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Agrarpolitik in der EUUmwelt? Nicht mehr so wichtig!

Bei der Europawahl entscheidet sich, ob die EU noch weniger Naturschutz von den Landwirten verlangen wird. Viele Bauern würden das begrüßen.

Besonders in Brüssel merkte man den Unmut der Milch­bäue­r*in­nen auf der Straße Foto: Olivier Hoslet

Dion/Brüssel taz | Stéphane Godfriaux ist eigentlich ein sympathischer, offener Bauer. Der Landwirt aus der belgischen Gemeinde Dion nahe Brüssel hat kein Problem damit, eine ganze Gruppe Journalisten durch seinen Hof zu führen. Seine kleine Enkelin hat er auf dem Arm, seine Frau steht in Gummistiefeln neben ihm. Aber als man ihn danach fragt, wie er die EU-Agrarpolitik findet, weicht das Lächeln aus seinem Gesicht.

„Nicht gut“, sagt der Milchbauer etwas ungehalten. „Es gibt immer mehr Regeln und immer weniger Geld.“ Wo die Milchpreise doch sowieso zu niedrig seien. „Würden Sie mehr arbeiten für weniger Geld?“ Dabei macht der Belgier eine Geste, als ob ihm jemand ein Messer an den Hals hielte.

Für Godfriaux und viele seiner Kollegen etwa in Deutschland sind die Zahlungen der Europäischen Union unverzichtbar. Er hat nur 50 Milchkühe, die eben nicht so viel Milch und damit Geld generieren wie größere Herden. Da fallen die ungefähr 27.000 Euro, die er 2022 dem belgischen Agrarministerium zufolge von der EU bekam, durchaus ins Gewicht.

Die Subventionen für die Landwirtschaft sind mit 55 Milliarden Euro jährlich der zweitgrößte Posten im Haushalt der Staatengemeinschaft. Ohne das Geld kann sein Hof nicht überleben. Aber Godfriaux fordert, dass der Staat dafür zum Beispiel weniger Umweltschutzbedingungen stellt.

EU weicht Regelungen auf

Genau diesen Weg hat die EU bereits eingeschlagen. Auch nachdem Godfriaux’ Sohn und andere Landwirte zum Beispiel in Brüssel teils recht aggressiv demonstriert haben. Die Europäische Union nahm etwa die bereits beschlossene Regelung zurück, wonach ein Bauer mindestens 4 Prozent seiner Ackerfläche für die Natur reservieren sollte – wenn er denn Direktzahlungen, die wichtigsten Agrarsubventionen, erhalten will.

Und auf Höfen mit höchstens 10 Hektar Agrarfläche sollen die Behörden gar nicht mehr kontrollieren, ob die Umweltvorschriften eingehalten werden – das sind laut EU-Kommission 65 Prozent aller Betriebe. Doch Godfriaux sagt dazu: „Das wird nicht viel verändern. Wir haben immer noch zu wenig Freiheit.“ Er dürfe nach wie vor nicht genug düngen und Pestizide spritzen. Mit Kontrollen muss er ­weiter rechnen, weil er rund 80 Hektar bewirtschaftet.

Wenn bei der EU-Wahl am Sonntag Parteien wie die CDU, FDP oder AfD stärker werden, könnte das künftige EU-Parlament zusammen mit dem Rat der Mitgliedstaaten weitere Umweltbedingungen für die Agrarsubventionen streichen. Parteien wie Grüne, Linke und SPD lehnen das eher ab.

Die Landwirtschaft schadet dem Klima

In der Agrarpolitik geht es um die Branche, die die Bevölkerung ernährt. Aber die Landwirtschaft ist auch maßgeblich dafür verantwortlich, dass immer mehr Pflanzen- und Tierarten aussterben. In Deutschland beispielsweise hat sie ungefähr die Hälfte der Landfläche unter Beschlag.

Die Branche verursacht inklusive der Emissionen aus Böden und Maschinen laut Umweltbundesamt 13 Prozent der Treib­hausgase hierzulande. Viele Tiere werden unter Bedingungen gehalten, die die meisten Menschen Umfragen zufolge kritisieren.

Das gilt auch für die „Anbinde­haltung“ wie auf dem Hof von Godfriaux. Seine Milchkühe sind angekettet: Sie können ihre nur rund 1,30 Meter breiten Plätze im Stall nicht verlassen, weil an ihren Halsbändern Ketten hängen, die an einem Metallgerüst vor und neben den Tieren befestigt sind.

Auch in Deutschland lebten 2020 laut dem bundeseigenen Thünen-Agrarforschungsinstitut 10 Prozent aller Rinder in der Anbindehaltung, die den Bewegungsdrang der Tiere erheblich einschränkt, Schmerzen und Schäden verursachen kann. Immerhin sagt Godfriaux, dass er seine Kühe normalerweise von Ende April bis Ende September auf die Weide lasse – nur dieses Jahr zumindest bis Ende Mai nicht, weil die Böden wegen starken Regens zu weich seien. Für einen Laufstall fehle ihm das Geld.

Fokus auf die Landwirtschaft

Doch Umweltprobleme sind bei wichtigen Beamten der EU-Kommission in den Hintergrund gerückt. Die Behörde, die für Parlament und Rat die Gesetzesvorlagen entwirft, hat ihren Hauptsitz in dem kreuzförmigen Berlaymont-Gebäude in Brüssel. EU-Flaggen wehen davor, in der Umgebung haben Abteilungen der Kommission ihre Büros. Ein hochrangiger Mitarbeiter sagt: „Die Bauernproteste beschäftigen uns fast jeden Tag.“

Viele Landwirte bangten um ihr Geschäftsmodell. Ein anderer EU-Verantwortlicher redet zuerst lange darüber, dass die Europäische Union fast alle Lebensmittel überwiegend selbst produzieren kann, dass seit 2010 mehr als 3 Millionen der vorher 12 Millionen Bauern aufgegeben hätten, dass die Landwirte doch die Kulturlandschaft pflegen würden.

Das wichtigste Ziel für zuständige Kommis­sions­beamte scheint derzeit zu sein, Bauern einen „angemessenen Lebensstandard“ zu garantieren, Klimaschutz beispielsweise erwähnen sie in ihren Vorträgen vor den Journalisten erst später.

Der für Landwirtschaft zuständige Sprecher der Kommission weist auch Kritik an der Rücknahme von Umweltauflagen für die Subventionen zurück. „Die Kernelemente der grünen Architektur der Direktzahlungen sind immer noch da“, sagt Olof Gill.

Ökoregelungen nicht bindend

32 Prozent des gesamten Agrarbudgets würde für freiwillige Maßnahmen zur Förderung der Umwelt-, Klima- und Tierschutzziele bereitgestellt. Landwirte bekommen dieses Geld zum Beispiel im Rahmen von „Ökoregelungen“, wenn sie Blühstreifen auf Ackerland anlegen, mehr Pflanzenarten anbauen oder auf Pestizide verzichten.

„Die Ökoregelungen sind freiwillig. Die Landwirte müssen die nicht wahrnehmen, und das werden sie gerade auf den besseren Standorten auch nicht“, widerspricht Friedhelm Taube, Agrarprofessor an der Universität Kiel.

Schon jetzt würden die Landwirte das Budget für die Ökoregelungen nicht ausschöpfen, weil es sich für sie ökonomisch nicht lohne, so Taube. Auch deshalb haben gerade mehr als 10 Vereinigungen von Wissenschaftlern in einem offenen Brief verlangt, die jüngsten Streichungen von Vorschriften zurückzunehmen.

Die Verantwortlichen in Brüssel überlegen jedoch, noch mehr Forderungen nach weniger Umweltschutz aus der Bauernschaft entgegenzukommen. Die Beamten stellen zum Beispiel infrage, ob die „Konditionalitäten“ genannten grundlegenden Umweltvorschriften für die Direktzahlungen künftig von den einzelnen Höfen erfüllt werden müssen, wie aus Kreisen der Kommission verlautet.

Klagen über Bürokratie

Vielleicht reiche es ja, dem jeweiligen Mitgliedstaat zum Beispiel Ziele zur Artenvielfalt vorzugeben. Wenn sich dieser Vorschlag durchsetzt, könnte der einzelne Landwirt also etwa Mais-Monokulturen anbauen, ohne EU-Geld zu verlieren. Ob und wie die Mitgliedstaaten dennoch für Artenvielfalt sorgen sollen, ist ungewiss.

Doch maßgebliche Teile der Kommission wollen Bauern wie Godfriaux zufriedenstellen, der darüber klagt, dass es so kompliziert sei, die Agrarhilfen zu beantragen. Er hält den Journalisten einen gut gefüllten DIN-A4-Umschlag vor die Nase: So einen Antrag für die Subventionen muss er jedes Jahr einreichen. Auf einem Blatt ist ein Satellitenbild seiner Felder zu sehen.

„Da muss ich bis 31. Mai eintragen, was ich gesät habe, aber wegen des Wetters kann ich noch gar nicht alles aussäen“, kritisiert der Bauer. Er weiß offenbar nicht, dass genau in solchen Situationen die Mitgliedsländer seit den neusten Beschlüssen der EU Ausnahmen ermöglichen dürfen.

Jede zusätzliche Anforderung kann für Godfriaux Kosten verursachen. Das ist hart für jemanden, dem es ökonomisch nicht sehr gut zu gehen scheint. Wer Milchbauer sein will, müsse bereit sein, von 5 Uhr morgens bis abends um 7 Uhr zu arbeiten, erzählt der Landwirt. Und das jeden Tag, Urlaub ist kaum möglich. Für Angestellte haben so kleine Betriebe in der Regel kein Geld.

Nachfrage nach teurer Milch bleibt aus

Eigentlich würde der Bauer gern auf die Subventionen verzichten. Aber da der Markt keinen fairen Preis für seine Produkte zahle, komme er nicht ohne sie aus, sagt Godfriaux. Er ist auch Mitglied in einer Genossenschaft, die bessere Preise für einen Teil seiner Milch aushandelt. Der Marktanteil der im Supermarkt teureren Milch ist allerdings immer noch gering.

Auf was für Widerstände höhere Kosten für die Ernährung stoßen, hat der Unmut wegen der Inflation nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 gezeigt. Fraglich ist auch, ob die Milchpreise überhaupt steigen müssen. Denn viele Höfe kommen mit ihnen klar.

„Insgesamt sind die Milchpreise beispielsweise derzeit auskömmlich für gut aufgestellte Betriebe“, sagt Alfons Balmann, Leiter des Leibniz-Instituts für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien in Halle. Das Problem: Höfe wie der von Stéphane Godfriaux mit nur 50 Kühen sind das eher nicht.

Transparenzhinweis: Die Recherchereise wurde von der EU-Kommission organisiert und finanziert.

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9 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Wo ist das Problem? Es gibt eine Mehrheit in D und in der EU für weniger Umweltschutz und weniger Klimaschutz. Und das wird jetzt umgesetzt



    Bauern finden Regelungen, die sie dazu zwingen, die Umwelt weniger zu verkraften, ohnehin in aller Regel schlecht (und Bauern bekommen ja üblicherweise, was sie wollen).

    Irgendjemand zahlt die Rechnung dann, aber das sind ja andere. Sch.... drauf.

  • „Würden Sie mehr arbeiten für weniger Geld?“



    Das ist die entscheidende Frage diese Artikels.



    Die Subventionen wurden damals eingeführt, damit in der EU Lebensmittel zu günstigen Preisen und höheren Standards produziert werden können. Deshalb ist letztendlich jeder Bürger Nutznießer der Subventionen weil er Produkte kauft in guter Qualität, ohne dafür kostendeckende Preise zahlen zu müssen. In den letzten Jahren wurden die Subventionen runter- und die zusätzlichen Vorgaben raufgefahren. Das bedeutet die höheren Standards sind nicht mehr kostendeckend durch Subventionen abgedeckt.



    Für die im Artikel erwähnten zusätzlichen, freiwilligen Maßnahmen gibt es neue Subventionen, die aber sehr oft auch nicht kostendeckend sind. Oft sind die Subventionen aber nur umgeschichtet, d.h. es wird allen gekürzt ohne die bestehenden Auflagen zu reduzieren, damit man auf der anderen Seite wieder "großzügig" Geld für neue Auflagen verteilen kann.



    Wenn jetzt einige der neuen Vorschriften wieder zurückgefahren werden, ist das kein Rückschritt in alte Zeiten. Die Landwirtschaft hat sich besonders hier in Deutschland in den letzten Jahren stark verbessert was Natur-/Umweltschutz und Tierhaltung angeht.

    • @Thomas2023:

      Die Subventionen fallen vom Himmel. Wie sieht es aus mit Verhandlungen mit den Supermarktketten. Wer bekommt wie viel von der Milch. Aber daran sind Bauernpräsidenten nicht interessiert.

    • @Thomas2023:

      Meinetwegen sollten ALLE Agrarsubventionen abgeschafft werden.



      Ich zahle gerne Marktpreise.



      Umweltauflagen sollten als Umweltgesetze angewandt und kontrolliert werden.



      Die heutigen Auflagen sind voller Ausnahmen.



      Z.B.:



      -gelten die Mindestabstände für PSM und Dünger NICHT für kleine Entwässerungsgräben. Aber wohin entwässern diese wohl?



      In unsere Gewässer. Kein Wunder, dass wir die EU Wasserrahmenrichtlinie nicht einhalten.



      - Pflugbewirtschaftung von entwässerten Hochmooren ist erlaubt (auch MAISANBAU für Biogas!). Dabei emittieren diese Flächen 30-40t CO2/ha*a.



      Das ist einfach nur krank.

      Mein Vorschlag zum Geldverdienen:



      Agri-PV nur auf wiedervernässten Moorböden. DAS wäre sinnvoll.

      Aber auch Gesetze sind schwach: So beruht die Pestizidzulassung auf Gutachten der Hersteller, die NICHT unabhängig überprüft werden (Stichwort:Wissenschaft?) Daher flächendeckend Abbauprodukte in Gewässern und Grundwasser und Artensterben.



      Lobbyisten machen die Gesetze. Und zwar nicht zum Gemeinwohl.



      Proof me wrong.

      • @So,so:

        Nur ist es Politisch überhaupt gewollt die Ausgleichszahlungen abzuschaffen ?? Es ist für manche Politiker (und Parteien) ein Schreckgespenst das Landwirte finanziell unabhängig sind und plötzlich auf ihrem Land selber entscheiden. Weil man braucht sich nichts vorzumachen, das jetzige System der Ausgleichzahlungen ist eine Art der Planwirtschaft !! Landwirten wird heute vorgeschrieben wann sie ihre Felder befahren und mit was sie diese düngen dürfen, mit was sie ihre Pflanzen gegen Krankheiten schützen dürfen, wie viele verschiedene Arten das sie anbauen müssen, wie Ställe zu bauen sind, usw. Die EU hat es geschafft die Landwirte an die finanzielle Kandare zu legen, und das möchte auch keiner ändern.

        • @Günter Witte:

          "Es ist für manche Politiker (und Parteien) ein Schreckgespenst das Landwirte finanziell unabhängig sind und plötzlich auf ihrem Land selber entscheiden"

          Es dürfte für jeden Bürger, der schon die Entscheidungen der Bauern erleben durfte, eine Horrorvorstellung sein. Gülle auf schneebedeckten, gefrorenen Äckern, Gülle im Bach, alle paar Tage mit der Giftspritze durch die Obst- oder Weinplantage, Hormonspritzen für die Tiere zwecks schnellerem Wachstum, sind ein paar der Dinge, die ich selbst erleben durfte.



          Was hätten wir noch? Achja, Tierhaltung unter Bedingungen, wo man durch das Ansehen von Berichten darüber in Gefahr ist, dauerhafte psychische Schäden zu erleiden, Artensterben durch Landwirtschaft etc. pp.

          • @Kaboom:

            Natürlich gibt es auch unter Landwirten, wie in jeder Personen-/Berufsgruppe, EINZELNE die mit fehlverhalten auffallen aber das rechtfertigt es nicht eine ganze Berufsgruppe pauschal zu verurteilen. Es sagt viel aus über die Einstellung eines einzelnen wenn man hier nicht unterscheiden kann.

  • Wie hat das alles früher, in den Zeiten vor den Direktzahlungen, funktioniert ?? Kühe hatten eine Milchleistung von rund 50% gegenüber heute, auch bei Getreide und anderen Erzeugnissen sind die Erträge stark gestiegen. Nur das damals kam von jeden Euro (D-Mark) den Verbraucher ausgaben rund 50 % bei den Landwirten an, heute sind es um die 10 %. Wo jetzt dieses Geld hängen bleibt ist ja kein Geheimnis, es sind die Handelsriesen die abkassieren. Da sich aber anscheinend keine Regierung traut die Allmacht dieser Heuschrecken zu brechen, knechtet man lieber die Landwirte mit immer mehr und immer aufwendigeren Auflagen. Beschneidet den Gewinn des Handels, gebt es dafür den Landwirten, kein Verbraucher müsste mehr bezahlen und Landwirte könnten (noch) Umwelt verträglicher produzieren ohne das irgend ein Staat Geld dafür ausgeben muss.

    • @Günter Witte:

      Richtig.



      Der Lebensmittel-"Einzel"-Handel sind in Wirklichkeit Kartelle auf der Nachfrageseite mit Oligopolstruktur.



      Das Bundeskartellamt macht nichts.



      Die Molkerei"genossenschaften" haben mit echten Genossenschaften auch nichts gemein, sondern behandeln die Bauern nach der 'Friss oder stirb"-Methode.



      Der Milchpreis ist unbekannt und wird nur nach Lieferung 'festgestellt'.



      So kann Marktwirtschaft natürlich nicht funktionieren.



      Die Milchbauern sind vollständig erpressbar.



      Entweder formieren sie ein Gegenkartell



      oder das Kartellamt zerschlägt die Lebensmittelkonzerne.



      Das könnte aber wahrscheinlich nur EU-weit klappen.



      Warum gibt es kein schlagkräftiges EU Kartellamt?



      Weil die Regierungsvertreter (=Kommission) dagegen sind.



      Das EU Parlament ist ein Feigenblatt der Demokratie.



      Trotzdem wählen gehen!