„Agrargipfel“ im Kanzleramt: Mit dem Traktor gegen die Wand

Wer sich wie die Bauernbewegung radikal der Realität verweigert, erreicht kaum etwas. Das hat der „Agrargipfel“ im Kanzleramt gezeigt.

Traktoren stehen in mehreren Reihe auf der Straße

Traktor an Traktor auf der Demonstration gegen die Agrarpolitik Foto: Michael Sohn/ap

Der „Agrargipfel“ bei Bundeskanzlerin Angela Merkel hat gezeigt, dass die Bauernbewegung mit ihrer radikalen Realitätsverweigerung kaum etwas erreicht. Es ist höchste Zeit, dass die Landwirte sich bereit erklären, die Umwelt besser zu schützen. Damit sie nicht pleitegehen, sollten sie eine Wende der Agrarpolitik fordern – weg von der Orientierung am Weltmarkt und seinen Dumpingpreisen, hin zu regionalen Wirtschaftskreisläufen.

Mit ihren Trecker-Demonstrationen im Oktober und November hat die Bewegung „Land schafft Verbindung“ bisher nur eins geschafft: Ausschließlich Lobbyisten der Landwirtschaft durften am Montag stundenlang auf Merkel einreden. Umwelt- und Tierschützer mussten vor dem Kanzleramt warten.

Die Bauern haben jede Menge warme Worte von der Regierungschefin gehört: „Respekt“, „wichtiger Teil der Gesellschaft“ und so weiter. Doch in der Sache hat Merkel nicht nachgegeben. Es bleibt dabei: Die Bauern werden bald im Schnitt weniger düngen und weniger Pestizide nutzen dürfen.

Die Unnachgiebigkeit der Kanzlerin hat zwei Gründe: Zum einen haben selbst die Unionsparteien inzwischen begriffen, dass die Landwirtschaft erheblich zu Insektensterben, Klimawandel und Wasserverschmutzung beiträgt. Der Europäische Gerichtshof hat Deutschland sogar schon verurteilt, weil immer wieder zu viel Nitrat, vor allem aus Düngern, im Grundwasser gemessen wird. Es droht eine Strafe von 800.000 Euro – täglich.

Die Bauern verpassen eine historische Gelegenheit

Viele Bauern ignorieren diese Sachzwänge einfach; Merkel kann das nicht. Zumal sie immer noch Rücksicht auf ihren Koalitionspartner SPD nehmen muss, der über das Umweltministerium Druck ausübt.

Zum anderen sind die Bauern insbesondere für CDU/CSU nicht mehr so wichtig wie früher. Denn es gibt nur noch 270.000 Höfe, Tendenz: fallend. Die Union verliert aber substanziell Wähler an die Grünen, Tendenz: steigend. Solche Bürger lassen sich nicht von haltlosen Behauptungen so mancher Bauern in die Irre führen, wonach Kläranlagen das Grundwasser stärker belasteten als Dünger (sie leiten vor allem in Flüsse ein). Und: Die Grünen mit ihrer Forderung nach einer „Agrarwende“ werden auch als potenzieller Koalitionspartner immer wichtiger.

Deshalb werden die Landwirte mit ihrer Strategie gegen die Wand fahren, die Union durch maximalen Druck zum Einknicken zu zwingen. Vielmehr führt ihr Vorgehen dazu, dass sie die Sympathie weiter Teile der Bevölkerung verlieren.

Und sie verpassen eine historische Gelegenheit, das einzufordern, was sie wirklich brauchen: erstens eine Markt­reform, die ihnen faire Preise für ihre Produkte garantiert und es ermöglicht, bei drastischem Überangebot gemeinsam die Erzeugung zu drosseln. Und zweitens eine Umverteilung der Agrarsubventionen zugunsten jener Bauern, die mehr Rücksicht auf die Umwelt nehmen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Jahrgang 1974. Er schreibt vor allem zu Ernährungsfragen – etwa über Agrarpolitik, Gentechnik, Pestizide, Verbraucherschutz und die Lebensmittelindustrie. 2022 nominiert für den Deutschen Reporter:innen-Preis 2022 in der Kategorie Essay, 2018, 2017 und 2014 Journalistenpreis "Grüne Reportage". 2015 "Bester Zweiter" beim Deutschen Journalistenpreis. 2013 nominiert für den "Langen Atem". Bevor er zur taz kam, war er Redakteur bei der Nachrichtenagentur Reuters und Volontär bei der Süddeutschen Zeitung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.