Andrzej Steinbachs Fotografien: Die Bedeutung liegt allein im Auge der Betrachtenden
Andrzej Steinbach inszeniert Objekte und Personen vor der Kamera: Seine erweiterten Menschenbilder sind in Braunschweig zu sehen.
Als streng und methodisch, zudem sich einer unmittelbaren Dechiffrierung verweigernd, mögen viele die schwarz-weißen Fotoserien empfunden haben, die Andrzej Steinbach in den vergangenen Jahren veröffentlichte: „Figur I, Figur II“ war es 2015, „Gesellschaft beginnt mit drei“ folgte 2017.
Immer standen starke, ernst dreinblickende Personen vor Steinbachs Kamera: neutrale „Figuren“, also generische Stellvertreter und keine betonten Individuen. Sie wechselten ihre Kleidung oder die Position in einem ausgetüftelten Arrangement in einem ebenfalls neutralen Raum. Und hatte man gehofft, in den Begleitpublikationen ein paar erklärende Worte zu finden: Fehlanzeige!
Andrzej Steinbach, 1983 in Polen geboren, ist in Chemnitz, ehemals Karl-Marx-Stadt, in der DDR aufgewachsen, hat 2013 sein Fotografiestudium an der HGB in Leipzig abgeschlossen und lebt in Berlin. Er bezeichnet seinen Bildzugriff als „dokumentarisch“. Aber es ging ihm nicht mehr um die Aussagedichte des traditionellen Porträts, schon gar nicht um die Dokumentation eines sozialen Milieus oder des gesellschaftlichen Status einer Persönlichkeit.
Andrzej Steinbach: „Hier“, Museum für Photographie Braunschweig, bis 30. November. Danach in der Kunsthalle Erfurt und Huis Marseille Amsterdam
Denn die Zeiten homogener gesellschaftlicher Systeme, die einst Referenzgrößen wie August Sander oder Walker Evans zu ihren Studien motivierten, sind einem modernen Pluralismus, sind fluiden bis brüchigen Sozialstrukturen gewichen. Steinbachs ästhetische Ambition bestand darin, so viel wie möglich zu reduzieren, auszutesten, wenn überhaupt noch etwas „zu sehen“ ist. Dabei berief er sich auf Walter Benjamin, der Sanders Porträts als „Übungsatlas“ für die Augen charakterisierte. Der Klarheit seiner Fotografie stellte Steinbach einen weiten Interpretationsspielraum des Gesehenen entgegen, den er einzig den Betrachtenden überließ.
Dann kam die Coronapandemie und vereitelte ihm, menschliche „Figuren“ im Atelier weiter aufzustellen. Steinbach begann zu erforschen, wie Menschen durch Gegenstände, die etwa auf ihre Arbeit verweisen, repräsentiert werden können. Als „erweitertes Menschenbild“ bezeichnet er das.
Werkzeuge als Erweiterung
Er zerlegte seine alte mechanische Schreibmaschine, ein „Bedeutungsherstellungsapparat“, wie er sagt, und porträtierte ihre Einzelteile in 14 Aufnahmen: filigrane Arme der Drucktypenträger, etwa, oder ein mysteriöses Objekt, das sich als Unterbau der Leertaste entpuppt. Die Inszenierungen sind als offenes, handwerkliches System gedacht: Man sieht den Rand der Fotografie, die großformatigen Abzüge hängen locker im Rahmen.
Und er entdeckte die von Fotoamateuren geschätzte Makrofotografie für eine Serie von Werkzeugen. Er reizt die Detailfülle der Fotografie aus, lädt eine alte Zange oder Nägel wie Fetische in ihrem erotischen Charakter auf, erstmals auch in Farbe.
Das Museum für Photographie in Braunschweig zeigt jetzt eine Auswahl aus den letzten 13 Jahren Steinbach’scher Bildproduktion. Erstmals in Deutschland ist ein Auszug aus Steinbachs jüngster Werkgruppe zu sehen, „Erweiterungen/Extensions“ von 2024. Nun tritt wieder eine ernste „Figur“ auf, in Beziehung zu Objekten wie Handwerkszeug oder einem Computer, den Erweiterungen humaner Leistungsfähigkeit. Steinbach operiert dabei humorvoll mit kunsthistorischen Bezügen: Eine Fahrradfelge auf einem Hocker, das kennt man doch irgendwie.
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