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Aktionen gegen AbschiebungLichterketten tun's nicht

Lotte Laloire
Kommentar von Lotte Laloire

Friedrich Merz will Tausende Menschen einsperren lassen. Das K.O.M.I.T.E.E. hat 1995 versucht, einen Abschiebeknast zu sprengen. Ist es angemessen, sie zu feiern?

Das ehemalige Abschiebegefängnis in Grünau Foto: Jürgen Ritter/imago

W eiße Stofftischdecken, Tulpen in Glasvasen, Kerzen und adrette ältere Herrschaften – für die Punkerkneipe Clash in Berlin-Kreuzberg war dieser Anblick an einem Mittwoch im März eher ungewohnt. Eine Trauerfeier? Dann flog die Tür auf: Johlen, Applaus, Freudentränen und Umarmungen. Herein kamen Thomas Walter und Peter Krauth, zwei ehemalige Mitglieder des K.O.M.I.T.E.E. Das waren Linksradikale, die 1995 versucht hatten, einen Abschiebeknast in Berlin-Grünau in die Luft zu jagen.

Die Aktion misslang, die Aktivisten setzten sich nach Lateinamerika ab. Für ihren Prozess und die Urteilsverkündung – zwei Jahre auf Bewährung – sind sie erstmals seit 1995 nach Deutschland zurückgekehrt. Ist es angemessen, sie zu feiern? Man könnte nun die Militanzdebatte wiederkäuen. Deren Argumente sind aber oft genug ausgetauscht worden. Nüchtern betrachtet sollte konstatiert werden: Die versuchte Knastsprengung war dilettantisch, sie hat keinem einzigen Geflüchteten geholfen, sondern einen Rattenschwanz an Repression nach sich gezogen.

Gleichzeitig trifft zu: Die aktuelle antirassistische Bewegung leistet zwar Unglaubliches in der täglichen Unterstützung Geflüchteter, ist politisch aber sehr zahm. Manchmal gibt es Demos. Eine Menschenkette hier, eine Lichterkette da, einen größeren Plan gegen den neuen rassistischen Normalzustand scheint niemand zu haben.

Dabei ist heute alles noch schlimmer als in den 1990ern. Nicht nur Fluchtgründe wie Klimawandel und Kriege, sondern auch die Entrechtung Flüchtender. Friedrich Merz will Tausende Menschen einsperren lassen. Angesichts dieser asozialen Asylpolitik braucht es andere Strategien.

Ob man mit der Sachbeschädigung von Symbolen der Staatsgewalt sympathisiert oder nicht, sei dahingestellt. So oder so lässt sich vom K.O.M.I.T.E.E. etwas lernen: Mut, Entschlossenheit und die Bereitschaft, das eigene bequeme Leben aus Solidarität für andere zu riskieren. Davon könnten wir uns heute eine Scheibe abschneiden. Und es gibt ja auch Aktionsformen zwischen Sprengstoff und Lichterkette.

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Lotte Laloire
Lotte Laloire ist Mitte 30 und immer noch links. Sie arbeitet seit 10 Jahren als Journalistin - für Medien wie taz, nd (Neues Deutschland), Tagesspiegel, Frankfurter Rundschau, Jungle World, Brigitte oder Deutschlandfunk.
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4 Kommentare

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  • Ja, es wird schlimmer.



    Menschen wie Merz entwickeln sich ganz langsam von einem Problem zum Teil der Lösung.



    Wir erinnern uns, dass er meinte, nur Kraft seiner Gedanken die Wirtschaft wiederzubeleben und Investitionsstau per Handauflegen zu regeln.



    DAFÜR ist die "dU" offenbar nicht mehr "c" genug!



    Neben dem Koalitionspartner, der Anderes will, gibt es glücklicherweise auch noch Gesetze, Gerichte und europäische Nachbarn. "Einfach" wird es für freunde einfacher Lösungen nicht!



    Auch wenn Demonstrativer Dilettantismus lustig sein kann, lösungsorientiert ist er nicht.



    Es sind die ArbeiterInnen in Behörden und dem Ehrenamt, die täglich für und mit Flüchtlingen leben und Zukunft erträglich machen.



    DENEN gebührt Anerkennung.



    Aber eine verrückte Idee zu feiern ist natürlich auch schön!

  • Ja, die Rechten haben von gelernt und sicheine Scheibeabgeschnitten.

    Sie zünden Asylbewerberheime in Bau an.

    Ist eindeutig irgendwo zwischen Lichterkette und Sprengstoff.

    Mit Mut, Entschlossenheit und Risikobereitschaft.

    "Ob man mit der Sachbeschädigung von Symbolen der Staatsgewalt sympathisiert oder nicht, sei dahingestellt."

    Na dann ...

  • Warum sollte jemand, der noch alle Tassen im Schrank hat, dafür Leib und Leben anderer Menschen (und das ist bei Terroranschlägen immer mit eingepreist) bzw. die eigene Freiheit aufs Spiel setzen?



    Ein Aufruf zu irgend etwas wie Gewalt jenseits von "Lichterketten" ist der Text allemal.

  • Wie kommen sie eigentlich zu der simplen Gleichsetzung Abschiebung = Rassismus? Wenn eine Asylbewerberin weder die gesetzlichen Vorrausetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erfüllt und der Asylberechtigung und der Subsidiären Schutzberechtigung und eines Abschiebungsverbotes und eines Abschiebungshindernisses, wenn also keine der gesetzlichen Schutznormen auf eine ausländische StaatsbürgerIn zutreffen, dass die daraus folgende rechtliche Konsequenz einer Ausreiseaufforderung, die mit einer Abschiebungsandrohung verbunden wird ein Akt des Rassismus sei?