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Angriffskrieg in der UkraineDie Zerstörung in Familien

Der Krieg findet in der Ukraine statt. Aber für viele postsowjetische Mi­gran­t:in­nen wie mich liegt der persönliche Kampf in der eigenen Familie.

Der Krieg berührt postsowjetische Migrant:innen: 3,5 Millionen leben in Deutschland Foto: Ute Mahler/Ostkreuz

Wie geht es eigentlich deiner Mutter?“ Diese Frage traf mich unvorbereitet. Ich fühlte mich erwischt, wusste nicht, was ich antworten sollte. Ich sagte: Gut, denke ich. Und schob hinterher: ich weiß nicht. Die ehrliche Antwort wäre gewesen, ich kann es nicht wissen, weil ich mich seit Ausbruch des erweiterten Krieges in der Ukraine davor scheue anzurufen. Aus Angst vor unserem Gespräch, einem falschen oder unbeholfenen Satz von ihr, der mich wütend machen könnte. Dabei bin ich mir sicher, dass sie diesen Krieg nicht gutheißen kann. Ich habe sie nicht angerufen: nicht meine Mutter, nicht meine Oma oder meinen Vater. Feige bin ich, denke ich in diesen Tagen über mich selbst, weil ich mögliche Konflikte mit ihnen meide.

Der russische Angriffskrieg, er findet in der Ukraine statt. Aber für viele postsowjetische Mi­gran­t:in­nen wie mich liegt der persönliche Kampf auch hier, mitten in Deutschland, in der eigenen Familie. Rund 3,5 Millionen gibt es von uns, den postsowjetischen Migrant:innen. Bis zum 24. Februar waren wir für viele meist unsichtbar oder pauschal Russen, dabei sind wir viel diverser. Kinder und Enkelkinder derjenigen, die sich einmal auf den Weg aus der Ukraine, aus Russland, Kasachstan oder Moldau hierher gemacht haben, sind seit mehreren Wochen laut. Der Krieg hat uns sichtbar gemacht.

Ich sehe Freun­d:in­nen und Bekannte, Kolleg:innen, die Unglaubliches leisten mit ihrem Engagement: Manche empfangen seit Wochen am Hauptbahnhof Flüchtlinge, andere schreiben Artikel oder organisieren Hilfskonvois in die Ukraine. Wer keine direkte Familie in der Ukraine hat, hat oft Freundschaften oder berufliche Beziehungen dorthin. Und eben auch nach Russland.

Man kennt die einen, die vom Krieg, und die anderen, die durch ein autoritäres Regime bedroht sind. Dazwischen stehen manchmal Familienangehörige in Deutschland, die jede Möglichkeit hätten, ihre Freiheit zu nutzen und sich doch dagegen entscheiden. Wo hört Verständnis auf? Wie geht man mit dieser Zerrissenheit um?

Seit 2014 schreien wir uns an

Diese Konfliktlinien, diese Risse, sie existieren schon länger. In meiner Familie schrie man sich seit dem Krieg in der Ostukraine 2014 an. Regelmäßig, im Sommer, bei unseren Besuchen in Transnistrien, meinem Geburtsort, einer prorussischen Provinz, eingequetscht zwischen Moldau und der Ukraine. Zwei Welten prallten da aufeinander. Ich, die Enkelin, die Nichte und Cousine, die das Glück hatte, in Deutschland aufzuwachsen, und dort die Großeltern, Onkel und Tanten, Cousinen und Cousins. Jeder Streit endete mit meinen Tränen und dem wütenden Entschluss, mich von diesem Teil der Familie abzuwenden. Zu groß war für mich der Meinungsgraben. Aber jedes Mal brachte ich es nicht übers Herz.

Und heute? Hat man das Recht, weiter Kontakt zu halten? Hat man das Recht, den Konflikt nicht zu suchen, weil man keine Lust hat auf die Verletzung durch die eigene Familie?

Der Krieg löst eine Kette von Zerstörungen aus. Da ist die sichtbare: zerbombte Städte und Straßen, Tote und Verletzte. Das psychische Trauma. Von Überlebenden, ihren Angehörigen und Freund:innen, die um ihr Leben bangten. Da ist eben auch die Zerstörung in Familien hier in Deutschland. Bruchlinien, Risse, die sich spätestens seit 2014 angedeutet haben und nun nicht mehr zu kaschieren sind.

Es ist nicht nur Putins Krieg, sagte mir eine ukrainische Aktivistin kürzlich. Verantwortung tragen auch die, die auf Zivilisten schießen. Und die bewusst nichts gegen Putin unternommen haben. Beginnt Mittäterschaft dort, wo wir uns entscheiden, nicht zu kämpfen, nichts zu sagen? Also auch in der Familie?

Ich habe noch keine Antwort auf diese Fragen. Aber ich glaube, dass wir sie uns stellen müssen.

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Erica Zingher
Autorin und Kolumnistin
Beschäftigt sich mit Antisemitismus, jüdischem Leben, postsowjetischer Migration sowie Osteuropa und Israel. Kolumnistin der "Grauzone" bei tazzwei. Beobachtet antidemokratische Bewegungen beim Verein democ. Axel-Springer-Preis für jungen Journalismus 2021, Kategorie Silber. Freie Podcasterin und Moderatorin.
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10 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Ich bin Ukrainerin – und kann kein Blau-Gelb mehr sehen

    Unsere Autorin Marija Hirt ist Ukrainerin und lebt seit Jahren in Deutschland. Die Solidarität mit ihrer alten Heimat sieht sie mit gemischten Gefühlen

    www.freitag.de/aut...r-ukraine-gewinnen

    • @jeggert:

      Ich habe mir den Artikel von "Marija Hirt" durchgelesen. Leider muß ich sage, ziemlich suspekt.



      Es werden fragwürdige Aussagen gemacht wie "Mariupol ist von Russen bewohnt denen Kiev nicht traut". Wie bitte? DIe Leute in Mariupol fliehen in die Ukraine, nicht nach Rußland. In welche Hinsicht sind es also "Russen".

      Wenn jemand Dinge sagt die 1:1 aus Putins Propaganda stammen nehme ich den Rest nicht ernst.

  • Natürlich hat man das Recht, den Kontakt abzubrechen und das sollte man für sich selbst auch tun, wenn der Kontakt einem selbst nur schadet.

  • "Beginnt Mittäterschaft dort, wo wir uns entscheiden, nicht zu kämpfen, nichts zu sagen?"

    Mir kommt in letzter Zeit öfter das Lied "Song of choice" (v. Peggy Seeger) in den Sinn. Ein wunderbarer Text über Ignoranz und aufstrebenden Faschismus. Es endet mit den Zeilen:



    "And if it happens here, they'll never come for you, because they know you really didn't care."

    Ich möchte der Autorin hier keine(!) persönlichen Vorwürfe machen.

    Aber ich denke, es ist jetzt nötig laut zu sein und sich klar gegen Putins faschistischen Krieg zu stellen! Gerade in Ländern wie Deutschland, in denen wir diese Wahl haben, weil wir keine (ok, kaum) Konsequenzen zu befürchten haben. Wer schweigt in der Hoffnung, es würde schon alles von selber wieder oder soll sich halt wer anders kümmern, bis es dann wieder zu spät ist, macht sich mitschuldig.

    • @~Toni~:

      Nun ist es auch ein Zeichen des Totalitarismus, kein Schweigen zu dulden, nicht nur aktiven Widerstand zu brechen, sondern Bekenntnis und Teilnahme einzufordern. Das vielleicht als kleiner Denkanstoß zum Wochenende...

  • Gut beschrieben, Frau Zingher. Der Riß geht nicht nur durch Familien, er geht auch durch Freundes- und Bekanntenkreise, durch Vereine und Gemeinden.

  • RS
    Ria Sauter

    Nur Mut!



    Das muss sein. Schweigen hilft nie!

  • 8G
    83191 (Profil gelöscht)

    "Verantwortung tragen auch die, die auf Zivilisten schießen. Und die bewusst nichts gegen Putin unternommen haben."

    Diesen Satz kann man auch mit manch anderem Anführer eines westlichen Staates ausfüllen.

    • @83191 (Profil gelöscht):

      Aber nicht nur mit Anführern westlicher Staaten.

      Eigentlich trifft es doch auf jeden Staat und jede Gesellschaft zu.

      • @rero:

        "He's the Universal Soldier and he really is to blame.



        His orders come from far away no more:



        They come from here and there and you and me,



        And brothers, can't you see?



        This is not the way we put the end to war."