Anhörung zum Sturm aufs US-Kapitol: Gewalt bewusst in Kauf genommen
Beim achten Hearing äußern sich Zeugen vor dem US-Kongress. Das bisherige Fazit: Trump hat beim Sturm aufs Kapitol befeuert.
Das hat am Donnerstag abend zur besten US-Sendezeit der Untersuchungsausschuss des US-Kongresses zum Kapitolsturm zutage gefördert. Sein Fazit: Trump hat die Gewalt bewusst in Kauf genommen, um an der Macht zu bleiben.
Dutzende von engen Mitarbeitern, Abgeordnete beider Parteien, die aus Verstecken anriefen, in die sie vor den Kapitolsstürmern geflohen waren, und Trumps eigene Kinder drängten Trump, endlich einzugreifen und seine Anhänger zurückzurufen.
Statt ihrem Rat zu folgen, goss Trump zusätzliches Öl ins Feuer. Als die Kapitolstürmer bereits „Hängt Mike Pence!“ skandierten, bezeichnete Trump in einem Tweet seinen Vizepräsidenten als Feigling, weil der sich geweigert hatte, ohne jede rechtliche Grundlage die Zertifizierung von Joe Bidens Wahlsieg zu verhindern.
Pat Cipollone: Niemand fand Trumps Verhalten angemessen
Trump war nur wenige Schritte von dem Briefing-Raum des Weißen Hauses entfernt, in dem rund um die Uhr eine Kamera steht, in die der US-Präsident sprechen kann. „Wir hätten die Medien binnen weniger Minuten holen können“, erklärte Sarah Matthews, die bis zu dem 6. Januar in Trumps Presseteam arbeitete. Matthews hat Wahlkampf für Trump gemacht. Bei seinen Auftritten vor Zigtausenden Anhängern hat sie beobachtet, wie sie sich „an jedes Wort und jedes Tweet von ihm klammerten“. Sie ist sicher, dass er in der Lage gewesen wäre, den Sturm auf das Kapitol mit wenigen Worten zu beenden.
Am Donnerstag Abend ist sie als Zeugin in den Sonderausschuss geladen. „Die Situation im Kapitol war ganz offensichtlich gewalttätig und eskalierte schnell“, sagt sie, „mit seinem Tweet gab der Präsident diesen Leuten grünes Licht. Sagte ihnen, dass ihre Wut berechtigt war“.
Neben ihr sitzt Matthew Pottinger, ein Veteran der Marines, der als Vizechef von Trumps Nationalem Sicherheitsrat arbeitete. Pottinger war „verstört darüber, dass der Präsident den Vizepräsidenten attackierte, weil der seine verfassungsmäßige Pflicht im Kapitol tat. Matthews und Pottinger sind Konservative, die sich politisch bei Trump zuhause gefühlt haben.
Am Abend des 6. Januar kündigen beide ihre Jobs im Weißen Haus. Sie waren nicht die einzigen, die an dem Tag den Entschluss gefasst haben, zu gehen. Vor dem Sonderausschuss fällt Trumps damaligem Justiziar, Pat Cipollone, kein einziger Mitarbeiter im Weißen Haus ein, der Trumps Schweigen angemessen gefunden hätte.
Weitere Zeugen kommen im September
Die Chronologie von Trumps zentraler Rolle an dem Tag beginnt mit seiner Rede vor Zigtausenden Anhängern, bei der er sie auffordert, zum Kapitol zu marschieren und mit derselben falschen Behauptung die Stimmung anheizt, die er seit seiner Wahlniederlage wiederholt hat: „Die Wahlen sind gestohlen“.
Wenig später überrennt die Vorhut der Kapitolsstürmer drei Kilometer entfernt die ersten Linien der Kapitolspolizei. Im Weißen Haus lehnt es gleichzeitig der Secret Service – der Personenschutz des Präsidenten – ab, ihn zum Kapitol zu fahren. Die Sicherheitsleute halten es für zu riskant. Sie wissen, dass zahlreiche „Demonstranten“ bewaffnet nach Washington gekommen sind.
Dem Präsidenten ist das ebenfalls bekannt. Aber er glaubt, dass sie ihre Waffen nicht gegen ihn richten werden. Der Tag endet mit Trumps verspäteter Ansprache kurz nach 16 Uhr, bei der er an der Behauptung von gefälschten Wahlen festhält. Seine Anhängern aber zugleich auffordert, nachhause zu fahren. „Wir lieben Euch“, versichert er ihnen. Nur Momente später verlassen die ersten Anhänger das Kapitol.
Ursprünglich sollte das achte Hearing das letzte öffentliche des Sonderausschusses werden. Doch die Abgeordneten haben neue Spuren gefunden, weitere Zeugen gewonnen, und so geht es nach der Sommerpause im September weiter, kündigt der Vorsitzende Bennie Thompsen an, der wegen seiner Covid-Erkrankung aus der Quarantäne an der Sitzung teilnimmt.
Ebenfalls im September scheint Trump zu planen, seine nächste Präsidentschaftskandidatur für das Jahr 2024 anzukündigen. In der rechten Basis ist die Popularität des Ex-Präsidenten weitgehend ungebrochen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin