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Album und Konzert von Julia HolterHöhenflüge und offene Fragen

Die Kalifornierin Julia Holter kommt mit ihrem neuen Album für ein Konzert nach Berlin. Obwohl sie sich „Strike Germany“ angeschlossen hatte.

Musikalisch fit, politisch eher nicht: Julia Holter Foto: Rick Bahto

Julia Holter kämpft mit dem Jetlag. Sie gähnt ausgiebig. Und entschuldigt sich dafür. Die kalifornische Künstlerin war extra von der US-Westküste nach Berlin für einen Interviewmarathon eingeflogen worden. Einen Tag Gespräche zu je 20 Minuten. Musikbizalltag und dann 14 Flugstunden und mehrere Zeitzonen zurück an den Pazifik. Auch der taz gewährt sie an jenem Tag ein Stück ihrer Zeit.

Die vergangenen 13 Jahre haben wir mehrmals über die 39-jährige US-Musikerin berichtet, mit wohlwollender Sympathie für ihren feministischen und avantgardistischen Kammerpop, der sich zuletzt immer stärker Richtung Jazz entwickelte. Nach einer kreativen Pause, in der sie unter anderem Mutter geworden ist, kehrt Julia Holter mit dem neuen Album „Something in the Room She Moves“ zurück. Es ist ein sehr kalifornisches Werk geworden über den Zusammenhang von Licht und geistigem Wohlbefinden. „The pleasure’s slow / The pulse is light“ heißt es in dem Song „Spinning“.

Die Atmosphäre wirkt fast pastoral verspielt und sehr geschmackvoll inszeniert. In den zehn Songs, die das sinnliche Moment von Holters Musik mit delikaten Arrangements und üppigen Instrumentierungen betonen, singt sie poetisch über scheinbar simple Dinge, wie Sonnenlicht, Deckenstuck und die Gezeiten am Ozean. Und lässt ihre Künstlerinnencommunity aus dem Viertel Echo Park im A-cappella-Song „Me You“ teilhaben an dieser magischen musikalischen Realität.

Ätherische Stimme

Holter setzt ihre BegleitmusikerInnen durch Einsätze von Leadinstrumenten markant in Szene, aber auch sich selbst, ihre traumwandlerischen Keyboardläufe und die ätherische Stimme. Allein das impressionistische Outro von „Ocean“ wäre schon eine Sonderbetrachtung wert. Sonne, Wasser und Zeit setzt Holter als Geisteszustände in den Lyrics ein.

Julia Holter Album und Konzert

Julia Holter: „Something in the Room She Moves“ (Domino/GoodtoGo)

Live: 12. April 2024, Kesselhaus, Berlin

„Sonnenlicht ist eine Metapher, die ich ausgiebig nutze. Sie steht für etwas, womit ich mich lieber nicht näher beschäftigen möchte. Wenn ich es dann doch tue, ist es hilfreich und förderlich für die Gesundheit. Das drücke ich mit der Textzeile ‚place me, drag me, move me … sun girl‘ aus. So, als müsste ich erst ins Sonnenlicht gezerrt werden und die Hitze akzeptieren lernen.“

Von der Sonne geküsst klingt die Musik von ‚Something in the Room She Moves‘“. Die Art, wie die Songs aufeinander bauen, Melodiefäden aufnehmen, wirkt versponnen und leichtfüßig, psychedelisch, nie penetrant und immer subtil. Es bleiben Räume für kollektive Höhenflüge und doch klingt Holter unverwechselbar.

Fragenverbot

Betrüblich nur, dass sie sich beim Thema Nahostkonflikt auch zu Wort gemeldet hat und Solidarität mit den Palästinensern in ihren Social-Media-Accounts bekundet, kein Mitgefühl für die israelischen Opfer des 7. Oktober. Auf Anordnung des Managements sind Fragen zum Nahostkonflikt beim Interview untersagt.

Indirekt kommt Holter dennoch auf das Thema zurück, als es um die mögliche Wiederwahl von Trump als US-Präsident im November geht und um ihren Musikerkollegen und Kommilitonen (an der Kunsthochschule Cal Arts) Ariel Pink aus Los Angeles, der am 6. Januar 2020 beim von Trump mitprovozierten Sturm auf das Capitol in Washington anwesend war.

An Pink ist ersichtlich, wie die US-Gesellschaft polarisiert ist. Er wirkt verhetzt. Ich nehme das auch in meiner Familie wahr, in der es kontroverse Meinungen gibt, über die wir uns nicht mehr verständigen können. Ich habe Verwandte, die glauben, Trump, der Psycho, wird ihnen helfen. Sehr deprimierend.“ Sie habe Biden gewählt, 2020, erklärt Holter, „aber nun liefert er so viele Waffen nach Israel, das macht mich wütend.“

Dabei lässt sie offen, wie Trumps Wiederwahl verhindert werden soll, wenn sie Biden nicht wählen sollte. Kurz nach dem Interview wird zudem bekannt, dass Julia Holter der BDS-nahen Gruppe „Strike Germany“ beigetreten ist. Dort wird zum Boykott gegen Kulturveranstaltungen in Deutschland aufgerufen. Es wird behauptet, hierzulande sei „McCarthyismus“ aufgezogen, was das Thema Nahost angeht.

Ihr Konzert am Freitag in Berlin wird Julia Holter spielen, immerhin eine gute Nachricht. Trotzdem schade, so konzentriert und durchdacht ihr künstlerisches Konzept und ihr Musikverständnis insgesamt wirken, so instinktlos ist ihre verkürzte Israelkritik.

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6 Kommentare

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  • „Trotzdem schade, so konzentriert und durchdacht ihr künstlerisches Konzept und ihr Musikverständnis insgesamt wirken, so instinktlos ist ihre verkürzte Israelkritik.“

    Oh Mann, was für ein Satz. Hört sich sehr pflichtbewusst an. Könnte uns ja wirklich egal sein, was diese Sängerin über den Nahostkonflikt denkt. Die Bigotterie, erst zu Strike Germany aufzurufen, und dann hier ein Konzert zu gehen: geschenkt. Sie ist nicht die einzige, die das so handhabt. Ihr Bekanntheitsgrad erscheint mir auch nicht gerade so hoch, dass es überhaupt aufgefallen wäre.

    Ihr Verhalten hat auch wesentlich mehr damit zu tun, innerhalb der Künstler:innen- und Musiker:innen-Blase nicht unnötig durch differenzierte Standpunkte auffallen zu wollen, als mit irgendeiner Form von Durchblick.

    Ich kann den Begriff „Israelkritik“ inzwischen nicht mehr hören. Tatsächlich ist es schon auffällig, dass sdieser Begriff geprägt wurde, während es keine „Hamaskritik“ oder „Irankritik“ gibt, jedenfalls habe ich diese Wörter noch nie irgendwo gelesen, obwohl sie auch sehr leicht zu bilden sind, und diese Art von Kritik auch dringend nötig wären. Gerade in oben erwähnten Kreisen.

  • Geht es ums Geld, ist eben Pause mit radical chic.

  • Mein Gott sie macht Musik und will sie verkaufen. Jeder hat so seine Moralvorstellungen und seine Art und Weise damit umzugehen. Da ist sie leider nicht die Einzige. Ich muß sie mir ja nicht anhören. Ganz einfach.



    Aber zu Rammstein laufen die Konsument*Innen ja auch nach wie vor.

  • Tja, Musiker:innen sind erstmal das, und keine Politiker:innen oder Universalgelehrte. Ähnlich wie Profifußballer. Solange sie nicht ostentativ mit ihrer Haltung hausieren gehen, konzentriere ich mich auf die Musik (also bei den Musiker:innen...). Natürlich trübt es den Genuß, wenn ich mit den Werten der Person über Kreuz bin, aber man würde doch den Alltag lahmlegen, wenn man Alle, mit denen man zu tun hat, erst auf ihre Gesinnung prüfen wollte.

  • Der Tenor dieses Artikels ist betrüblich.

    • @Kay Brockmann:

      Finde ich auch.