Angst vor Verkehrskollaps: Achim gegen Amazon
Der Online-Versandhändler Amazon will in Achim ein neues Logistikzentrum bauen. Anwohnerproteste gibt es vor allem wegen des zusätzlichen Verkehrsaufkommens.
Das Verkehrsaufkommen wird mit Amazon steigen, sowohl durch die LKWs als auch durch die PKWs der bis zu 2.000 geplanten neuen MitarbeiterInnen – das bestätigt auch Heinz Masur, ein Verkehrsgutachter für Amazon aus Hannover.
Er sagt aber auch: „Aus verkehrstechnischer Sicht ist das Ding erschließbar.“ Die Spitzenzeiten von Amazon seien jeweils eine Stunde vor den üblichen Stoßzeiten. Außerdem seien die Stauzeiten auf der Autobahn in Wirklichkeit nicht so hoch wie in der Diskussion behauptet würde.
Masur ist es, der bei der anschließenden Fragerunde vor allem ins Kreuzfeuer der AnwohnerInnen gerät. Er argumentiert, dass mit der Ansiedlung von Amazon ein Handlungsbedarf entstehen würde, der durch Umbaumaßnahmen die Situation auf den Straßen deutlich verbessern könnte.
Im Gegensatz zu den AnwohnerInnen steht der Bürgermeister von Achim dem geplanten Neubau positiv gegenüber: Rainer Ditzfeld (parteilos), der an diesem Abend sowohl mit Applaus als auch mit Buhrufen begrüßt wird, verweist auf die zusätzlichen Steuereinnahmen und die schnelle Schaffung von Arbeitsplätzen. „Auch geringer qualifizierten Menschen wird so die Chance gegeben, am Arbeitsmarkt teilzunehmen“, sagt er.
Gute Nachbarschaft mit Spendengeldern
Der Amazon-Mitarbeiter Norbert Brandau, der für den Standort Winsen verantwortlich ist, sagt, dass es dort zwar Spitzenzeiten gebe, der Verkehr in Winsen jedoch nicht grundsätzlich erhöht sei. Das liegt seiner Analyse zufolge jedoch auch daran, dass mehr als die Hälfte der MitarbeiterInnen dort mit öffentlichen Verkehrsmitteln kämen. In Achim, prognostiziert er, würden nur 30 bis 40 Prozent mit dem Nahverkehr kommen. Trotzdem kommt er zu dem Ergebnis: „Mit Amazon wird es keine Verkehrsprobleme geben.“
Außerdem betont Brandau, wie wichtig gute Nachbarschaft für Amazon sei. Dazu gehöre auch, sich in der Region zu engagieren: Etwa in Form eines Spendenetats, mit dem der Logistikkonzern auch Kindergärten unterstützen könne.
Brandau spricht von den vielen neuen Jobs in Achim, sowohl im Niedriglohnsektor als auch im höher qualifizierten Bereich. In der Weihnachtszeit könnten es zeitweise bis zu 3.600 Beschäftigte werden, sagt er. Der Mindestlohn liege bei 10,52 Euro pro Stunde, ein monatliches Bruttoeinkommen nach 24 Monaten durchschnittlich bei 2.600 Euro.
Matthias Hoffmann von der Gewerkschaft Ver.di in Lüneburg hält das Gehalt bei Amazon für angemessen – immerhin liege es über dem Mindestlohn. Besonders für Menschen, die nach langer Arbeitslosigkeit über das Jobcenter zu Amazon kommen, sei diese Summe „nicht wenig“.
Ver.di kritisiert aber, dass der Internetgigant sich weigert, über Tarifverträge zu verhandeln. Stephan Eichenseher, Sprecher von Amazon, argumentiert dagegen, dass ein Tarifvertrag den MitarbeiterInnen keine Vorteile verschaffe. „Wir beweisen jeden Tag, dass man auch ohne Tarifvertrag ein guter Arbeitgeber sein kann“, sagt er.
Kontrolle aus Gründen der Sorgfaltspflicht
Ein Problem ist aus Sicht der Gewerkschaft auch der hohe Leistungsdruck, der auf die MitarbeiterInnen ausgeübt werde. Außerdem habe es Fälle von Kündigungen nach nur sehr kurzer Zeit oder nach Krankheit gegeben.
Über Scanner sind die Beschäftigten Teil des digitalen Systems, es gebe Fälle, in denen ArbeiterInnen abgemahnt würden, wenn sie sich zu lange auf der Toilette aufhielten oder länger als drei Minuten inaktiv seien. Der Mensch sei bei Amazon ständig im Wettbewerb. „Solidarität unter Beschäftigten wird nicht gewünscht“, sagt Hoffmann.
Amazon-Sprecher Eichenseher zufolge entspricht dieser Vorwurf nicht der Wahrheit. Da kein örtliches Tracking durchgeführt werde, entspreche die Kontrolle eines/r Beschäftigten nach etwa einer halben Stunde lediglich der Sorgfaltspflicht, dass der Person nichts passiert sei.
Logistikflächen sind schwer zu finden
Die Gründe, warum Amazon sich seit etwa einem Jahr für Achim interessiert, sind vor allem die in Deutschland immer schwieriger zu findenden Logistikflächen und die gute Anbindung an Bremen, Hamburg und Hannover.
Der für das Jahr 2014 geplante Standort in Bremen, für den die Stadt bereits grünes Licht gegeben hatte, wurde von Amazon wieder zurückgezogen. Das Unternehmen hatte entschieden, keine neuen Standorte in Deutschland zu bauen, sondern in Polen und Tschechien.
Warum der Logistikkonzern jetzt nach Achim will statt nach Bremen, darauf weiß Eichenseher keine Antwort. In Achim wird der Bebauungsplan am 17. Mai in den Stadtrat gegeben. Wie zur Beruhigung sagt Bürgermeister Ditzfeld zu den BürgerInnen: „Es ist noch nichts in trockenen Tüchern, noch kein Vertrag unterschrieben.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen