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Angela Merkel und „Fridays For Future“Ein „Cyberkrieg“ für den Klimaschutz?

Kanzlerin Merkel setzt Schüler*innenproteste in Verbindung mit ausländischer Einflussnahme. Nicht nur die Organisator*innen finden das absurd.

Keine Einmischung aus Russland nötig: Seit Wochen protestieren Jugendliche für den Klimaschutz Foto: reuters

Ob es nun eine ungewohnt unbedarfte Äußerung der Kanzlerin war oder Kalkül: Angela Merkels Kommentar zur Schüler*innenprotestbewegung „Fridays for Future“ in Verbindung mit hybrider Kriegsführung stößt im Internet auf ein großes Echo. Aus der Protestbewegung und aus der Politik wird Merkel heftig kritisiert. Ein Kinderpsychiater hat einen offenen Brief an sie gerichtet. Pressesprecher Steffen Seibert sah sich zu einer Erklärung genötigt, während die Leitfigur der Klimaproteste, Greta Thunberg, die Verschiebung der öffentlichen Diskussion weg von den Inhalten beklagt.

Anlass der Aufregung ist eine Aussage, die die Bundeskanzlerin am vergangenen Freitag in ihre Rede auf der Sicherheitskonferenz in München einfließen ließ. Als sie darüber sprach, welche Rolle das Internet für moderne, hybride Kriegsführung etwa durch Russland spielt, fiel ihr wohl zur Illustration ihrer Gedanken auf die Schnelle kein besseres Beispiel ein als die „Fridays for Future“. Seit Wochen demonstrieren bundesweit und in vielen anderen Ländern Schüler*innen für einen verantwortungsbewussten Umgang mit dem Planeten.

„Diese hybride Kriegsführung im Internet ist sehr schwer zu erkennen, weil Sie plötzlich Bewegungen haben, bei denen Sie gedacht haben, dass die nie auftreten“, dozierte Merkel zunächst, und schob dann hinterher: „In Deutschland protestieren jetzt die Kinder für Klimaschutz, das ist ein wirklich wichtiges Anliegen. Aber dass plötzlich alle deutschen Kinder nach Jahren ohne jeden äußeren Einfluss auf die Idee kommen, dass man diesen Prozess machen muss, das kann man sich auch nicht vorstellen.“

Diese Äußerung sorgt nicht nur bei den Organisator*innen der „Fridays for Future“ für Verwunderung. Merkel erwecke den Eindruck, die Schüler*innen träten nicht aus eigenem Antrieb für den Klimaschutz ein, sondern weil Russland sie dazu verleitet habe. Das führte zu deutlichen Worten von Seiten der Bewegung: „Merkel nennt uns in einem Atemzug mit hybrider Kriegsführung. Das nehmen wir nicht hin. Wir sind eine selbst organisierte Bewegung“, hieß es auf dem Twitter-Account von „Fridays for Future“.

Jugendliche wehren sich gegen Unterstellung

„Wir führen keinen Krieg, wir wollen die größte Krise der Menschheit verhindern“, twitterte Jakob Blasel, einer der bekanntesten Köpfe des deutschen Ablegers der Bewegung. „Anscheinend fehlt der Bundeskanzlerin die Vorstellungskraft, dass Jugendliche sich politisch organisieren und selbst für ihre Zukunft eintreten können“, ergänzte Linus Steinmetz.

Dabei vermuten die Jugendlichen kein berechnendes Kalkül hinter Merkels seltsamen Beispiel, sagte Blasel der taz. Er halte die Aussage der Kanzlerin vielmehr für ein Zeichen, dass die Politik mit den innerhalb weniger Wochen aufgekommenen Protesten überfordert sei. Möglicherweise verstehe Merkel einfach nicht voll umfänglich, was der Protest der Jugendlichen bedeute. Es gehe ihnen darum, dass jetzt gehandelt werden müsse und nicht erst in einer vage formulierten Zukunft.

Immer wenn die Schulstreiks als Thema aufkommen, reden fast alle politischen Führer und viele Journalisten über alles mögliche – außer über den Klimawandel

Greta Thunberg

Unterstützung erhalten die Jugendlichen aus Umweltorganisationen und Politik. Greenpeace-Vizechefin Bunny McDiarmid betonte: „Kinder sind nicht dumm!“, und Juso-Chef Kevin Kühnert ließ sich gleich in einer ganzen Reihe von Tweets über die Äußerung Merkels aus und sprach von einer „Instinktlosigkeit“, anstelle von manipulierten Wahlen ausgerechnet eine Umweltbewegung als Beispiel heranzuziehen.

Der Kinder- und Jugendpsychiater Prof. Dr. Gunther Moll vom Universitätsklinikum Erlangen sah sich von Merkels ungeschicktem Beispiel zu einem offenen Brief veranlasst, den er über das internationale Presseportal Pressenza publizierte. Der Buchautor richtete sich darin direkt an die Bundeskanzlerin und betonte: „Damit die Klimakatastrophe noch abgewendet werden kann, müssen wir unser Klima sofort schützen. Dafür treten die Kinder in unserem Land ein. Nur dafür.“ Er fordere Merkel dazu auf, die Proteste für den Klimaschutz zu unterstützen, anstatt sie mit russischen Manipulationsversuchen in Verbindung zu setzen.

Greta Thunberg sieht falsche Art der Aufmerksamkeit

Regierungssprecher Steffen Seibert sah sich auf Twitter zu einer Richtigstellung genötigt. Merkel habe die Proteste als Beispiel für eine schnelle Mobilisierung durch eine Internetkampagne gewählt, nicht als Beispiel für eine Beeinflussung der öffentlichen Diskussion durch Russland. Peter Tauber (CDU) sprang der Kanzlerin zur Seite: Die aufgeregten Reaktionen seien lediglich ein Versuch, Merkels Rede „eine Verschwörungstheorie unterzuschieben“.

Welchen Nutzen ein anderes Land davon haben sollte, Umweltproteste in Deutschland hervorzurufen oder zu fördern, bleibt ohnehin vollkommen offen. Das Onlinemagazin Telepolis vermutet, Politiker in den Bundesländern könnten Merkels Aussage als Grundlage für ein hartes Vorgehen gegen die Schüler*innenproteste nutzen. Das unglückliche Beispiel der Kanzlerin werde Verschwörungstheoretikern in die Hände spielen, befürchtet das Spiegel-Format Bento.

Greta Thunberg, die Initiatorin der „Fridays for Future“, betrachtet Angela Merkels Äußerung weniger aufgeregt. Böse Absicht unterstelle sie der Kanzlerin nicht, sagte sie am Montag gegenüber Bento. Die schwedische Schülerin glaubt nicht, dass das Bild der Jugendbewegung davon nachhaltig verändert werde. Dagegen störe sie etwas anderes: „Immer wenn die Schulstreiks als Thema aufkommen, reden fast alle politischen Führer und viele Journalisten über alles mögliche – außer über den Klimawandel.“

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11 Kommentare

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  • Diese Aussage unterstreicht nur, wie weit sich die Politik inzwischen von der Bevölkerung entfernt hat.

  • Für betagte Politiker*Innen mit Klappmobilphon ist das eben schwer zu verstehen. Daher: muß Verschwörung sein.

  • Meine Mutti war sie nie. Sie hat die ehemalige Vorreiterrolle Deutschlands in der Klimapolitik konsequent demontiert. Sie ist war schon immer visionslos und geht den Weg der geringsten Konfrontation um ihre Macht zu erhalten. Kohls Erbin halt.



    Ich finde sie einfach schon immer konservativ, langweilig und deutlich vorgealtert.



    Dass sie Jugendliche, Kinder und Umweltsorgen nicht versteht hat sie ja schon oft bewiesen.

  • Es ist unglaublich erschreckend, was das für ein Mensch ist, unsere Liebe "Mutti"!! Statt die Jugendlichen zu unterstützen, wird ihr Protest wieder diffamiert! Mit "Nazi"-gebrüll geht das hier nicht, also muss man einen solchen Quatsch von sich geben. Da fehlen einem die Worte....

  • Merkel und alle, die an ihren marktkonformen Quatsch glauben, können froh sein, dass die kommende Generation bisher vorwiegend nur den verantwortungsvollen Umgang mit der Natur als Problemzone ausgemacht hat.

    Wenn diese Generation dahinterkommt, dass die tieferliegende Ursache für die meisten hausgemachten Probleme dieser Epoche der organisierte Vandalismus namens Kapitalismus ist, wird es spannend. Man braucht keine große Transferleistung, um zu erkennen, dass Ausbeutung und Missachtung der Natur der selben Ideologie folgt und damit die selbe Ursache hat wie Ausbeutung und Missachtung anderer Menschen. Viele der jungen Generation haben Zukunftsängste und massive psychische Probleme, und das im neoliberalen Wunderland, wo doch alles so toll werden sollte.

    Über die traditionellen abgedichteten Kanäle lässt sich diese Generation nicht mehr manipulieren, gut so. Und wie Manipulation im privatisierten Sektor des Internets läuft, haben die meisten mittlerweile auch erfahren und verstanden und entwickeln Strategien im Umgang damit. Da werden auch die schönen neuen Uploadfilter nichts ausrichten, denn Bilder von Plastikmüll im Meer sind von einer KI nicht von der Auslage einer Fastfood-Kette zu unterscheiden.

    Merkels Spruch erinnert an den Dreck mit der fünften Kolonne Moskaus. Ist jetzt nur falsch verstanden worden, danke für den Hinweis, wir hätten das sonst womöglich anders einsortiert. Das Beste ist, die kommende Generation hört Merkel und Konsorten gar nicht zu. Wozu auch?

  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    die nächste generation, die nicht mehr so weiter machen können wird wie bisher und in diesem wissen jetzt schulstreiks gegen das weitermachen organisiert, soll nach dem willen des kultusministeriums sachsen-anhalt dafür anständig gezüchtigt werden. fehlstunden aufs zeugnis, zwangsgeld gegen die eltern... formuliert in einem schreiben an die schulleiter*innen.



    die volle unterstützung durch die cdu-parteigenossen auf bundesebene wäre vor diesem hintergrund eine unerwartete, angenehme überraschung gewesen.



    besonders hoffnungsvoll stimmt die lage momentan nicht.

  • Sich über Merkels Weltanschauung (erstmal die deutsche Wirtschaft und irgendwann später der Erhalt der Erde) zu wundern, finde ich mittlerweile so merkwürdig, als wenn jemanden die nächste Entlassung eines Ministers durch Donald Trump überraschen würde.

  • Es hat einen Grund, warum viele Politiker und Journalisten sofort vom Thema Klimawandel ablenken: sie wissen sehr genau, dass sie dafür verantwortlich sind, wollen das aber nicht zugeben. Sie wissen sehr genau, wie man dagegen vorgehen könnte. Da sich das aber negativ auf ihr persönliches Einkommen bzw. andere Privilege auswirken würde, wollen Sie da nichts tun. Also: ablenken!

    • @Mainzerin:

      Ich wollte noch anmerken, dass das Klimaproblem angehen nicht nur starke Verluste (Einschränkungen in materieller Hinsicht!) für Politiker bedeuten würde, sondern vermutlich auch für fast alle "taz-LeserInnen" beziehungsweise für die gesamte Gesellschaft (Reich und Arm). Das ist die Hauptschwierigkeit und sollte uns immer bewußt werden, wenn wir auf das Handeln oder Reden von anderen hinweisen! Trotz allem kann ich mir vorstellen, dass es durchaus Interessierte geben kann die etwas Unruhe auf Deutschen Straßen gut finden auch wenn diese eine Klimadiskussion im eigenen Land als störend empfinden würden!

      • 9G
        91751 (Profil gelöscht)
        @Fridolin:

        Im Gegensatz zu den Industriellen und ihrer Bundeskanzlerin können die Taz-Leser und die meisten in der Gesellschaft aber nicht einfach über die weitere Entwicklung bestimmen, so sehr diese ihnen auch Missfällt. Auch ist es nicht neu, dass Proteste gegen fehlenden klimaschutz denunziert bzw. kriminalisiert werden.



        Statt mit dem Finger auf die einfachen Menschen zu zeigen sollten wir uns lieber bewusst werden, dass zB. der Kohleausstieg bewusst verzögert wird, um den Industriellen nicht vor den Kopf zu stoßen- schließlich wurden effizientere Pläne schon von mehreren Seiten vorgelegt, nur leider ignoriert.



        Das erinnert mich an den Atomausstieg, auch eine von Merkels "Verdiensten". Am Ende zahlt man den Konzernen noch große Mengen Steuergelder und treibt so die Umverteilung von unten nach oben voran. Eventuelle Kosten (Atommülllagerung, Absicherung nun Arbeitsloser Menschen etc.) zahlen natürlich auch nicht diejenigen, welche Jahrelang die Profite eingefahren haben.



        Bei anderen Themen wie dem ÖPNV, der kaputt gesparten Bahn und der Autolobby läuft es doch auch so.

      • @Fridolin:

        Das ist das berrückte: es geht sofort um finanzielle Verluste - was massiv herbeigeredt wird, ohne belegbar zu sein. Innovation hat Märkte so ziemlich immer befeuert, nicht zerstört.



        Aber darum geht es hier vorrangig nicht.



        Es geht um den Klimawandel, der nicht nur durch Dürren, Überschwemmungen und Stürme riesege finanzielle Schäden verursacht, sondern im großen Maße Leben kostet!



        DARAUF weisen die demonstrierenden Kinder und Jugendlichen hin, denn sie müssen das sicher ausbaden.



        Die,die jetzt die großen Gewinne einstecken, könnten mit Glück rechtzeitig sterben, bevor die Auswirkungen zu krass werden.



        Dagegen wehren sich die jungen Leute zu recht!