zieht“, sagt er.
Anwaltliche Vertretung oft nicht möglich
Die Bundesrechtsanwaltskammer kritisierte im Oktober, auch die Möglichkeit, unabhängige rechtliche Beratung in Anspruch zu nehmen, sei nicht gesichert. In den Ankerzentren sei vorgesehen, dass die persönliche Anhörung direkt bei Stellung des Asylantrags durchgeführt werde. Die Einrichtungen seien aber meist abseits der Städte gelegen, potenzielle Anwält*innen weit weg. „Dies wird zur Folge haben, dass Asylantragsteller während der persönlichen Anhörung überwiegend nicht anwaltlich vertreten sein werden“, heißt es in der Stellungnahme. Einige Münchner Rechtsanwälte bieten immer wieder in Ingolstadt kostenlos ihre Hilfe an.
Doch auch dorthin müssen die Geflüchteten erst einmal kommen. Die Einrichtung in der Marie-Curie-Straße etwa liegt mitten in einem Ingolstädter Gewerbegebiet, in der Nähe ist die riesige Erdölraffinerie zu sehen. Jede Stunde kommt ein Bus, die Haltestelle heißt „Existenzgründerzentrum“.
Im Westen Ingolstadts liegt das Heim an der Neuburger Straße, das ebenfalls an Manching angeschlossen ist. Dort lebt Dimitry S. aus der Ukraine derzeit mit seiner Frau und den zwei Töchtern – die jüngere ist vier Monate alt. Seit mehr als anderthalb Jahren sind sie hier. In Kiew hat S., so erzählt er, als Jurist für Oppositionsparteien gearbeitet, um die grassierende Korruption aufzudecken. Dann steckte ihm jemand, dass er bald verhaftet würde.
Die Familie hat zwei Zimmer, aber keine Kochgelegenheit. Zu bestimmten Zeiten wird Verpflegung ausgegeben. „Es gibt kein Privatleben“, sagt der 32-Jährige, die Zimmertüren könnten nicht abgeschlossen werden. Sie haben deutsche Freunde mit Kindern in Ingolstadt. Besuchen können die sie aber nicht. „Wir wollen uns integrieren“, sagt Dimitry S., „aber es wird uns schwergemacht.“
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