Album von Berghain-DJ Marcel Dettmann: Die eigene Faulheit überlistet
Marcel Dettmann ist ein reisender DJ und Sounddesigner. Sein Album „Fear of Programming“ entstand, als Clubs coronabedingt geschlossen waren.
Man muss es vielleicht einmal so schlicht sagen: Marcel Dettmann ist ein super Typ. Weltweit gefeierter Superstar-DJ, seit einer Ewigkeit Resident im sagenumwobenen Club Berghain: Darauf könnte er sich ja auch gehörig etwas einbilden. Auf Facebook und Instagram blickt er einen immer ein wenig grimmig an und wirkt mit seiner hünenhaften Körpergröße und den langen Haaren wie ein Wikinger, mit dem nicht zu spaßen ist.
Trifft man ihn dann aber in seinem Studio in Mitte, empfängt einen der herzlichste und unverstellteste Typ, den man sich nur vorstellen kann. Schallendes Lachen, null Show, kein Gehabe. Der Marcel aus Fürstenwalde in Ostbrandenburg halt, 45 Jahre alt, der mit seiner Familie in Friedrichshain wohnt. In einer Ecke liegen ein paar völlig ausgelatschte Birkenstock-Treter herum. Ja, die ziehe er immer wieder mal an, wenn er hier ist, sagt er.
Köstliche Vorstellung: Dettmann, wie er in Pantoffeln an seinem nächsten DJ-Set bastelt. Anlass des Besuches ist, dass er es endlich mal wieder geschafft hat, ein Album zu produzieren. Ganze zehn Jahre hat man darauf warten müssen. Und wahrscheinlich wäre der Produzent Marcel Dettmann immer noch im Schlummermodus, „wenn es Corona nicht gegeben hätte. Ich bin da eher faul. Wenn es mich nicht anzeckt, dann mach ich auch nichts.“ Seine Worte.
Und angezeckt hat es ihn eben nur deswegen, weil es in den letzten zweieinhalb Jahren sonst nichts für ihn zu tun gab. Die Clubs: geschlossen. Der Job als DJ war in der Zeit wahrscheinlich der unnützeste Beruf überhaupt. Was also gab es zu tun in all der zwangsverordneten Freizeit? Eben doch endlich mal wieder Musik zu produzieren. „Ich liebe meinen Job und das Auflegen“, sagt er, „aber kreativ zu sein, ist dabei ja kaum möglich.“
Hamsterrad DJ-Leben
An den Wochenenden irgendwo in der Welt die Leute hinter dem DJ-Pult bespaßen, am Montag langsam wieder ankommen in Berlin, Jetlag vielleicht noch obendrauf, dann ein wenig für seine Frau und die beiden Kinder da sein, nebenbei noch regeln, was so bei seinen eigenen beiden, von ihm betriebenen Plattenlabels ansteht und schon geht wieder der nächste Flug und alles von vorne los. Wer in diesem Hamsterrad sitzt, findet kaum die nötige Muße, um konzentriert an der eigenen Musik zu basteln. Ohne die Pandemie würde es „Fear of Programming“, so der Titel seines neuen Albums, also mit großer Sicherheit nicht geben.
Aktuell geht er freilich wieder seinem Hauptberuf nach. Gerade erst kam er zurück von einer kleinen Tour in Südamerika, in ein paar Tagen geht es ab nach Italien. Das Set-Up, mit dem er seine Platte erstellt hat, ist schon wieder abgebaut. Der Moog und die paar Synthies stehen im Eck. Wird es nun also weitere zehn Jahre dauern, bis er diese erneut benutzt? Die Frage quittiert er mit einem Lachen. „Kann schon sein“, sagt er.
Gerade ist er damit beschäftigt, ein paar der alten Platten zu digitalisieren, die hier an einer Wand in den Regalen stehen. Gibt es das überhaupt noch, Musik bloß auf Vinyl und nicht digital? Erstaunlicherweise ja. Er kramt eine alte Platte von Underground Resistance hervor und eine von Joey Beltram. Harter, klassischer Techno, Dettmann-Techno. Den will er demnächst auflegen, ohne dafür die Schallplatten herumschleppen zu müssen.
Sein eigenes Album dagegen ist nicht unbedingt das, was man im Techno-Jargon ein „Brett“ nennt, also Bumm Bumm, mit dem sich jeder Dancefloor niederbrennen ließe. Ein paar der Tracks sind ziemlich kurz und sphärisch, Listening-Musik, und bei den Stücken, die auch im Club funktionieren, ist Dettmanns Detroit-Techno-Einfluss spürbar und damit immer auch etwas Soul und Deepness. „Ich denke ein Album wie ein DJ. Mal soll es etwas heftiger sein, dann wieder softer“, sagt er.
Und alle furzen mit
Seinen Produktionsprozess während der Pandemie beschreibt er so: „Ich kam immer an im Studio, hatte erst keine Ahnung, was ich genau will. Aber dann ging es irgendwann so richtig los.“ Gefühlt habe er sich dabei „wie ein kleines Kind, das spielt. Hier ein paar Effekte rein, an denen man herumdreht, dann eine Drummachine dazu, schließlich der Moog. Man schraubt dann so lange an einem Sound herum, bis man sagt, so ist es gut. Ich sehe mich letztlich auch nicht als Musiker im klassischen Sinne, sondern als Sounddesigner.“
Marcel Dettmann: „Fear of Programming“ (Dekmantel)28. Januar: DJ-Set in der Berghain-Clubnacht
Ende Januar legt er mal wieder in Berlin auf, natürlich im Berghain, seinem Stammclub. Vor kurzem ging die Legende herum, dieser habe sein hauseigenes Label geschlossen und stehe vor dem Aus – ein medialer Riesenaufreger. Dazu sagt er, der es wissen muss: „Das Label gibt es noch, es ist nur gerade auf Eis gelegt. Und den Club zu schließen, das war nie ein Thema.“ Und dazu, dass dennoch überall dieses Gerücht verbreitet wurde, sagt er Dettmann-typisch: „Da macht einer einen Furz und alle furzen mit.“ Und fügt hinzu: „Aber das ist doch toll: Wir sind relevant.“
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