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Aktion vor dem BBC-Gebäude in LondonHammer und Statue

In London hat sich ein Mann zehn Meter hoch begeben, um eine Prospero-Skulptur zu beschädigen. Grund dürfte der Schöpfer des Werks sein.

London am Mittwoch: Mit schwarzer Wollmütze macht sich ein Mann ans Werk Foto: Ian West/ap

London taz | In einem Sweatshirt, mit schwarzer Wollmütze und einem kleinen Hammer hatte sich der vermutlich Mittfünfziger am Mittwochnachmittag über dem Eingang der BBC in London ans Werk gemacht: Ohne Gerüst und nur mit einer Leiter stand er mehr als zehn Meter Höhe neben einer Statue, von der er ganze Stücke abschlug, während ihn Schaulustige dabei beobachten. So ist es im Video zu sehen, das ein etwa gleichaltriger Mann mit Vollbart live auf Youtube mitlaufen zeigte. „Der Mann, der die Statue schuf, Eric Gill, war ein Kinderschänder, und die BBC weigert sich, die Statue zu entfernen“, sagt dieser Mann in die Kamera – bis ihn die Polizei für eine Durchsuchung zur Seite nimmt.

Ein hydraulischer Lift holte den Mann mit dem Hammer schließlich von der Statue herunter. Die Polizei nahm ihn wegen des Vorwurfs der Sachbeschädigung mit.

1989 wurde bekannt, dass der anerkannte Bildhauer Gill seine Kinder sexuell missbraucht hatte

Seit 1933 schmückten Prospero und Ariel aus dem Shakespearestück „The Tempest“ (Der Sturm) den Eingang der BBC. Ariel, ein Luftgeist, der Prospero dient, war, für den Radiosender ein symbolisches Wortspiel auf aerial, dem englischen Wort für in der Luft, synonym für Antenne.

Die Statue empörte bereits nach ihrer Enthüllung, weil das Glied Ariels einigen zu lang war: Der Bildhauer musste es nach Beschwerden kürzen. Eric Gill (1882–1940) galt als einer der anerkanntesten britischen Bildhauer seiner Zeit – bis 1989 seine Biografin Fiona MacCarthy auf Aufzeichnungen stieß, die klar machten, dass Gill seine Kinder vergewaltigt sowie auch seinen Hund missbraucht hatte.

Immer wieder flammten seitdem Diskussionen über die Entfernung von Gills Werken auf. Sie bezogen sich nicht nur auf Prospero und Ariel, sondern auch auf Arbeiten, die in Kirchen hängen.

Auch in Küns­tler:in­nen­krei­sen gab es solche Querelen: Der 58-jährige Londoner Textilkünstlerin Holly Searle etwa missfielen Prospero und Ariel so, dass sie der BBC schrieb. Die antwortete ihr, dass das Unternehmen mit Hinblick auf den Denkmalschutz nicht daran denke, die Statue zu entfernen – man sich aber über die Lebensgeschichte des Bildhauers im Klaren sei.

Der taz sagte Searle, dass sie ihre Beschwerde im Zusammenhang mit der #MeToo-Bewegung sehe. Sie gehöre einer Generation an, „wo Frauen von Männern noch an den Hintern gelangt wurde“. Dazu gehöre auch die Tatsache, dass jahrzehntelang Pädophile wie der BBC-DJ Jimmy Savile gedeckt wurden, sagt Searle. Savile hatte einem Untersuchungsbericht zufolge mindestens 120 Vergehen in seiner fünfzigjährigen beruflichen Laufbahn begangen.

In den vergangenen Jahren hatten auch Gruppen, die nach britischen Medienberichten der QAnon-Bewegung nahestehen sollen, immer wieder den Fokus auf die Statue gelegt. Die rechtsextreme Bewegung glaubt an eine Verschwörung durch eine satanistische Organisation von Pädophilen, der demokratische US-Politiker, der Milliardär George Soros sowie diverse Hollywoodstars angehören sollen. Der britische rechtsextreme Aktivist und Streamer Tommy Robinson hatte die Statue britischen Medien zufolge ebenfalls oft kritisiert.

BBC: Diskussion ist richtiger Schritt, nicht die Beschädigung

Über den Mann mit dem Hammer sowie mutmaßliche Mit­tä­te­r:in­nen war bis Redaktionsschluss nichts Näheres bekannt. In einem Statement sagte ein Sprecher der BBC: „Wir stimmen mit den Ansichten und Taten Eric Gills nicht überein. Es ist klar, dass es eine Debatte darüber gibt, ob das Werk von Künst­le­r:in­nen von ihrer Person getrennt werden kann.“ Der richtige Schritt nach vorne sei die Diskussion darüber: „Aber wir glauben nicht, dass es richtig ist, ein Kunstwerk selber zu beschädigen.“

Der Youtuber, der die Aktion vor dem BBC-Gebäude livestreamte, beruft sich in seinem Video auch auf den Sturz der Statue des Sklavenhändlers Colston. Während eines Black-Lives-Matter-Protests hatten die Demonstranten am 7. Juni 2020 die Statue des Sklavenhändlers Edward Colston (1636-1721) umgeworfen und ins nahe gelegene Hafenbecken geworfen. In der vergangenen Woche sind vier Verantwortliche für den Denkmalsturz vor Gericht freigesprochen worden.

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4 Kommentare

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  • Bamiyan 2001, Palmyra 2015, London 2022.

  • Trennung der Werke von der Person des schaffenden Künstlers:



    Kunstwerke entstehen immer im Kontext. Einfluss auf das Kunstwerk haben Zeitgeschmack, vorherrschende gesellschaftliche Strömungen und Denkweisen, gesellschaftliche Ereignisse und auch persönliche Eigenschaften, Denkweisen und Vorlieben des schaffenden Künstlers. Bis auf den direkten Einfluss der Persönlichkeit des Künstlers verändern sich alle anderen Kontexte stark. Sind Kunstwerke als per se einer Veränderung unterzogen, die sich auch in der Antwort der Gesellschaft auf seine ursprüngliche Aussage manifestieren kann? Ist also ein Eingriff (auch gewaltvoll) Kunstwerk vielleicht sogar Bestandteil des Kunstwerkes. Ist ein Kunstwerk nicht immer nur dann ein Kunstwerk, wenn es das im Auge des Betrachters ist? Das sich zerstörende Bild von Banksy blieb auch nach der "Zerstörung" ein Kunstwerk, der Künstler hat nur eine weitere Betrachtungsebene hinzugefügt - mit neuem Kontext, mit einem weiteren Kontext, der einfach über den der reinen Betrachtbarkeit eines Werkes hinausgeht. Er hat ihm eine weitere Bedeutungsebene hinzugefügt.



    So ist es mit jedem Kunstwerk: Es gibt sehr mannigfaltige Bewertungs- und Aussageebenen eines Kunstwerkes. Und die Veränderung gehört wohl dazu. Ein Bestand des ursprünglichen Kunstwerkes ohne Einfluss der Zeit ist wohl nur im Interesse des das Kunstwerk Besitzenden. Der Besitzer ist aufgrund seines Besitzanspruches darum bemüht, das Kunstwerk in seiner ursprünglichen Form zu erhalten. Aber so wird auch der Kontext erhalten. Er ist Teil des Kunstwerkes. Ohne gewollten Kontext wäre ein Kunstwerk, wie z.B. eine Skulptur, nur reines Handwerk, Dekoration. Vielleicht ist Veränderung Bestandteil von Kunstwerken? Opern werden heute ja auch neu inszeniert, mit aktuellem Kontext. Soll also die Zeit Einfluss nehmen auf Kunstwerke, sie verändern oder einfach nur in ein/en aktuelles/n Umfeld/Kontext setzen, oder es sogar verändern? Nur so könnte es Kunstwerk bleiben und nicht zur Deko verkommen.

  • DESTROY WHAT DESTROYS YOU/



    //



    Eine Selbstermächtigung/



    Als die Tat, die Stein zerschlägt/



    Oder auch Mauern zersägt/



    Wegen Vergewaltigung/



    //



    Ist ein Symbol und ein Zeichen/



    "Wir machen hier nicht mehr mit"/



    Und in einem nächsten Schritt/



    Soll das Denkmal dann auch weichen./



    //



    Falsche Mythen, alte Lügen/



    Gift sind sie für die Kulturen/



    Wie am Beispiel der Skulpturen/



    Die Ansprüchen nicht genügen./



    //



    Zeit für Neues, nicht devot/



    Denkmäler, wie vor dem Sender/



    Aus der Werkstatt Kinderschänder/



    Stehen schließlich auch für Tod./



    //



    taz.de/Jubilaeumsf...Scherben/!5772003/



    //



    taz.de/Wie-Hase--Igel/!5189958/



    //



    taz.de/Lockdown-Li...terzuege/!5769732/



    //



    taz.de/Missbrauch-...ldschule/!5125528/

  • Warum muss man immer alles in einen Topf werfen? Ich finde, die Schrift HumanstBT, die ich seit Jahren benutze, neuerdings ebenfalls die FAZ, ist einfach schön, auch wenn sie von Eric Gill stammt, der offenbar tatsächlich ein Kinderschänder war. Die Taten müssen gesühnt werden, dennoch bleibt Gill ein Mensch - und die Schrifttype okay.