Angriffe auf migrantische Restaurants: Im Visier
Migrantische und jüdische Restaurants stehen immer wieder im Fokus rassistischer und antisemitischer Attacken. Nun organisieren sich Betroffene.
Ismet Tekin hat überlebt. Der 37-Jährige blickt mit großem Schmerz auf die vergangenen Monate: „Was wir erlebt haben, wünsche ich niemandem.“ Tekin betreibt zusammen mit seinem Bruder den Kiez-Döner in Halle. Nachdem ein Rechtsterrorist im Oktober 2019 damit gescheitert war, in eine Synagoge einzudringen und die Gläubigen dort zu ermorden, ging er wenige Schritte weiter zum Kiez-Döner. Dort erschoss er Kevin S., der zufällig im Laden war. Andere anwesende Kund*innen und Ismet Tekin konnten in letzter Sekunde flüchten.
Sein Bruder konnte sich hinter der Theke in Sicherheit bringen. Ismet Tekin sagt, dass sich sein Bruder bis heute nicht lange im Laden aufhalten könne. Das Trauma verfolge ihn Tag und Nacht.
Mehmet Turgut wurde vom NSU am 25. Februar 2004 ermordet. Zufällig hatte er in einem Rostocker Dönerimbiss an dem Tag die Schicht eines Freundes übernommen. Wenige Monate später detonierte in der Kölner Keupstraße eine Nagelbombe. Zweiundzwanzig Menschen wurden verletzt.
Die Keupstraße ist für ihre Vielzahl türkischer und kurdischer Gaststätten bekannt. İsmail Yaşar wurde am 9. Juni 2005 vom NSU in seinem Dönerladen in Nürnberg regelrecht hingerichtet. In einem später entdeckten NSU-Propaganda-Video taucht ein fiktives Plakat auf: „Heute Aktion Dönerspieß.“ Zu sehen sind die Opfer des NSU, in der perfiden Fotomontage durchbohren Spieße ihre Köpfe.
Keine Erhebungen, keine Statistiken
Das Attentat von Halle und der NSU-Komplex zeigen beispielhaft, dass migrantische und als „anders“ gelesene Imbisse und Restaurants im Visier von Rechtsterroristen sind. Das Problem ist aber größer als diese beiden prominenten Fälle rechtsextremer Gewalt.
Vorweg: Angriffe und Anfeindungen gegen diese Kleinunternehmer*innen in der Gastronomiebranche werden in Deutschland nicht systematisch erhoben. Es existieren zu diesem Problem keine Statistiken, und so gut wie niemand forscht dazu. Doch ein Blick in die Pressearchive lässt die Dimension dieser Forschungslücke deutlich werden:
Ende September 2015 überfielen vier Neonazis einen Imbiss im bayrischen Ebersberg. Sie schlugen zwei afghanischstämmige Männer mit Baseballschlägern krankenhausreif, versuchten sie mit Messern abzustechen.
Alltag zwischen Rassismus und Gewalt
Im November 2017 wurde Andreas Hollstein, Bürgermeister der sauerländischen Stadt Altena, von einem Rechtsextremisten mit einem Messer angegriffen und schwer verletzt. Was in der Debatte danach unterging: Das Attentat fand in einem Dönerladen statt, die Imbissmitarbeiter retteten mit ihrem beherzten Eingreifen dem Lokalpolitiker damals das Leben.
Im Juni 2019 drehte ein mutmaßlicher Rechtsextremist völlig am Rad. Er bewarf zunächst eine Moschee, später einen Dönerimbiss im sächsischen Cotta mit Steinen.
So sieht der Alltag für viele Imbiss- und Restaurantbetreiber*innen in ganz Deutschland aus. Denn diese Aufzählung könnte man noch einige Seiten lang fortsetzen. Im Archiv tauchen viele Formen von Vandalismus, Gewalt und Rassismus auf: rechtsradikale Mobs, auf Ladenschilder geschmierte Hakenkreuze, Imbissbetreiber*innen, die Todesdrohungen erhalten, demolierte Buden, Pflastersteine und Molotowcocktails, die durch Glasscheiben fliegen, Neonazis, die Mitarbeiter*innen bespucken, bis hin zu Schussattacken, Brandstiftungen und eben auch von langer Hand geplante Anschläge.
Deutscher Neid und Missgunst
In Chemnitz gab es beispielsweise vor und nach den Hetzjagden auf migrantisierte Menschen und Geflüchtete im Jahr 2018 eine Anschlagsserie auf Restaurants, die nicht in das rassistische Weltbild von Neonazis passen. Zuerst traf es das koschere Restaurant Schalom. Drei vermummte Rechtsextremisten schlugen im August 2018 auf den jüdischen Wirt ein und beleidigten ihn antisemitisch. Zwei Monate später stürmte ein Nazi-Trio in dunkler Motorradkleidung und Helmen das persische Restaurant Safran am Chemnitzer Schlossteich. Die Täter demolierten das Inventar und griffen den Besitzer an. Ebenfalls im Oktober 2018 setzten Unbekannte (Hinweise deuten auf rechtsextreme Motive, der Fall wurde bis heute nicht aufgeklärt) das türkische Restaurant Mangal von Ali Tulasoglu in Brand.
Die Künstlerin und Aktivistin Ülkü Süngün aus Stuttgart hat die Verarbeitung dieser Gewalt und das Empowerment der Betroffenen ins Zentrum ihrer Arbeit gestellt. „Seit den sogenannten Dönermorden und dem rassistischen Framing des NSU-Terrors durch Politik, Behörden und Medien bin ich nicht mehr der gleiche Mensch“, sagt Süngün. Die 50-Jährige sieht einen klaren Fokus von Nazistrukturen in ganz Deutschland auf Gaststätten, die von Angehörigen von Minderheiten betrieben werden. Warum aber nur triggern diese Orte die rechtsradikale Gewalt?
Süngün ist sich sicher, dass die Antwort im Zusammenspiel von Rassismus, Klassismus und Kapitalismus liege. „Diese Restaurants und Imbisse symbolisieren die Emanzipation von so vielen Migrant*innen. Sie haben sich, teilweise als ehemalige Gastarbeiter*innen, von Jobs befreit, in denen sie von weißen Deutschen drangsaliert wurden. Sie haben sich eigene Existenzen aufgebaut, bei denen sie selbst die Chefs sind“, sagt Süngün. Und der teils große wirtschaftliche Erfolg dieser Unternehmer*innen ärgere halt viele Menschen innerhalb der Mehrheitsgesellschaft, einige radikalisierte Rechte sähen dann einen Anlass, dagegen gewalttätig vorzugehen.
Der Historiker Götz Aly hat den deutschen Neid analysiert als Teil der antisemitischen Durchtränkung der deutschen Gesellschaft. Zu den traditionellen, seit dem frühen Christentum und über das Mittelalter gewachsenen Formen des Antisemitismus gesellten sich Missgunst gegenüber Jüdinnen*Juden, die sich im Zuge ihrer Emanzipation im 18. und 19. Jahrhundert in Wissenschaft, Wirtschaft und eben auch als erfolgreiche Unternehmer*innen hochgearbeitet hatten. „Sobald die Zurückgebliebenen aufholen, wächst der Neid, weil die besseren gesellschaftlichen Positionen auch für sie erreichbar werden“, schreibt Aly.
Seine Analyse bespricht ganz andere Kontexte, die in das Menschheitsverbrechen der Shoah münden, sie bezieht sich allerdings explizit auf die Missgunst in radikalisierten, arisch-deutschen und christonormativen Kasten. Eine Missgunst, die auch bei der Gewalt gegen migrantisierte Unternehmer*innen eine Rolle spielen könnte. Und das obwohl ihre Arbeit sehr oft klassistisch herabgewürdigt wird. Für diese Minderheiten ist selbst dieses stigmatisierte Unternehmertum nicht vorgesehen.
Raum für Austausch
Ülkü Süngün rief auch deswegen vor wenigen Wochen den ersten bundesweiten „Döner-Kongress“ ins Leben. Sie versucht den Betroffenen in diesen – coronabedingt digitalen – Räumen die Möglichkeit zu geben, sich auszusprechen. Zum Kongress eingeladen waren Ismet Tekin aus Halle und Ali Tulasoglu aus Chemnitz.
Tulasoglu erinnerte sich bei seinem Input an die ersten Jahre nach der Wende, als er im Osten Deutschlands die Menschen mit kulinarischer Abwechslung glücklich gemacht habe. „Bis 1998 haben Rechtsradikale jedoch mindestens vier- bis fünfmal unsere Scheiben im Laden kaputt gemacht“, sagte er. Sein Bruder und ein anderer Mitarbeiter seines Ladens seien zusammengeschlagen worden. „Das ging einher mit unserem unternehmerischen Erfolg.“ Der NSU, weiß er heute, residierte damals nur wenige Kilometer von seinem Restaurant entfernt. Die Bedrohung habe sich mit der Zeit gewandelt. Während in den Neunzigerjahren die Nazis ausschließlich in Mobs und Montur vorbeikamen, seien es heute teilweise seine eigenen Kunden, die pöbeln und zuschlagen würden. Sie säßen tagsüber bei ihm im Restaurant und würden seine Kochkünste genießen, abends schlügen sie den Laden kaputt oder beleidigten die Mitarbeitenden rassistisch vor dem Lokal.
Neben türkischen, kurdischen oder arabischen Restaurants sind auch thailändische, vietnamesische oder chinesische Gaststätten betroffen. Als asiatisch gelesene Menschen waren und sind diese Unternehmer*innen in Deutschland ebenfalls Anfeindungen ausgesetzt. Unter ihnen sind aus Sicherheitsgründen nur wenige gesprächsbereit.
Kein Schutz durch Sicherheitsbehörden
Über den Verein Korientation melden sich einige Betroffene, darunter eine Person, die aus Vorsicht anonym bleiben möchte. Sie berichtet von Angriffen auf das chinesische Restaurant ihrer Eltern, in dem sie lange mitgearbeitet habe. In einem baden-württembergischen Dorf sei ihre Familie extremen Anfeindungen und Pöbeleien ausgesetzt gewesen.
Zunächst sei das Restaurantschild entwendet und in den Fluss geschmissen, später die Menütafel vor dem Restaurant mit den Worten „Katzenfleisch mit Curry“ beschmiert worden. Ein rassistisches Stereotyp gegen asiatisch gelesene Menschen. Später sollen Steine durch die Fensterscheibe geflogen und Blumenkästen umgeworfen worden sein. Die Botschaft der hiesigen Rechtsextremisten: In unserem Dorf darf es nur deutsches Essen geben.
Es fängt oft mit solchen Anfeindungen an und endet nicht selten mit lebensgefährlichen oder sogar tödlichen Angriffen auf die Betreiber*innen. Von den Sicherheitsbehörden und der Politik, so berichten mehrere Betroffene, komme kein substanzieller Beistand oder Schutz. Wie kann man diese Unternehmer*innen also unterstützen? Ülkü Süngün formuliert es so „Ihnen gute Nachbar*innen sein: aufmerksam sein, sich für Sorgen und Nöte interessieren und sie dafür achten, was sie tagein, tagaus leisten.“
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