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Analyse aller FahrpläneÜber ein Viertel der Deutschen vom ÖPNV abgeschnitten

Viele Menschen in Deutschland sind aufs teure und meist klimaschädliche Autofahren angewiesen. Im Vergleich schneidet Bayern besonders schlecht ab.

Hier kommt der Bus immerhin alle Stunde: Halte stelle im brandenburgischen Schmergow Foto: Paul Langrock

Berlin taz | Rund 26 Prozent der Bevölkerung in Deutschland haben an ihrem Wohnort kaum Zugang zum öffentlichen Nahverkehr. Das ergab eine am Freitag veröffentlichte Studie der Umweltorganisation Greenpeace.

„Ein Viertel der Menschen in Deutschland ist es nicht möglich, ihren Alltag ohne Auto zu bewältigen“, fasst Greenpeace-Verkehrsexpertin Lena Donat die Ergebnisse der Untersuchung zusammen.

Die Alltagstauglichkeit machen die Stu­di­en­au­to­r:in­nen an verschiedenen Faktoren fest: an der Entfernung der Haltestelle, an der Qualität der Verkehrsmittel und am Fahrplantakt.

Fährt der Bus zu selten oder ist die S-Bahn-Station zu weit weg, gilt eine Region als „abgehängt“ vom ÖPNV. Zu diesem Schluss kommen die Au­to­r:in­nen etwa, wenn der Bus zwar von einer weniger als 300 Meter entfernten Bushaltestelle abfährt, aber zur Hauptverkehrszeit seltener als alle 40 Minuten kommt. Oder wenn eine Tram-Station mit 10-Minuten-Takt weiter als einen Kilometer entfernt ist.

Ländliche Regionen besonders unterversorgt

Im Auftrag von Greenpeace analysierte das Unternehmen Plan 4 Better sämtliche Fahrpläne in Deutschland. Wenig überraschend, sind vor allem ländliche Regionen mit geringer Bevölkerungsdichte unterversorgt, während Großstädte eine sehr dichte ÖPNV-Abdeckung vorweisen.

Überraschungen gibt es jedoch im regionalen Vergleich. So schneidet Bayern im Bundesland-Ranking am zweitschlechtesten ab. Ganze 38,5 Prozent der Bevölkerung haben nur sehr schlechten Zugang zum ÖPNV an ihrem Wohnort. Das strukturell sehr ähnliche Baden-Württemberg landet hingegen auf Platz sechs. Hier sind nur etwas mehr als ein Fünftel vom Nahverkehr abgehängt.

„Es hängt auch davon ab, wie groß der politische Wille ist, etwas für den ÖPNV zu tun“, erklärt Donat. Und dieser sei im Autoland Bayern nicht besonders stark ausgeprägt.

Frage der sozialen Gerechtigkeit

Die Unterversorgung durch öffentlichen Nahverkehr sei auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, betonen die Studienautor:innen. „Es gibt Menschen, die haben keine andere Option – etwa, weil sie zu alt oder zu jung sind oder zu wenig Geld zum Autofahren haben“, sagt Donat.

Rund ein Drittel der Menschen in Deutschland dürften kein Auto fahren. „Guter Nahverkehr garantiert, dass alle zum Einkaufen, Arzt oder Schwimmbad fahren können, und sorgt für bezahlbaren Klimaschutz“, so die Umweltschützerin.

Greenpeace fordert daher einen bundesweiten Mindeststandard für die ÖPNV-Anbindung. Als Richtwert schlägt die Umweltorganisation beispielsweise einen Takt von 30 Minuten auf dem Land vor.

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11 Kommentare

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  • Ich bin in Nord-Bayern aufgewachsen, wo im Dorf am Wochenende und nach 17 Uhr nichts mehr fährt. Ist bis heute nicht besser geworden, was die Versorgung meiner Eltern zum Alptraum macht.



    Ich selber wohne mittlerweile da, wo es einen verlässlichen und nutzbaren ÖPNV gibt.

  • Spannende Erkenntnis.



    Wäre gut wenn jemand den Grünen Antiauto-Fundis mal den Link schicken würde.

    Nur damit die auch Bescheid wissen.

  • ÖPNV ist auch nicht immer umweltfreundlich.



    Klar, ein Bus mit 52 besetzten Plätzen ist umweltfreundlicher als 52 PKWs.



    Aber ein Bus der nur 1 oder 2 Personen chauffiert!?



    Das sehe ich häufig. Der Trend zur Landflucht ist unaufhaltsam.



    Es macht keinen großen Sinn, den ÖPNV bis zur letzten Milchkanne auszubauen.



    Anrufsammeltaxis sind eine gute Übergangslösung. Außerdem ist der Ausbau von Parkplätzen an Bahnhöfen sinnvoll.



    Das erleichtert das Umsteigen und die Bahn ist ja nochmal klimafreundlicher als der Bus.



    Leider ist der Trend gegenläufig.



    So ist z.B. am Bonner Hauptbahnhof überhaupt kein Parken mehr möglich.



    Das bewirkt das Gegenteil des Gewünschten.

  • Ok, ich würde mir auch einen Takt von 30 Minuten wünschen.



    Aber die Grenze bei 40 Minuten ziehen und alles darüber als abgehängt zu bezeichnen scheint mir doch reichlich übertrieben.



    Ich wohne hier mit einem stündlichen Takt und der ist wesentlich Alltagstauglicher als ein 40 Minutentakt. Man muss nicht auf den Fahrplan schauen, sondern weiß jederzeit, wann der nächste Bus fährt.



    Würde nicht an jedem Wochentag eine andere Stunde in diesem Takt ausfallen, wäre ich mit der Verbindung sehr zufrieden.



    Ein 30 Minutentakt würde es besser machen, ein 40 Minutentakt definitiv nicht.

  • In manchen Gegenden in Schleswig-Holstein gibt es einen „Rufbus“, den man telefonisch bestellen kann für Fahren zum Supermarkt, zur Ärztin etc. und der einen auch wieder abholt. Mit etwas Organisation und Disziplin geht das. Problem ist nur, wenn die, die den Rufbus bestellen wollen, kein deutsch sprechen.

  • Tja, wir haben einen 30 Minuten Takt. Knappe 1000m Laufweg bis zu Haltestelle. Blöd ist nur, dass der Bus nur eine der zahlrreichen möglichen Routen aka Verbindungsbeziehungen auf dem Land abdeckt. Und dann auf dieser einen Route noch gut doppelt so lang fährt, wie das Auto. Weil er mäandert und an jeder Milchkanne hält. Ändern kann man das ehrlicher weise nicht. Es sei denn man ließe ganz viele kleine (da das Land dünn besiedelt ist) Busse in ganz viele Richtungen fahren. Aber dann bräuchte es gaaaanz viele Busfahrer. Und eigentlich sind wir dann wieder beim Autoverkehr.

    • @Querbeet:

      Ähnliches hatten wir auch über Jahre, nachdem früher der Regionalverkehr der Bahn mit Bussen vom Land schnell zu den Knotenpunkten in der Stadt gefahren ist kam dann Privatisierung und Verkehrsverbund und Regionalverkehr und Stadtbusse wurden zusammengelegt, dann hielt der Bus dann auch in der Stadt an jeder Ecke (manchmal original unter 200m bis zur nächsten Haltestelle) letztes Jahr gab es ein Umdenken und jetzt gibt eine andere Linienaufteilung, so dass bestimmte Busse jetzt wie früher der Regionalverkehr nicht mehr an jeder Ecke halten. Das spart schon teilweise ein Viertel der Fahrzeit.



      Für die Erkenntnis hat man allerdings über 30 Jahre gebraucht, "Deutschlandtempo" halt.

  • Das ist meine Lieblingshaltestelle.



    maps.app.goo.gl/ASST2G63JZ4hAFRN9

    • @oonyx:

      Ist doch klasse! Fehlt nur der P&R-Parkplatz und ne Fahrradbox!

    • @oonyx:

      Wollen Sie dem Landwirt etwa Park and Ride verwehren?

  • 26% sind eine objektive Zahl. Aber soviele Menschen die kommentieren, dass sie lieber das Auto verwenden wollen, weil sie sonst abgeschnitten wären, keine Einkäufe erledigen können, die Oma nicht abholen können, Holzlatten befördern können oder andere Ausreden, fühlt es sich doch eher nach 80% an.