Clubs starten Projekt gegen Übergriffe: Alltagsgewalt auf der Reeperbahn soll sichtbar werden
Queerfeindliche, rassistische und sexualisierte Übergriffe gehören auf der Reeperbahn dazu. Clubs haben für Betroffene eine Anlaufstelle geschaffen.

Eigentlich setzt sich das Clubkombinat als Sprachrohr von Veranstalter:innen, Clubbetreiber:innen und Booker:innen für die Interessen der Hamburger Livemusik-Szene ein. Doch nun wollen sie ihr Engagement erweitern und dem ganzen Partyviertel Gehör verschaffen und ein Schutzkonzept erarbeiten.
Schon zuvor hatte sich die Initiative TBA mit Schutzkonzepten beschäftigt – allerdings bisher nicht für ein ganzes Ausgeh-Viertel. „Dann dachten wir uns: Wir setzen uns mit einem Container einfach mal mitten rein“, erklärt Lafrentz. Die Reeperbahn sei schließlich ein Ort, an dem zu verschiedenen Uhrzeiten verschiedenste Interessen miteinander verschmelzen.
Neben der Club- und Kulturszene, den Feiernden und Anwohner:innen, gebe es auch Personen, die gar nicht erst dorthin kämen. Denn „St. Pauli ist für sie kein sicherer Ort“, betont die 37-jährige Kulturmanagerin. Ansprechen möchte die Initiative vor allem Menschen, die selbst Gewalt und Diskriminierung erfahren haben – aber auch potentielle und vergangene Täter sollen sich beim WTF-Container beraten lassen können.
„WTF – What The Fear“ bis zum 3. August donnerstags bis sonntags von 17 bis 23 Uhr, Spielbudenplatz, Hamburg
Schon die 90 Meter lange Bauzaun-Fassade soll auf alltägliche Fälle von Übergriffen, aber auch Zivilcourage rund um die Reeperbahn aufmerksam machen. „Mein Outfit ist keine Einladung“, „Soll ich dir ein Taxi rufen?“ und „Ich habe Nein gesagt!“ ist auf der bunten Wand am Spielbudenplatz unter anderem zu lesen. Damit wolle man Menschen dazu bewegen, sich aktiv mit dem Thema auseinanderzusetzen, ohne vorwurfsvoll zu sein. „Es geht nicht um Schuld, sondern um Verantwortung“, so Lafrentz. Für die niedrigschwellige und unmittelbare Aufklärung hat die Initiative auf ihrem Büro-Container mehrere Plakate angebracht, die über Diskriminierungsformen aufklären sollen.
Falls Betroffene nicht persönlich über ihre Erlebnisse sprechen möchten, können Anfeindungen oder Grenzverletzungen alternativ anonym online gemeldet werden. Eine unmittelbare Beratungs- oder Anlaufstelle für Menschen in akuten Notlagen sei der Container allerdings nicht, sagt Lafrentz. Dafür fehle es an nötigen Strukturen und Fachpersonal.
Dennoch arbeite vor Ort ausgebildetes Personal, das Betroffenen einen Erstkontakt biete und an geeignete Beratungsstellen weiterverweisen könne. Hier wollen sie vor allem mit den Daten und Berichten allgemeine und zielgruppenspezifische Schutzkonzepte für das gesamte Vergnügungsviertel erarbeiten, an denen sich vor allem Clubbetreiber:innen orientieren können.
In diesem Bereich sei noch einiges zu tun, meint Lafrentz, denn im Kontext von Übergriffen und Gewalt auf der Reeperbahn denken die meisten sofort an sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen. Diese Fälle gebe es auf dem Kiez zwar sehr häufig, aber es sei eben nicht nur Sexismus, der das Nachtleben auf St. Pauli prägt. Es gebe auch rassistische Türkontrollen oder wohnungslose Menschen, die „häufig beklaut, bespuckt und angegriffen werden“, so Lafrentz. „Viele Geschichten, die uns Betroffene erzählt haben, konnten wir erst einmal selbst nicht glauben.“
Anna Lafrentz, Mitgründerin und Projektleiterin von „WTF – What The Fear“
Gewalt fange nicht erst bei physischen Schlägen an, auch verbale Gewalt und internalisierte Verhaltensweisen können verletzend oder diskriminierend sein. „Ich muss kein Nazi sein, um rassistisches Verhalten zu zeigen“, betont Projektleiterin Lafrentz. Diese Form von unterbewusster Gewalt müsse deswegen „ganz ohne Zeigefinger oder Angriffe“ sichtbar gemacht und „mit radikaler Ehrlichkeit“ erklärt werden. „Ich glaube, dass wir als Menschen dazu imstande sind, denn am Ende profitieren wir alle von sozialer Gerechtigkeit.“
Das für die Reeperbahn zuständige Polizeikommissariat steht mit den Initiator*innen des Projekts des Clubkombinats in Verbindung und begrüße „diese zivilgesellschaftlichen und behördenübergreifenden sowie gesamtgesellschaftlichen Bemühungen um Awareness“, sagte ein Polizeisprecher auf Anfrage der taz. Solche Projekte seien wichtig, „um Vorurteile abzubauen, Empathie zu fördern und langfristig Veränderungen anzustoßen“.
Bewusst auf der Seite der Betroffenen
Die WTF-Initiative agiert bewusst parteilich auf der Seite der Betroffenen, erklärt Lafrentz: „Wir stellen erst einmal nichts in Frage.“ Anders als die Polizei, die eine andere Aufgabe als das WTF-Projekt habe. Die Trauma-sensible Arbeit, die sie leisten wollen, sei „im System Polizei auch gar nicht vorgesehen“, so Lafrentz. Dennoch befinde man sich in „kooperativer Kommunikation.“
Ab dem 3. August soll die Meldestelle am Spielbudenplatz wieder abgebaut werden, dann endet das von der Kulturbehörde geförderte Pilotprojekt vorerst. Die Arbeit sei allerdings noch nicht zu Ende, sagt Lafrentz. Neben einem langfristigen Projekt auf der Reeperbahn, könne sie sich auch gut vorstellen, ähnliche Anlaufstellen in verschiedenen Hamburger Stadtteilen zu platzieren, um ortsspezifische Schutzkonzepte zu erarbeiten. Denn auch dort komme es zu Gewalt und Diskriminierungserfahrungen. „Es sind die gesellschaftlichen Missstände und keine Missstände der Reeperbahn, die ein solches Verhalten produzieren.“
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