Aktuelle Entwicklungen in der Coronakrise: Wirbel um Triage-Äußerungen
Das Gesundheitssystem im Saarland steht kurz vor der Überlastung. Sachsens Gesundheitsministerin versteht Triage-Aussage in Zittau als „Warnruf“. Die Coronalage.
Bessere Entschädigungsregelungen für Eltern
Nach Beginn des harten Lockdowns sollen Eltern künftig leichter eine Entschädigung bekommen, wenn ihre Kinder nicht in die Kita oder die Schule können. Das Bundeskabinett billigte nach Angaben des Gesundheitsministeriums am Mittwoch einen Entwurf zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes, der die Entschädigung auch bei Betriebs- und Schulferien vorsieht. Davon werden auch Kindertagesstätten erfasst, wie der Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums, Hanno Kautz, am Mittwoch sagte. Der Sonderurlaub wird auch dann gewährt, wenn Schüler wegen eines angeordneten Online-Unterrichts zu Hause bleiben müssen. Bislang wird die Entschädigung nur bei einer kompletten Schließung der Schulen gewährt. 67 Prozent des Verdienstausfalls werden erstattet, allerdings maximal 2016 Euro im Monat. Die Regelung, die Bundestag und Bundesrat noch billigen müssen, soll ab sofort gelten. (afp)
Wirbel um Triage-Äußerungen – Zittau in kritischer Lage
Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) hat die mutmaßlichen Triage-Äußerungen eines Ärztlichen Direktors einer Klinik als „Warnruf“ bezeichnet. Man habe in Zittau einen „Weckruf“ gestartet, die Verantwortlichen wollten zeigen: „Wir wissen bald nicht mehr, wie wir die Patienten versorgen sollen“, erklärte die Ministerin am Mittwoch in Dresden am Rande einer Landtagsdebatte. Den Fall selbst könne sie nicht bestätigen, so Köpping.
Der Ärztliche Direktor des Oberlausitzer Bergland-Klinikums, Mathias Mengel, hatte Berichten zufolge am Dienstagabend in einem Online-Forum von Triage gesprochen und damit für Wirbel gesorgt. Triage bedeutet, dass Mediziner aufgrund von knappen Ressourcen entscheiden müssen, wem sie zuerst helfen.
Die Lage in Sachsen sei angespannt. „Das ist allen bekannt“, so Köpping. Sie verwies darauf, dass es in Sachsen eine gute Abstimmung unter den Krankenhäusern in den Cluster-Regionen Chemnitz, Dresden und Leipzig gebe. „Es wird tagtäglich mit einer Leitstelle abgestimmt, welcher Patient mit welcher Erkrankungsschwere in welches Krankenhaus gebracht werden kann.“
Sachsen bemühe sich täglich um die Erweiterung von Kapazitäten und die Verlegung von Patienten. Man habe bei der Bundeswehr Hilfe angefordert. Zudem sei man mit anderen Regionen in Kontakt, um Patienten verlegen lassen zu können. „Das würden wir gerne nutzen, wenn es notwendig ist.“ (dpa)
Empfohlener externer Inhalt
Das Gesundheitssystem im Saarland vor Überlastung
Zum ersten Mal während der Coronapandemie steht das Gesundheitssystem nach Angaben des saarländischen Ministerpräsidenten Tobias Hans (CDU) „ernsthaft kurz vor der Überlastung“. Beim Pflegepersonal gebe es bereits erhebliche Engpässe, sagte er in einer Regierungserklärung im Landtag in Saarbrücken. „Wenn wir verhindern wollen, dass zu viele Menschen sterben, wenn wir verhindern wollen, dass unsere Ärztinnen und Ärzte, unsere Pflegekräfte vor der Entscheidung stehen, wen sie noch behandeln können, dann müssen wir jetzt handeln.“
Der seit Mittwoch geltende coronabedingte Shutdown sei daher unumgänglich gewesen. Ziel sei eine 7-Tage-Inzidenz von 50 und weniger: „Erst dann haben wir die Pandemie unter Kontrolle.“ Und erst dann könnten Einschränkungen wieder gelockert werden.
Derzeit liegt die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen im Saarland bei mehr als 190. „Zwei Landkreise haben sogar mehr als 200“, sagte Hans. (dpa)
Forscher erwarten Wirtschaftswachstum
Mehrere Forschungsinstitute sind sich in ihren nun veröffentlichten Konjunkturprognosen einig, dass die neuen Einschränkungen das Wirtschaftswachstum in Deutschland hemmen, die Auswirkungen aber nicht so gravierend sind wie befürchtet. Im Unterschied zur ersten Coronawelle läuft nun die Industrieproduktion weiter. Ebenfalls Konsensmeinung unter den Wissenschaftlern ist allerdings, dass die gestiegene Arbeitslosigkeit im kommenden Jahr trotz der erwarteten wirtschaftlichen Erholung nur wenig zurückgehen wird. Gerechnet wird mit einer Arbeitslosenquote von 5,9 Prozent. Die Folgekosten des Lockdowns seien zwar hoch, aber ohne Verschärfung in diesem Winter wären diese in der Zukunft noch höher, heißt es.
Empfohlener externer Inhalt
Das Ifo-Institut schätzt die Situation vergleichsweise pessimistisch ein und senkte seine Prognose für 2021 von den bisher erwarteten 5,1 auf 4,2 Prozent Wachstum. In diesem Jahr werde das deutsche Bruttoinlandsprodukt nach allgemeiner Erwartung um mehr als 5 Prozent schrumpfen, ebenso stark oder etwas stärker als auf dem Höhepunkt der internationalen Finanzkrise 2009.Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen prognostiziert für das kommende Jahr statt 4,5 nun 4,9 Prozent Wirtschaftswachstum. Das Statistische Bundesamt sieht keine Anzeichen für ein Ende der wirtschaftlichen Erholung. (dpa)
Mehrheit der Deutschen findet harten Lockdown richtig
Fast drei Viertel der Deutschen finden den seit Mittwoch geltenden harten Lockdown zur Eindämmung der Coronapandemie richtig. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur unterstützten 73 Prozent die weitgehende Schließung von Geschäften, Schulen und Kitas. Nur 20 Prozent lehnen die Maßnahmen ab, 7 Prozent machten keine Angaben.
Selbst von den WählerInnen der AfD, die Coronabeschränkungen besonders kritisch sieht, ist eine knappe Mehrheit von 51 Prozent für den harten Lockdown, nur 43 Prozent sind dagegen. Am größten ist die Unterstützung für die drastischen Maßnahmen unter den Wählern der Grünen (90 Prozent) vor den Anhängern der CDU/CSU (86 Prozent), der SPD (85 Prozent), der Linken (72 Prozent) und der FDP (71 Prozent).
Mit den nun geltenden harten Einschränkungen wollen Bund und Länder erreichen, dass die starke Welle der Neuansteckungen gebrochen wird. Ziel ist es, die Zahl der innerhalb einer Woche auftretenden Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner von jetzt 180 auf maximal 50 zu bringen, um die Kontaktnachverfolgung wieder möglich zu machen. Damit soll auch verhindert werden, dass die Kliniken überlastet werden, insbesondere die Intensivstationen. (dpa)
Sächsische Klinik prüft Berichte zu Triage
Das Oberlausitzer Bergland-Klinikum im sächsischen Zittau prüft Berichte zu einer möglichen Triage bei Coronapatienten. Triage kann grob gesagt bedeuten, dass MedizinerInnen bei knappen Ressourcen entscheiden müssen, wem sie zuerst helfen.
Derzeit könne noch nichts zu den Aussagen gesagt werden, die der Ärztliche Direktor der Klinik in einem Online-Bürgerforum am Dienstagabend gemacht haben soll, sagte eine Sprecherin des Gesundheitszentrums des Landkreises Görlitz, zu dem das Krankenhaus gehört, der Deutschen Presse-Agentur.
Ein Reporter des Deutschlandfunks hatte getwittert, dass der Ärztliche Direktor Mathias Mengel in dem Forum gesagt habe, im Klinikum Zittau hätte man schon mehrfach triagieren müssen, weil nicht genug Beatmungsbetten zur Verfügung stünden. Dem Nachrichtenportal t-online erklärte der Mediziner: „Wir waren in den vergangenen Tagen schon mehrere Male in der Situation, dass wir entscheiden mussten, wer Sauerstoff bekommt und wer nicht.“
Es werde versucht, die Patienten, für die es keine Versorgung gibt, in eine andere Klinik zu verlegen, sagte Mengel demnach. „Aber wir sind im Epizentrum, manche Häuser nehmen gar nicht mehr auf.“ Die Entscheidung könne auch bedeuten, dass es für einen nicht verlegungsfähigen Patienten dann keine entsprechende Hilfe mehr gebe.
Der Landkreis Görlitz, in dem die Klinik liegt, gehört zu den absoluten Corona-Hotspots in Deutschland. Nach Angaben des sächsischen Sozialministerium lag die 7-Tage-Inzidenz dort am Dienstag bei über 500. (dpa)
Neuinfektionen und Todesfälle steigen weiter
Die Zahl der verzeichneten Todesfälle in Zusammenhang mit dem Coronavirus ist sprunghaft gestiegen und hat einen neuen Höchststand erreicht. Binnen eines Tages übermittelten die deutschen Gesundheitsämter dem Robert-Koch-Institut (RKI) 952 neue Todesfälle, wie aus den RKI-Zahlen vom Mittwochmorgen hervorgeht. Außerdem sind 27.728 Neuinfektionen verzeichnet worden.
Allerdings waren in den Daten von Dienstag keine Zahlen aus Sachsen enthalten gewesen, weswegen in den neuen Zahlen auch Nachmeldungen enthalten sein könnten, wie es hieß. Vergangenen Mittwoch (9.12.) waren 20.815 Neuinfektionen und 590 Todesfälle gemeldet worden. Die bisherigen Höchstwerte von 29.875 gemeldeten Fällen und 598 Toten waren am Freitag erreicht worden.
In der Tendenz war die Zahl der täglichen Todesfälle zuletzt nach oben gegangen, was nach dem steilen Anstieg bei den Neuinfektionen auch erwartet wurde. Am Dienstag lag die Zahl der neu gemeldeten Todesfälle bei 500 und somit auch ohne die fehlenden sächsischen Daten beim bis dahin dritthöchsten Wert seit Beginn der Pandemie. Die Gesamtzahl der Menschen, die an oder unter Beteiligung einer nachgewiesenen Infektion mit Sars-CoV-2 gestorben sind, stieg bis Mittwoch auf 23.427.
Die zur Lagebeurteilung entscheidende 7-Tage-Inzidenz – die gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen – erreichte mit 179,8 ebenfalls einen neuen Höchststand. Am Dienstag lag dieser Wert bei 173,7. Die fehlenden Daten aus Sachsen beeinflussten den Wert nur geringfügig, hieß es vom RKI.
Das RKI zählt seit Beginn der Pandemie 1.379.238 nachgewiesene Infektionen mit Sars-CoV-2 in Deutschland, schätzungsweise rund 1.025.000 Menschen sind inzwischen genesen.
Der bundesweite 7-Tage-R-Wert lag laut RKI-Lagebericht vom Montag bei 1,06 (Vortag: 1,12). Das heißt, dass 100 Infizierte rechnerisch 106 weitere Menschen anstecken. Am Dienstagabend gab das RKI den Wert mit 0,98 an, er sei aber aufgrund von noch ausstehenden Datenermittlungen nur eingeschränkt verwertbar. Der Wert bildet jeweils das Infektionsgeschehen vor 8 bis 16 Tagen ab. Erst wenn er für längere Zeit unter 1 liegt, flaut dieses ab. (dpa)
Teillockdown in Kraft getreten
Ab dem heutigen Mittwoch gelten in Deutschland verschärfte Einschränkungen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus. So bleibt etwa der Einzelhandel mit Ausnahme von etwa Lebensmittelgeschäften ab sofort geschlossen, Schulen und Kindertagesstätten bleiben bis auf eine Notbetreuung ebenfalls zu. Die Maßnahmen sollen vorerst bis zum 10. Januar gelten.
Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery rechnet trotz eines vorgezogenen Impfbeginns mit harten Coronamaßnahmen bis ins Frühjahr. „Auch wenn die Impfungen jetzt früher beginnen als erwartet, wird der Effekt nur allmählich zu einer Verbesserung der Lage beitragen. Wir werden mindestens noch bis Ostern mit verschiedenen Lockdown-Maßnahmen leben müssen“, sagt der Vorsitzende des Weltärztebundes den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Modellrechnungen zeigten, dass der harte Lockdown die Zahl der Neuninfektionen frühestens ab Ende Januar bundesweit unter den Wert von 50 Fällen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen drücken werde. Die Bürger müssten sich daher zunächst sogar auf eine Fortsetzung der jetzigen strengen Regeln einstellen. „Es wird eine Verlängerung des Lockdowns über den 10. Januar hinaus geben.“
Dem schließt sich auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) an. Der Lockdown in Deutschland muss nach dessen Einschätzung so lange dauern, bis die Zahl der Neuinfektionen deutlich reduziert ist.
„Wir müssen so lange durchhalten, bis das Ziel erreicht ist, die Inzidenzen signifikant zu senken“, sagt Laschet dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Dabei stünden nicht die wirtschaftlichen Folgen der Beschränkungen im Vordergrund. „Der Gesundheitsschutz und der Schutz des Lebens haben Vorrang. Es geht um die Verhinderung eines nationalen Gesundheitsnotstands.“
Es müsse erreicht werden, dass die Gesundheitsämter wieder flächendeckend in der Lage sind, Kontakte von Infizierten nachzuverfolgen. (rts)
Impfungen nach Weihnachten?
Trotz der Aussicht auf die baldige Zulassung eines Impfstoffs werden Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zufolge die Abstands- und Hygieneregeln den Alltag in Deutschland noch einige Zeit bestimmen.
„Nur weil wir mit dem Impfen beginnen, sehr zeitnah jetzt nach Weihnachten, heißt das nicht, dass damit auch alle Regeln nicht mehr notwendig wären, sondern wir werden bis weit ins nächste Jahr hinein weiterhin auch diese Regeln brauchen“, sagt der CDU-Politiker in einem Interview von RTL und ntv.
Man könne aber zuversichtlich sein, dass es ab dem Sommer Zug um Zug eine Rückkehr in die Normalität geben könne. Der Sommer sei „eine Perspektive, mit der man umgehen kann“.
Fast jeder vierte Mensch kann möglicherweise erst frühestens im Jahr 2022 gegen Covid-19 geimpft werden. Zu dem Schluss kommen Forscher an der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health in den USA. Hintergrund sei, dass Länder mit weniger als 15 Prozent der Weltbevölkerung mit 51 Prozent mehr als die Hälfte der Dosen für sich beanspruchen, während Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen, in denen mehr als 85 Prozent der Weltbevölkerung leben, den Rest unter sich aufteilen müssen. (rts)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies
Klimakiller Landwirtschaft
Immer weniger Schweine und Rinder in Deutschland