Was darf Mobilität kosten?: Bayern fordert 64-Euro-Ticket
Neuer Streit über die Finanzierung der bundesweit gültigen 49-Euro-Flatrate. Soll sie im kommenden Jahr teurer werden? Grüne finden: bloß nicht!
München/Berlin afp/dpa/ta |z Von Beginn an war schon der Name eine Positionsmarkierung. „49-Euro-Ticket“, sagen die einen und betonen damit den Preis. „Deutschlandticket“, heißt es bei den anderen, die die Priorität auf die Leistung – bundesweit gültige Fahrkarte – legen und die Finanzierung lieber offenhalten wollen.
Nun ist eine neue Zahl im Raum: 64 Euro im Monat solle das Ticket, mit dem der öffentliche Nah- und Regionalverkehr in ganz Deutschland genutzt werden kann, künftig kosten, schlägt das CSU-geführte bayerische Verkehrsministerium in einem Papier an den Koordinierungsrat vor, wie Bild berichtet. Ein Aufschlag von 30 Prozent. Hintergrund sei eine Finanzierungslücke von „mindestens 750 Millionen Euro“ im kommenden Jahr.
Die Grünen reagierten entsetzt. „Die CSU wollte das Deutschlandticket noch nie. Jetzt kommt sie mit der Forderung nach einer überzogenen Preiserhöhung“, schrieb Verkehrspolitiker Matthias Gastel bei Twitter-X. Bei einem so drastischen Aufschlag gebe es statt Mehreinnahmen Einnahmeausfälle durch den Verlust von Abos und Fahrgästen.
Die Finanzierung der Flatrate-Fahrkarte ist nur bis Ende des Jahres gesichert. Bund und Länder hatten sich ursprünglich verständigt, die Mehrkosten für die Verkehrsbetriebe je zur Hälfte auszugleichen. Dafür erhöhte der Bund die Regionalisierungsmittel. In diesem Herbst soll auf der Verkehrsministerkonferenz mal wieder besprochen werden, wie es weitergeht.
Wirkung und Gegenwirkung
Über einen moderateren Preisaufschlag ab Jahreswechsel wird schon länger diskutiert. Kürzlich war eine Studie öffentlich geworden, die Bund und Länder bei Verkehrsexpert:innen in Auftrag gegeben hatten. Sie hatten untersucht, welche Wirkungen welche Preiserhöhungen hätten. Dazu verglichen sie Marktstudien unter Kund:innen mit 49-Euro-Ticket. Demnach würden bei einem Preis von 69 Euro bis zu 42 Prozent der Befragten das Ticket nicht mehr kaufen. Und auch bei kleineren Preiserhöhungen wollen offenbar zahlreiche der bisherigen Kund:innen abspringen. Bei 5 Euro mehr etwa gingen demzufolge 6,7 bis 7,1 Prozent verloren. 10 Euro mehr würden bedeuten, dass 10,3 bis 21,1 Prozent das Abo kündigen.
Unions-Fraktionsvize Ulrich Lange forderte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) auf, für Klarheit zu sorgen. „Die Preis-Posse um das 49-Euro-Ticket muss endlich ein Ende haben“, erklärte er. Die Länder, aber auch die Fahrgäste bräuchten „Klarheit und Konstanz bei Kosten und Preis.“ Wenn das Ticket teurer als 49 Euro werden müsse, „dann soll Wissing auch den Mumm haben, das zu sagen. Alles andere ist arglistige Täuschung.“ (afp, dpa, taz)
Leser*innenkommentare
Woodbine
Für unsere Gegend, direkt an der alten Nord-Süd-Hauptstrecke gelegen, hätte das Deutschlandticket ein echter Renner werden können.
Wenn Züge noch regelmäßig und relativ pünktlich fahren würden. Dank der verfehlten Verkehrspolitik (keine "Vernachlässigung der Straße aus ideologischen Gründen", Zitat CSU-Verkehrsminister Ramsauer) der letzten Jahrzehnte zahlte mein Mann zuvor jedes Jahr mehr für seine Bahncard, bei mangelnder Zuverlässigkeit und wegfallendem Komfort. Das Deutschlandticket ist jetzt das kleine Trostpflaster, für die sich häufenden Fälle von Zugausfällen oder Strandungen "auf der Strecke", wo dann doch der Pkw in Aktion treten muss.
Rudolf Fissner
Warum füllte die Ampel die Finanzierungslücke nicht? Und warum benennen die anderen Bundesländer das Problem der Finanzierungslücke nicht offen?
Ricky-13
taz: *Von Beginn an war schon der Name eine Positionsmarkierung. „49-Euro-Ticket“, sagen die einen [...] „Deutschlandticket“, heißt es bei den anderen, ...*
Zuerst sollte das Deutschlandticket ja mal 'Klimaticket' heißen, aber FDP-Bundesverkehrsminister Wissing war gegen diesen Namen. Wahrscheinlich weil sich das günstige Bahn/Bus-Ticket dann zu sehr nach Klimaschutz angehört hätte und man dann wirklich mal Klimaschutz in diesem Land machen müsste.
Und jetzt soll das Deutschlandticket peu à peu immer teurer gemacht werden, damit man es irgendwann wieder ganz verschwinden lassen kann. Aber so ist das in diesem Auto-Land ja immer. Wer sich kein klimaschädliches Automobil leisten oder die anderen überteuerten Bahn/Bustickets zahlen kann, der muss eben zu Hause bleiben oder er/sie muss dann halt das Fahrrad nehmen, während die Politik immer noch Dienstwagen mit über 3 Milliarden Euro subventioniert. Man möchte anscheinend die Autoindustrie am Leben erhalten, damit die mit ihren CO2-Karren weiterhin das Klima zerstören können.
So wird es jedenfalls nichts mit der Mobilitätswende werden, aber das ist vielleicht auch so gewollt, wenn man sich die Verkehrspolitik mal genau anschaut.
Budzylein
Wie wollen die Leute, die sagen, dass sie wegen einer Preiserhöhung von 15 Euro monatlich ihr Abo kündigen wollen, eigentlich in der Zukunft ihre Mobilitätsbedürfnisse decken? Wollen die sich dann ein Auto kaufen? Das wäre erheblich teurer.
e2h
@Budzylein Na wie wohl? Gar nicht oder nur stark eingeschränkt. Mit Einzelfahrscheinen kann man mit monatlich 49 € nicht allzu oft fahren...
Dann haben die Betroffenen eben nur noch den Laden in ihrer Nähe und können nicht preiswerter Einkaufen, weil der Fahrscheinpreis alles andere sinnlos macht.
Es gibt sehr viele Menschen, die weniger Geld zur Verfügung haben, als es viele - auch manche TAZ-Leser - glauben.
Das Thema Teilhabe ist in vielen Köpfen offensichtlich nicht präsent.
Budzylein
@e2h In meinem Kopf ist es durchaus präsent. Aber es geht hier um 15 Euro monatlich, und zwar für diejenigen, die sich das Ticket für 49 Euro monatlich bisher dauerhaft leisten konnten. Und wenn man das Abo, wie in dem von Ihnen genannten Beispiel, nutzen kann, um preiswerter einzukaufen, dann wäre es unsinnig, wegen der Preiserhöhung auf das Ticket zu verzichten und für seine Einkäufe Mehrausgaben in Kauf zu nehmen, die höher sind als die Preiserhöhung für das Ticket.
Und die Marktstudie war mit Sicherheit nicht auf Menschen beschränkt, für die eine Mehrausgabe von 50 Cent pro Tag ein ernsthaftes Problem ist. Im Gegenteil: Solche Umfragen dürften die ärmsten Personen eher selten erreichen. Ich glaube nicht recht daran, dass alle odet fast alle Abonnenten, die in der Studie angekündigt haben, das Abo wegen der Preiserhöhung zu kündigen, tatsächlich kündigen würden, wenn die Preiserhöhung kommt. Es wäre für die meisten ein Verlustgeschäft, auf Einzelfahrscheine bzw. Tageskarten umzusteigen oder gar das Auto, wenn vorhanden, häufiger zu nutzen.
AuchEiner
Mir kommt die Preispolitik bei den Öffentlichen völlig erratisch vor. Jahrelang sind die Preise für Bus und Bahn stetig geklettert. Die Monatskarte für Berlin kostete über 80 EUR (und die BVG ist trotzdem defizitär). Dann wird mit einem Mal, fast ohne Diskussion, ein Ticket eingeführt, das die Hälfte kostet und für den Nah- und Regionalverkehr im ganzen Land gilt... Man freut sich natürlich, wenn etwas billiger wird, aber ich sehe überhaupt keine Strategie, wie die öffentlichen Verkehrsmittel in Zukunft finanziert werden sollen - oder bin ich einfach nur schlecht informiert?
Limonadengrundstoff
@AuchEiner Das ganze Konzept wirkt in der Tat etwas wirr...
Beim Straßenbau/-unterhalt verlangt ja auch niemand, dass sich das durch Nutzungsgebühren finanziell selbst trägt.
Die Rentabilität wird volkswirtschaftlich erzielt, nicht betriebswirtschaftlich. Folglich werden die von allen Steuerzahlern bezahlt.
Koch
@Limonadengrundstoff Stimmt. Betriebswirtschaftlich kann die Bahn nicht funktionieren. Sie sollte wieder verstaatlicht werden und somit im Schuldenberg abbilden, was ist. Die Schein-AG dient nur der Schmierung von Parteivetterinnen und -vettern (Boni, …).
Micha.Khn
Dass die 49 Euro viel zu tief angesetzt sind, war schon bei der Einführung klar. Es wird dringend Geld für den Ausbau benötigt, aber woher soll dieses Geld kommen bei solchen Preisen? Faire Gehälter für die Busfahrer wäre auch noch gut...
Die 64 Euro sind vermutlich auch noch wesentlich zu tief angesetzt. Auch wenn das für manche Leute viel Geld ist, sind andersrum 64 Euro für einen Monat Mobilität wirklich nicht viel.
Minion68
@Micha.Khn Wenn ich mir die Prise für Abo-Monatskarten in einigen Verkehrsverbünden ansehe, dann kosten die verbundweiten Monatskarten immer deutlich mehr als das D-Ticket, Monatskarten für nur eine Tarifzone sind oft billiger als das D-Ticket. Allerdings wird ja gerne immer schnell bei der Bezuschussung des ÖPNV gespart, Verkehrsprojekte für bwispielsweise den MIV aber gerne massiv gefördert. Auch Parkgebühren sind immer noch viel zu niedrig hierzulande. Wir haben also nachweislich eine enorme Schieflage, was die Förderung verschiedener Verkehrsträger betrifft.
Wenn das D-Ticket teurer werden soll, wahrscheinlich auch teurer werden muss, dann erwarte ich aber auch eine drastische Reduzierung der Förderung des MIV, über beispielsweise deutlich höhere Parkgebühren, deutlich weniger Straßenneubau (dafür mehr Erhaltung des Bestandes), Abschaffung diverser steuerlicher Privilegien, nur um mal ein paar wenige Möglichkeiten zu nennen.
Bei der Erhöhung des D-Ticket-Preises erwarte ich aber auch eine Einführung eines vergünstigten Preises für Menschen mit wenig Geld. Und das D-Ticket darf nicht mehr an ein Abo gebunden sein.
Carsten S.
@Micha.Khn Anscheinend glauben viele, dass etwas billig ist oder nichts kostet, weil jemand anders dafür bezahlt.