Angebliche Biowaffenforschung in Ukraine: Heftige Wortgefechte
Die USA und Großbritannien weisen russische Behauptungen über angebliche Biowaffenforschung als „Lügen“ und „Desinformation“ zurück.
Auf der von Russland beantragten Dringlichkeitssitzung des Rates „zu biologischen US-Aktivitäten in der Ukraine“ wiederholte Moskaus UNO-Botschafter Wassili Nebensia die Behauptung, die USA betrieben in der Ukraine in Kooperation mit der Regierung in Kiew „ein Netz von 30 Laboren, die sehr gefährliche biologische Experimente mit dem Ziel ausführen, virale Krankheitserreger von Fledermäusen auf den Menschen zu übertragen“.
Dabei gehe es unter anderem um die Pest, Cholera und Anthrax (Milzbrand). „Es wurden Experimente ausgeführt, um die Übertragung von gefährlichen Krankheiten durch aktive Parasiten wie Läuse und Flöhe zu untersuchen“, behauptet der Botschafter. Nach seiner Darstellung seien die russischen Invasionstruppen in der Ukraine auf einige dieser militärischen Forschungslabors gestoßen. Außerdem habe die US-Botschaft in Kiew Dokumente zu den angeblichen Biowaffenforschungen vernichtet oder außer Landes geschafft. Beweise für seine Behauptungen legte der russische Botschafter dem Sicherheitsrat nicht vor.
Die US-amerikanische UN-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield bestritt zwar nicht die Existenz von US-Labors in der Ukraine, wies die russischen Behauptungen aber mit scharfen Worten als „Lügen“ und „Desinformation“ zurück. Die Ukraine habe „kein biologisches Waffenprogramm oder biologische Waffenlaboratorien“, die von den USA unterstützt würden. Stattdessen unterhalte die Ukraine „eigene öffentliche Gesundheitseinrichtungen, die es ermöglichen, Krankheiten wie Covid-19 zu entdecken und zu diagnostizieren“. Die USA unterstützten die Ukraine dabei, dies „sicher und verlässlich“ zu machen.
„Moskaus Taktik durchkreuzen“
„Diese Arbeit wurde stolz, klar und öffentlich ausgeführt. Bei dieser Arbeit geht es darum, die Gesundheit von Menschen zu schützen. Sie hat nichts mit biologischen Waffen zu tun“, betonte die US-Botschafterin. Mit ihren „Lügen“ verfolge die russische Regierung weiter „das von Außenminister Antony Blinken im Februar im Sicherheitsrat beschriebene Szenario, Beschuldigungen über chemische und biologische Waffen zu fabrizieren, um seine eigenen gewaltsamen Angriffe gegen das ukrainische Volk zu rechtfertigen“, erklärte Thomas-Greenfield.
Zudem äußerte sie den Verdacht, Russland plane den Einsatz verbotener Massenvernichtungswaffen im Krieg gegen die Ukraine: „Die Absicht hinter diesen Lügen scheint klar und ist zutiefst beunruhigend. Wir glauben, dass Russland chemische oder biologische Stoffe für Attentate, als Teil eines inszenierten oder Falsche-Flaggen-Zwischenfalls benutzen könnte, oder um taktische militärische Operationen zu unterstützen.“ Beweise für diesen Verdacht legte die US-Botschafterin nicht vor.
Thomas-Greenfield betonte, seit dem russischen Truppenaufmarsch an den ukrainischen Grenzen sei es „die Strategie unserer Regierung, Moskaus Taktik zu durchkreuzen und das, was uns bekannt ist, mit der Welt zu teilen. Wir werden Russland nicht damit durchkommen lassen, die Welt zu belügen oder die Integrität des Sicherheitsrats zu beflecken, indem es ihn als Ort benutzt, Putins Gewalt zu legitimieren. Und wir sollten Russland nicht erlauben, seinen permanenten Sitz im Sicherheitsrat dazu zu missbrauchen, Desinformation und Lügen zu verbreiten und den Zweck des Sicherheitsrats zu pervertieren.“
Ähnlich wie die US-Botschafterin äußerte sich ihre britische Amtskollegin Barbara Woodward. Es gebe „nicht den geringsten glaubwürdigen Hinweis, dass die Ukraine ein Programm für biologische Waffen hat.“ Woodward bezeichnete die russischen Behauptungen als „diplomatisch ausgedrückt kompletten Unsinn“. Die Regierung Putin habe die Dringlichkeitssitzung des Rates „nur beantragt, um eine Reihe wilder, vollkommen haltloser und verantwortungsloser Verschwörungstheorien zu äußern“, erklärte die britische Botschafterin und setzte hinzu: „Russland sinkt heute auf neue Tiefen, aber der Sicherheitsrat muss nicht mit ihm heruntergezogen werden.“
China in „Sorge“
Auch der ukrainische UNO-Botschafter Serhij Kyslyzjy wies die Behauptungen der Regierung Putin entschieden zurück. Die Ukraine betreibe „ein Gesundheitssystem, das seine internationalen Verpflichtungen vollständig erfüllt und in voller Zusammenarbeit mit allen relevanten internationalen Organisationen arbeitet“, erklärte der Botschafter. „Der Rest“ sei „ein Haufen wahnsinniger Delirien von Putin und seinen Handlangern, einschließlich der russischen Vertretung bei den Vereinten Nationen.“
Vor der Sitzung des Sicherheitsrates hatte die Leiterin des UN-Büros für Abrüstungsfragen, Izumi Nakamitsu, erklärt, ihr seien zwar Berichte über angebliche biologische Waffenprogramme bewusst. Aber die Vereinten Nationen hätten „keine Kenntnis von irgendwelchen biologischen Waffenprogrammen“.
Mitte der Woche hatte das chinesische Außenministerium „Sorgen über die Berichte Russlands über verbotene Biowaffenforschungsaktivitäten der USA in der Ukraine“ geäußert und die Regierung in Washington, zur „schnellen, umfassenden Aufklärung“ aufgefordert. Nach Darstellung Chinas unterhalten die USA neben einem Forschungslabor in Fort Detrick im Bundesstaat Maryland „weitere 336 Labors in 30 Ländern, darunter 26 in der Ukraine“. Diese Einrichtungen würden „möglicherweise zur Erforschung und Entwicklung von Biowaffen“ genutzt.
Derartige Aktivitäten sind durch die Biowaffenkonvention der UNO von 1972 verboten. 183 Staaten haben diese Konvention ratifiziert, auch die Ukraine und die USA. Das chinesische Außenministerium begründete seine „Sorgen“ allerdings mit dem Hinweis auf die Tatsache, dass „die USA seit über zwei Jahrzehnten in der UNO-Abrüstungskonferenz in Genf die Vereinbarung eines Verifikationsregimes blockieren“.
Ein derartiges Verifikationsregime mit Maßnahmen zur Kontrolle und Überwachung existiert bislang nur für die 1993 vereinbarte UNO-Konvention zum Verbot chemischer Waffen. Über ein entsprechendes Überwachungsregime für die B-Waffen-Konvention verhandelte die UNO-Abrüstungskonferenz bereit seit 1994. Im Jahr 2001 lag ein Vertragsentwurf für ein striktes internationales Überwachungsregime mit gegenseitigen Kontrollen und Inspektionen von Forschungslabors und biomedizinischen Anlagen vor, der von 60 der 61 Mitgliedsstaaten unterstützt wurde.
Einzig die USA lehnten den Entwurf ab und verweigerten weitere Verhandlungen mit der Begründung, Inspektionen von Einrichtungen auf US-Territorium durch ausländische Inspektoren könnten zu Spionagezwecken missbraucht werden und gefährdeten daher die nationale Sicherheit der USA.
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