Aktivistin über abgesagte Demo: „Wir diskutieren neue Formate“
Das Bündnis gegen das Polizeigesetz in Schleswig-Holstein hatte für Samstag zur Demo aufgerufen. Die fällt aus, aber die Kritik bleibt.
taz: Frau Poddig, Sie setzten sich als Sprecherin eines Bündnisses gegen das geplante Polizeigesetz in Schleswig-Holstein ein – zurzeit im Homeoffice?
Hanna Poddig: Ja, sozusagen im Homeoffice. Ich lebe in einem Wohnprojekt, bin zum Glück also nicht ganz allein. Aber die Treffen der Gruppe halten wir per Telefonkonferenz ab.
Was sind Ihre Hauptkritikpunkte am Polizeigesetz?
Der Datenschutz wird eingeschränkt, die Polizei kann Aufenthaltsgebote und -verbote erlassen, die elektronische Fußfessel soll präventiv eingesetzt werden und das Waffenarsenal vergrößert sich.
34, stammt aus Hamburg und ist bundesweit bei Projekten engagiert. Zurzeit lebt sie in einem Wohnprojekt in Flensburg. Die Aktivistin ist Autorin von „Klimakämpfe. Wir sind die fucking Zukunft“.
Wo ist das Problem?
Beim Taser, den die Polizei künftig benutzten will, handelt es sich um eine potenziell tödliche Waffe, die ich für weit gefährlicher halte, als es in der Polizeipropaganda dargestellt wird. Angeblich soll der Taser deeskalierend wirken. Aber aus meiner Erfahrung mit Polizeieinsätzen denke ich, er wird wohl als Alternative zum Schlagstock eingesetzt werden. Das dürfte die Hemmschwelle senken und wird wahrscheinlich zu mehr Gewalt führen.
Sie haben die Überwachung per elektronischer Fußfessel genannt. Ist das nicht harmlos gegen die Bewegungsprofile per App, die sich viele aufs Smartphone laden, um Infektionsketten zu erkennen?
Keine Frage. Aber das Telefon kann ich zu Hause lassen, auch wenn mich das von einigen Kommunikationsmöglichkeiten abschneidet. Die Fußfessel abzulegen, ist unter Strafandrohung verboten. Um es klar zu machen, es geht nicht um Auflagen nach einer Tat, sondern um den präventiven Bereich. Wenn die Polizei findet, jemand könnte etwas machen, kann die Fessel verhängt werden. Das ist beängstigend. Und es ist auch erschreckend, wie viele Leute offenbar kein Problem mit Überwachung haben. Andererseits wächst auch die Zahl derer, die bei ihren Telefonanbietern aktiv einer Weitergabe von Trackingdaten widersprechen.
Die Grünen in Schleswig-Holstein verteidigen das Gesetz: Es sei milder als in anderen Bundesländern. Was sagen Sie dazu?
Ich halte die Haltung der Grünen für verlogen. Viele der Maßnahmen unterscheiden sich kaum von anderen Ländern, tödliche Schüsse auf Kinder sind sicher nicht milde. Die Grünen schreiben sich auf die Fahnen, sie hätten den Staatstrojaner verhindert. Mag sein, dass sie sich in der Koalition durchgesetzt haben. Aber das Verbot ist nicht auf ewig festgeschrieben, und ich finde es sehr schräg, sich als liberal zu definieren, wenn man gleichzeitig Fußfesseln und Taser genehmigt.
Ihr Protest verläuft im Moment gebremst: Ein Aktionswochenende am 15. März fand noch statt, aber die für Samstag geplante Demo gegen das Polizeigesetz ist gestrichen worden. Welchen Ersatz gibt es?
Schon das Aktionswochenende fand verändert statt, es waren nur kleine Gruppen unterwegs, was wir zu dem Zeitpunkt vertretbar fanden. Aktuell gibt es Aktionen von Einzelpersonen. Aber wir diskutieren neue Formate. Denkbar wäre, einzelne Abgeordnete mit Fragen zu konfrontieren. Aber ohne zynisch klingen zu wollen: Vielleicht hilft uns die aktuelle Situation dahingehend, dass Menschen begreifen, wie sich eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit und mehr Überwachung anfühlen.
Auch der Politikbetrieb ruht zurzeit weitgehend. Herrscht damit Gleichstand oder passiert etwas, das sich nach der Krise nicht mehr zurückdrehen lässt?
Bereits beschlossene Projekte wie etwa Datteln 4...
... das Kohlekraftwerk, das im Sommer in Betrieb gehen soll.
... laufen ja weiter. Und wir haben nicht die Möglichkeit, dagegen auf die Straße zu gehen. Dazu kommen Gesetzesänderungen, die in der Öffentlichkeit kaum für Aufregung sorgen, die aber gravierend für Betroffene sind, etwa die Fristenverlängerung bei Prozessen, die längere U-Haft erlauben. Außerdem ändert sich etwas in der Gesellschaft.Es werden Leute denunziert, die im Park spazieren gehen. Andererseits nehmen Menschen, die den Autoritäten nicht uneingeschränkt vertrauen, vielleicht eine kritischere Haltung mit in ihren Alltag. Wobei es auch darauf ankommt, wie lange diese Lage jetzt dauert. Wenn wir die Infektionskurve flach halten wollen, kann das sehr, sehr lange sein.
Gewöhnen sich die Menschen daran oder begehren sie auf?
Es liegt stark an uns, dass es nach Corona besser wird als vorher.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Biden hebt 37 Todesurteile auf
In Haftstrafen umgewandelt
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten
Analyse der US-Wahl
Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht