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„All We Imagine as Light“ Regisseurin„Mumbai ist die Sauce, die alles andere zusammenhält“

Die Regisseurin Payal Kapadia porträtiert in ihrem Spielfilm „All We Imagine as Light“ drei Frauen in Mumbai. Filmemachen vergleicht sie mit Kochen.

Die Krankenschwestern Prabha (Kani Kusruti, l.) und Anu (Divya Prabha) in „All We Imagine as Light“ Foto: Rapid Eye Movies
Interview von Patrick Heidmann

Gleich mit dem ersten Spielfilm in den Wettbewerb von Cannes eingeladen zu werden, dort den Großen Preis der Jury zu gewinnen, schließlich vom Magazin Sight & Sound zum besten Film des Jahres ernannt sowie für den Golden Globe nominiert zu werden – dieses Kunststück muss der indischen Regisseurin Payal ­Kapadia erst einmal jemand nachmachen. Jetzt startet „All We Imagine as Light“, das feinsinnige und auf unkitschige Weise poetische Porträt dreier Frauen zwischen weiblicher Autonomie und den Fesseln der Tradition im modernen Indien, endlich in den deutschen Kinos.

taz: Frau Kapadia, Ihr neuer Film „All We Imagine as Light“ handelt von Freundschaft und von Sehnsucht, von arbeitenden, auf sich selbst gestellten Frauen und davon, zum Geldverdienen in eine fremde Großstadt zu kommen. Mit welchem dieser Themen nahm das Drehbuch ursprünglich seinen Anfang?

Payal Kapadia: Das ist eigentlich unmöglich zu beantworten, denn es gab nicht diese eine Idee, mit der ich mich hingesetzt habe. Mich treiben immer die verschiedensten Dinge um, und wenn ich Szenen oder Figuren zu Papier bringe, dann sind die in der Regel aus den unterschiedlichsten Fragen und Überlegungen erwachsen, mit denen ich mich beschäftige. Tatsächlich hatte ich mich schon länger mit Mumbai als Arbeitsort, nicht zuletzt für Frauen, auseinandergesetzt.

Der Film

„All We Imagine as Light“. Regie: Payal Kapadia. Mit Kani Kusruti, Divya Prabha u. a. Frankreich/Indien/Niederlande/Luxemburg 2024, 115 Min.

taz: Das klingt nach einer eher theoretischen Herangehensweise.

Aber nicht ausschließlich. Weniger unter intellektuellen als unter persönlichen Gesichtspunkten war mir auch das Thema Freundschaft wichtig, gerade unter Frauen in einer Großstadt und möglicherweise als eine Art Familienersatz. Damit habe ich selbst nämlich viele Erfahrungen und Berührungspunkte und habe, was etwa den intergenerationellen Aspekt solcher Freundschaften angeht, nicht immer alles richtig gemacht. Entsprechend floss in die Entwicklung der Protagonistinnen Prabha und Anu auch viel Selbstreflexion ein. Und dann kamen über diese Frauen selbstverständlich noch die abwesenden Männer ins Spiel, die am Ende dann doch irgendwie nie ganz weg sind.

taz: Prabha und Anu sind beide Krankenschwestern, die aus der Region Kerala kommen und zusammenwohnen. Erstere ist die Ältere, ernst und ruhig, und vermisst ihren nach Deutschland ausgewanderten Ehemann. Letztere ist jung und unbeschwert und hat heimlich eine Affäre mit einem jungen Muslim. Dazu kommt mit der Krankenhausköchin Parvaty noch eine dritte Frau. Wie früh legten Sie sich auf diese Konstellation fest?

Kapadia: Zunächst konzentrierte sich meine Geschichte ganz auf Prabha und Anu und diese Freundschaft zwischen zwei Frauen, die sehr viel gemeinsam haben, aber nicht zuletzt altersbedingt auch ganz unterschiedlich sind. Doch dann habe ich angefangen, rund um das Thema Wohnraumverdrängung zu recherchieren, weil es viele Gebiete in Mumbai gibt, in denen alte Sozialbauten abgerissen werden, um Platz für neue Hochhäuser und die Gentrifizierung zu machen. Dabei stieß ich auf viele kurzfristig aus ihren Wohnungen vertriebene Frauen aus der Hafenstadt Ratnagiri im Bundesstaat Maharashtra, die mich dazu inspirierten, Parvaty als Figur auszubauen und in der zweiten Hälfte des Films auch in ebenjene Region zu reisen. Früher gab es dort große Baumwollfabriken, nach deren Schließungen die Männer jener Gegend alle arbeitslos wurden. So wurden Frauen wie Parvaty oft zu Brotverdienerinnen in den Familien, nicht zuletzt, wenn sie bereit waren, zum Arbeiten nach Mumbai umzusiedeln. Ich merkte, wie reizvoll ich es nicht nur fand, das Thema Frauen und Arbeit noch aus einer zusätzlichen Perspektive zu beleuchten, sondern auch eine weitere Facette von Indien zu zeigen.

taz: So wie Sie die Entstehung von „All We Imagine as Light“ beschreiben, passt das ganz gut dazu, dass Sie kürzlich Parallelen zogen zwischen dem Filmemachen und Kochen!

Kapadia: Genau! Man muss bei Rezepten ja auch immer erst einmal die einzelnen Bestandteile aufeinander abstimmen und immer wieder abschmecken, bis man ein wirklich gelungenes Gericht vor sich hat. Bei meinen Currys neige ich dazu, immer ein paar Zutaten zu viel in den Zopf zu werfen. Und ich glaube, bei meinen Filmen mache ich das genauso. Aber das muss ja nicht heißen, dass es am Ende nicht schmeckt.

taz: Man könnte nun sagen, dass die Hauptzutat in diesem Fall zumindest über weiter Strecken das Setting Mumbai ist, oder?

Kapadia: Vielleicht sagen wir lieber, dass Mumbai die Sauce ist, die alles andere zusammenhält. Ich bin in der Stadt geboren, habe aber durchaus zwiespältige Gefühle ihr gegenüber. Einerseits bietet eine derart große Stadt ihren Be­woh­ne­r*in­nen viele Freiheiten, und gerade als Frau ist dort vieles leichter als anderswo in Indien. Die Stadt ist ein bisschen weniger gefährlich als andere. Man kann auch abends allein nach Hause gehen, ohne dass die Familie vor Sorge vergehen muss. Und gerade, was Arbeitsplätze für Frauen angeht, ist vieles hier deutlich professioneller als anderswo. Aber Mumbai kann auch ein hartes Pflaster sein – und die Stadt verändert sich nicht nur zum Guten. Es gab hier schon immer Ungleichheit, aber die Kluft wächst, nicht zuletzt, was Wohnraum und Architektur angeht. Die Stadt liegt auf einer Insel, deswegen ist der Raum begrenzt und die Gentrifizierung besonders gnadenlos und brutal. Visuell habe ich nun versucht, beides in „All We Imagine as Light“ einzufangen. Die romantische Verklärung, mit der gerade junge Menschen auf die Möglichkeiten blicken, die die Stadt bietet, aber eben auch das Chaos und die Verdrängung, die sich hier ereignen.

taz: Ohne überdeutlich politisch zu sein, kritisiert der Film dabei die herrschenden Zustände. Denken Sie, dass er auch deswegen nicht von offizieller Seite als indischer Beitrag bei den Oscars eingereicht wurde?

Kapadia: Keine Ahnung. Die offizielle Begründung lautete ja, dass „All We Imagine as Light“ eher wie ein europäischer als wie ein indischer Film wirken würde. Das würde ich verstehen, wenn es sich auf Produk­tions­hin­ter­gründe bezieht, denn tatsächlich stammt ein Großteil unserer Finanzierung aus Frankreich, den Niederlanden, Luxemburg und Italien. Eine andere Deutung würde mir nicht einleuchten, denn das würde heißen, dass ich keine Ahnung davon habe, was es heißt, indisch zu sein.

Bild: Ranabir Das
Im Interview: Payal Kapadia

Die Regisseurin Payal Kapadia wurde 1986 in Mumbai geboren, wo sie auch lebt. Sie studierte Filmregie am Film & Television Institut of India. Ihr erster abendfüllender Film, „A Night of Knowing Nothing“, feierte bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes 2021 in der Reihe Director’s Fortnight Premiere und gewann den L’Œil d’or für den besten Dokumentarfilm.

taz: Fühlen Sie sich denn innerhalb der indischen Filmbranche als Außenseiterin?

Kapadia: Eigentlich nicht. Oder höchstens in dem Sinne, wie man eben Außenseiterin ist, wenn man nicht Teil des kommerziellen Studiosystems ist. Meine Filme sind nicht Bollywood, sondern unabhängige Produktionen. Aber da bin ich ja in Indien längst nicht die Einzige. Chaitanya Tamhane etwa gehört zu den bekanntesten indischen Regisseuren und dreht ebenso Independent-Filme wie Rima Das aus Assam, deren komplett selbst produzierte Arbeiten bei vielen internationalen Filmfestivals gefeiert werden.

taz: Ihre eigene Mutter Nalini Malani gehört zu den wichtigsten indischen Malerinnen und Videokünstlerinnen. Ist Ihr Werdegang als Regisseurin auch ihrer Arbeit und ihren Ambitionen geschuldet?

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Trailer „All We Imagine as Light“

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Kapadia: Keine Frage. Sie hatte selten viel Geld für die Realisierung ihrer Kunst, deswegen saßen sie und ihr Cutter oft bei uns am Küchentisch, um stundenlang von Hand alle Filmrollen durchzusehen, die sie für ihre Videoarbeiten aufgenommen hatte. Einfach weil das Geld zu knapp war, um am Ende den Schneideraum für mehr als ein paar Stunden zu mieten. Ich fand diesen Prozess unendlich faszinierend und konnte ihnen ewig dabei zusehen. Schon als Kind zu lernen, was Filmschnitt ist und wie man das macht, war wie ein ganz besonderes Geheimnis, das nur ich kannte. Wenn ich mit Freun­d*in­nen im Kino einen Film sah, wusste ich als Einzige, wie die einzelnen Bilder für die Leinwand montiert worden waren. Tatsächlich wollte ich dann eigentlich auch Filmschnitt studieren, habe allerdings die Aufnahmeprüfung nicht bestanden. Das hat mich so frustriert, dass ich es ein paar Jahre später dann lieber im Fach Regie noch einmal probiert habe.

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