Alleinherrschaft des Fußballs: Kane könnte kicken kommen
Warum über anderen Sport berichten, wenn man auch über Fußball spekulieren kann? Die European Games finden in Deutschland kaum Beachtung.
W as sind die European Games schon im Vergleich zu Harry Kane? Oder um es zuzuspitzen: Warum über Sport berichten, wenn man auch darüber spekulieren kann, wer wo bald mal Sport machen könnte?
Es mag schon sein, dass dieses europäische Multi-Sportevent aufgewertet wurde durch Qualifikationsmöglichkeiten für die Olympischen Spiele 2024 in Paris. Zudem werden etliche EM-Titel vergeben.
Doch um Genaueres über die Wettbewerbe in Polen zu erfahren, mussten sich die Interessierten auf der Website des Veranstalters tummeln. Im Fernsehen wurden nur kleine Schnipsel gezeigt. Resigniert stellte DOSB-Leistungssportchef Olaf Tabor dieser Tage fest, in Deutschland entspreche die Wahrnehmung der Europaspiele nicht dem sportlichen Wert der Veranstaltung.
Die Dominanz des Fußballs macht sich in ihrem absurden Ausmaßen gerade dann bemerkbar, wenn sich deren Akteure mehrheitlich im Urlaub (Männer) oder in der Vorbereitung auf die WM (Frauen) befinden. Auf einer der meistgeklicktesten Nachrichtenseiten war in den vergangen Tagen über die Europaspiele nichts, über die reine Möglichkeit eines Wechsels des englischen Nationalspielers Harry Kane zum FC Bayern München gleich mehrere Artikel zu lesen. „Bayern offenbar mit Kane einig“, danach „So könnte Harry Kane das Spiel der Bayern schlagartig verändern“ und dann „Was ist Bayerns ‚Zuversicht‘ im Fall Harry Kane wert?“
Vergrößerung eines Ungleichgewichts
In der fußballfreien Zeit werden in Deutschland Sportseiten zu Spekulationsseiten. Gründlich ausgeleuchtet werden musste zuletzt natürlich noch, was passieren könnte, wenn Borussia Dortmund Edson Álvarez oder Union Berlin Robin Gosens verpflichten würde.
Neu ist die deutsche Eindimensionalität der Wahrnehmung von Sport natürlich nicht. Das Problem hat sich nur verschärft. Weil die Fußballerinnen sich mit Erfolg gegen die einseitige männliche Perspektive des Fußballs gewandt und mehr Sichtbarkeit erkämpft haben, werden hierzulande viele Sportarten noch stärker an den Rand gedrängt. Die ZDF-Einschaltquoten zu Beginn der European Games veranschaulichen das recht gut. Während die Wettkämpfe in Polen nur 0,9 Millionen Zuschauer sehen wollten, waren bei den deutschen Fußballerinnen gegen Vietnam immerhin bis zu 2,8 Millionen vor den Bildschirmen.
Die Minderung eines Ungleichgewichts führt zur Vergrößerung eines anderen, weil weniger Männerfußball einfach undenkbar bleibt. Über Harry Kane, den eventuellen Bayern-Profi in spe, das ist übrigens die neueste Geschichte, soll sich Union Berlin bereits 2012 Gedanken gemacht haben. Schon krass, welche Geschichten der Fußball schreibt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles