Angriff auf Bürgermeister von Oersdorf: Schlag auf den Kopf

Der Bürgermeister eines Dorfes, das Flüchtlinge beherbergen wollte, wurde verprügelt. Die Polizei ermittelt nun „in alle Richtungen“.

Der Innenminister von Schleswig-Holstein, Stefan Studt, spricht vor einer Tür in Fernsehkameras

„Niemand muss Angst haben“: Der Innenminister von Schleswig-Holstein, Stefan Studt, in Oersdorf Foto: dpa

OERSDORF taz | Backsteinhäuser, reetgedeckte Bauernhöfe, ein Kindertrecker am Straßenrand – Oersdorf in Schleswig-Holstein, rund 20 Kilometer nördlich von Hamburg, sieht aus wie ein Bilderbuchdorf. „Hier wird Politik noch mit Kopf und Hand gemacht“, lautet ein Satz auf der Website der Gemeinde im Kreis Segeberg. Das klingt nun wie ein unfreiwilliger böser Scherz.

Am Donnerstagabend hat ein Unbekannter den Bürgermeister Joachim Kebschul so auf den Kopf geschlagen, dass er sein Bewusstsein verlor. Der 61-jährige Politiker der Wählervereinigung Oersdorf war auf dem Weg zu einer Bauausschusssitzung. Die stand unter Polizeischutz, denn seit Monaten bedrohen Unbekannte Kebschul. Offenbar aus fremdenfeindlichen Motiven: „Oersdorf den Oersdorfern“, hieß es in einem der jüngsten Schreiben.

Der Grund könnten Beratungen des Gemeinderats sein, ein gemeindeeigenes Haus im Ortskern für Flüchtlinge bereitzustellen. Oder gibt es doch ein ganz anderes Motiv? Die Polizei ermittelt „in alle Richtungen“, sagte Innenminister Stefan Studt auf einer Pressekonferenz in Oersdorf.

Denn die Idee, dass Flüchtlinge in das Haus an der Dorfstraße einziehen sollen, sei seit Monaten „vom Tisch“, sagte der stellvertretende Bürgermeister Hans-Hermann Gravert. Eine größere Unterkunft sei ohnehin nie geplant gewesen, betont auch der Amtsvorsteher: „Wir bringen die Menschen gezielt dezentral unter.“

Im Jahr 2015 auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle hatte der Gemeinderat überlegt, eine oder zwei Flüchtlingsfamilien unterzubringen, damals war das Haus an der Dorfstraße aber nicht bezugsfertig. Inzwischen sei gar kein Bedarf mehr, sagten die Lokalpolitiker – und im Dorf ist das bekannt. Zurzeit ist geplant, das Gebäude, das neben dem Gemeindehaus und dicht am Tatort des Überfalls auf den Bürgermeister steht, barrierefrei umzubauen. Entstehen sollen „kleine Wohnungen für Alleinstehende“, so Gravert.

Sitzung unter Polizeischutz

Dennoch „drängt sich durch den Ablauf auf“, in Richtung Fremdenhass zu ermitteln, sagte Innenminister Studt. Der Staatsschutz ist eingeschaltet, alle Briefe und Mails werden analysiert – noch am Morgen nach dem Überfall liefen „kommentierende Nachrichten“ auf den Server der Gemeinde auf.

Vize-Bürgermeister Gravert

„Kaum vorstellbar, dass das jemand von hier ist. Das ist so ziemlich das Schlimmste, was je hier passiert ist“

Bereits seit Juli erhielt Kebschul immer wieder Drohbriefe. Wegen Bombendrohungen wurden schon zwei Sitzungen des Bauausschusses vertagt. Am Donnerstagabend fand das Treffen unter Polizeischutz statt. Kebschul war bereits im Gemeindehaus, fuhr aber kurz nach Hause, um seinen Laptop zu holen. Als er das Gerät aus dem Kofferraum nahm, schlug der Täter zu. Am Tag danach geht es dem Bürgermeister „den Umständen entsprechend gut“, hieß es.

„Wir sind entsetzt. Kaum vorstellbar, dass das jemand von hier ist“, so Gravert. Studt betonte, es dürfe nicht sein, dass „Ehrenamtliche in ihren Aufgaben beeinträchtigt“ werden. Die Demokratie müsse „wehrhaft“ sein. Warum es trotz Polizei vor Ort nicht gelungen war, den Bürgermeister zu schützen, konnte er nicht beantworten: „Hinterher ist man immer schlauer.“

Anfeindungen in jeder zweiten Gemeinde

Auf die Frage eines Flüchtlings, ob er nun Angst haben müsse, verwies Studt auf die große Solidarität der Bevölkerung: „Niemand muss Angst haben.“ Von tätlichen Angriffen auf Kommunalpolitiker sei sonst landesweit nichts bekannt, trotz manchmal schwieriger Debatten in den Gemeinden. Allerdings wurde parallel eine Erhebung bekannt, laut der es in jeder zweiten Gemeinde in Deutschland Anfeindungen gegen Politiker oder Verwaltungsangehörige gibt.

In Oersdorf schießen die Spekulationen ins Kraut, ob jemand die Fremdenfeindlichkeit nur vorgeschoben hat: „Darüber wird viel spekuliert“, so eine Oersdorferin. Für den Ort sei es auf jeden Fall „ziemlich das Schlimmste, was je hier passiert ist“, so Gravert.

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