Duchamp-Ausstellung in Frankfurt: Kunst als Rätsel

Netzwerken und andere für sich arbeiten lassen: Marcel Duchamp hatte eine gute Erfolgsformel. Das zeigt auch die große Retrospektive im MMK.

Ein Pissoir als Kunstobjekt.

Anti-Kunst mit rätselhafter Signatur:„Fountain“ von 1917 (bzw. 1964) machte Marcel Duchamp berühmt Foto: Fenja Cambeis. The Vera and Arturo Schwarz Collection of Dada and Surrealist Art in the Israel Museum, © Association Marcel Duchamp / VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Was die bei Auktionen erzielten Fantasiepreise für „Spitzenwerke“ der Kunst betrifft, sieht Marcel Duchamp im Vergleich zu Picasso oder Warhol eher blass aus. Für den Kunstmarkt hat er weniger Spitzenmäßiges zu bieten. Seine paar Hauptwerke – der „Akt eine Treppe hinabsteigend“ (1912), das nach langer Arbeit unvollendet gebliebene und dabei schwer beschädigte „Große Glas“ (1915–1923), das fest vor Ort installierte, letzte Magnum Opus „Étant donnés“ (1946–1966) – sind alle seit Langem unter der Obhut des Philadelphia Museum of Art.

Dort sind auch die paar noch aus ihrer Entstehungszeit in den 1910er Jahren erhaltenen Readymades, die als Duchamps folgenreichste künstlerische Erfindung gelten. Eine sehenswerte Retrospektive des Frankfurter MMK zeigt davon nun vor allem die Repliken, oft mehrere Exemplare ein- und derselben Edition, die der Künstler in den 1960er Jahren in Umlauf brachte. Das verstellt ein Stück weit den Blick auf das Besondere bei Marcel Duchamp. Denn indem er die Kunst radikal von Handwerk und Geniekult trennte, erfand er sie neu.

Warum nicht irgendein Ding, ein Fahrrad, einen Kunstdruck oder eine Schneeschippe „ready­made“ kaufen und sie, mit oder ohne Signatur, „als Kunst“ anschauen? Weshalb eigenhändig und mühsam Werk um Werk „schaffen“, so es doch um Kunst und nicht um Mühsal geht und noch das tollste Kunstwerk vor allem eine Ware ist? Wenn, wie es Adorno später formulierte, die „Autonomie der Kunst“ nicht ohne „Verdeckung der Arbeit“ zu haben ist, warum die Arbeit dann nicht gleich andere machen lassen?

Immerhin wollte Duchamp seine wichtigsten Werke in Phila­delphia selbst einrichten. Praktisch kaum auszuleihen, sind sie buchstäblich „aus dem Verkehr gezogen“. Wer sie im Original sehen möchte, muss wohl dorthin reisen. Das ändert auch die große MMK-Schau mit ihren rund 700 Exponaten nicht.

Marcel Duchamp: Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main, bis 3. Oktober 2022

Zu Recht fragt man sich aber, warum ausgerechnet Duchamp einer der wichtigsten Künstler des zwanzigsten Jahrhunderts sein soll. Mit Picasso und Warhol als künstlerischen Idolen erklären sich zwar Kunstmarktkonjunkturen – und damit auch, warum Malerei sowie breite Revers und Crème-Töne nie völlig „out“ sind. Doch warum die Kunst außerhalb der Auktionshäuser heute nicht mehr nach Kunst aussehen muss, warum sie gerade in Großausstellungen zumeist diskursförmig daherkommen muss, erklärt auch die Figur Duchamp nicht. Kunst ist heute offenbar, was als solche durchgeht.

Die Schau zeigt einen anderen Aspekt. Duchamps geduldige Planung seiner Rezeption. Denn genau da hat der Notarsohn aus dem nordfranzösischen Blainville angesetzt: sein Werk als Rätsel inszeniert, das sich nur scheibchenweise erschließt. Dazu gehörte auch, sich als „Rrose Sélavy“ zeitweise ein feminines Alter Ego zu schaffen. Im MMK will man darin den proto-queeren Einzelkämpfer sehen, in langen Begleit­texten das „Widerständige“ seines Werks feiern.

Doch war Duchamp halt auch ein brillanter Netzwerker mit Hang zum Herrenwitz. Ohne sich avantgardetypisch zu einer Bande zu schlagen, gefiel ihm der Flirt mit dadaistischer Anti-Kunst und revolutionärem Surrealismus. Er verstand sich prima mit Museumsleuten, Sammlern und dem künstlerischen Nachwuchs. Das US-amerikanische Sammler-Ehepaar Arensberg sicherte schon zu Duchamps Lebzeiten den Kern seines Werks als Stiftung für Philadelphia.

Manchmal nahm Duchamp selbst die Rolle des Kunsthändlers an: Es gab ja viele andere, die – wie Francis Picabia oder Constantin Brancusi – gute Kunst, wenngleich nach klassischem Verständnis, „selber“ machten. In Paris und New York kuratierte er große Surrealismus-Shows. Ephemera zu diesen vielfältigen Aktivitäten sind im MMK zu sehen: Auch Skizzen und Notizen, die Duchamp in Form bibliophiler Sammelwerke auflegte. Sie sind eine Fundgrube für Forensiker und Interpreten. Schade, dass Frankfurt dieses Werk lieber als Rätsel nach dem Rezept Duchamps reinszeniert, als seine Zutaten historisch genau zu analysieren.

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