Alternative für Deutschland: Parteitag und Protest
Die AfD wählt ihren Bundesvorstand neu, es dürfte stürmisch werden. Dafür sorgt der Streit im völkischen Flügel, aber auch die Gegendemo.
Bevor die 600 AfD-Delegierten am Samstagmorgen in der Essener Grugahalle auf dem AfD-Parteitag den Bundesvorstand samt Parteispitze neu wählen, müssen sie zunächst einen Realitätscheck durchlaufen: Angekündigt sind Zehntausende Demonstrierende, die sich der extrem rechten Partei in den Weg stellen wollen, ein breites Bündnis vom CDU-Bürgermeister bis zur Antifa.
Vermutlich werden mehr Menschen gegen die AfD protestieren, als diese Mitglieder hat. Sie dekonstruieren damit die rechte Lebenslüge, dass diese die vermeintlich schweigende Mehrheit präsentieren, und machen klar: Die AfD ist die unbeliebteste Partei Deutschlands.
Denn seit Jahresbeginn ist eines gewiss: Nach rechten Schockmomenten kann die Zivilgesellschaft Gegenwehr leisten. Nachdem einer breiten Öffentlichkeit im Zuge der Correctiv-Recherche bewusst geworden ist, was Regierungsmacht für die AfD bedeuten würde, waren Millionen auf der Straße.
Trotzdem wurden AfD-Wähler*innen dadurch nicht wirklich demobilisiert und spätestens die Europawahl und die Kommunalwahlen im Osten waren ein weiterer Schock: Die politische Landkarte ist zweigeteilt – der Westen ist CDU-schwarz, der Osten ist AfD-blau, oder vielmehr -braun. Auch in einigen westlichen Städten und Gemeinden ist die AfD jetzt stärkste Kraft – die Faschisierung ist kein Ostproblem.
Hier zeigte sich: Ein paar Mal demonstrieren reicht nicht. Für wirksame Gegenwehr braucht es langfristige Bündnisse, eine Stärkung der demokratischen Kräfte, gerade in Regionen, in denen längst eine rechte Hegemonie etabliert ist. Vor allem in Sachsen, Thüringen und Brandenburg wäre dies wichtig. Hier kommt die AfD in Umfragen an eine demokratiekritische Schwelle von einem Drittel der Landtagsmandate, also einer Sperrminorität für demokratisch wichtige Prozesse wie die Besetzung von Richterposten.
Aber zivilgesellschaftliche Gegenwehr hat durchaus Wirkung. Zu Jahresbeginn stand die AfD bundesweit bei fast allen Umfragen bei 20 Prozent, mittlerweile sind es 16. Maximilian Krah hatte bei seiner Spitzenkandidatur für die EU-Wahl vor einem Jahr siegestrunken 23 Prozent angepeilt – es wurden 15,9. Immer noch ein Rekordergebnis, aber es zeigt: Die braune Welle lässt sich brechen.
Chrupalla auf Schlingerkurs
Dass die AfD auch aufgrund zivilgesellschaftlichen Drucks bei den Stichwahlen im Osten hinter den eigenen Erwartungen bleibt, erzeugt Druck innerhalb der extrem rechten Partei. Ein komplett verkorkster Europa-Wahlkampf mit dem Möchtegern-Trump Maximilian Krah tat sein Übriges. Vor den Bundesvorstandswahlen wird das vor allem Parteichef Tino Chrupalla angekreidet. Sein Schlingerkurs sorgt für viel interne Kritik: Erst unterstützte er Krahs Kandidatur, dann setzte er ihn nach der Wahl vor die Tür der AfD-Delegation. Chrupallas angepeilte Wiederwahl als Parteisprecher dürfte knapp werden. Die anstehenden Landtagswahlen dürften der Hauptfaktor sein, dass er nicht öffentlich demontiert wird.
Nach der EU-Wahl zeigte sich auch eine Zersplitterung innerhalb des früher stramm stehenden völkisch-nationalistischen Flügels. Die Völkischen sind inzwischen so Mainstream in der AfD, dass sie sich Machtkämpfe untereinander leisten können: Mittlerweile gibt es dort neben Team Höcke und Team Krah auch ein Team Münzenmaier, ein Netzwerk überwiegend jüngerer Karrieristen um den ehemaligen Hooligan Sebastian Münzenmaier. Das steht inhaltlich dem Rest des Flügels in Radikalität in nichts nach, ist aber nach außen um professionelleres Auftreten bemüht. So wollen sie beim Parteitag dafür sorgen, dass die große Selbstzerfleischung ausbleibt.
Antrag für Einerspitze
Dennoch ist die Demontage von Tino Chrupalla längst geplant – wenn auch erst nach den Landtagswahlen. So zumindest lässt sich der Plan des Münzenmaier-Netzwerks lesen. Sie wollen auf dem Parteitag mit einem breit unterstützten Antrag eine Einerspitze plus Generalsekretär ab dem 1. Januar 2025 installieren.
Designierte Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl ist Alice Weidel. Die gilt zwar in Fraktion und Bundesvorstand als stinkfaule Opportunistin, ist aber in der Basis überaus beliebt – nicht zuletzt dank ihrer kalkulierten rassistischen Wutreden im Bundestag, gepaart mit bürgerlicher Perlenkettenfassade. Für die Münzenmaiers ist Weidel somit die perfekte Galionsfigur.
In Essen sind die Nachwuchs-Radikalen derzeit die wirksamsten Mehrheitsbeschaffer für Chrupalla und Weidel, die erneut als Doppelspitze antreten wollen. Gegenkandidaten gibt es nicht. Die Kontinuität soll Ruhe hereinbringen. Die Zehntausenden vor der Grugahalle dürften indes dafür sorgen, dass es kein ruhiges Wochenende wird für die AfD.
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