Afghanistan-Untersuchungsausschuss: Protokoll des Scheiterns
Der Afghanistan-Untersuchungsausschuss legt seinen Abschlussbericht vor. Daraus wird deutlich: Deutschland verschloss sich lange den Problemen vor Ort.
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Der parlamentarische Untersuchungsausschuss hatte seine Arbeit vor etwa zweieinhalb Jahren aufgenommen. Ziel des Gremiums war, die Entscheidungen der Bundesregierung zwischen Februar 2020 und dem Ende der militärischen Evakuierungsmission in Afghanistan Ende September 2021 zu analysieren.
Am 29. Februar 2020 hatte die damalige Regierung von Präsident Donald Trump mit den Taliban den Abzug der US-Truppen besiegelt, ohne diesen Rückzug an Bedingungen zu knüpfen oder sich mit den Nato-Partnern abzustimmen. „Die Taliban wurden damit zu einer Regierung im Wartestand“, sagte Stegner nun.
Doch dies wurde in Berlin lange Zeit nicht so wahrgenommen und der Abzug der Deutschen und ihrer Ortskräfte entsprechend nicht von langer Hand geplant. „Das Doha-Abkommen war ein Wendepunkt, der die Machtübernahme der Taliban besiegelte, alles andere war Wunschdenken“, sagte der stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses, der CSU-Politiker Thomas Erndl.
Merkel sprach von „furchtbarem Scheitern“
Der Ausschuss hatte in den vergangenen Jahren 111 Zeug*innen angehört und mehr als hundert Gigabyte Dateien aus E-Mails und Gesprächsprotokollen analysiert. Das Ergebnis: Schleppende Verwaltungsabläufe, fehlendes menschliches Verständnis für das Schicksal der Ortskräfte und eine Politik, der es teilweise an Handlungswillen fehlte, haben ein effektives Handeln der Bundesregierung in den Wochen vor der Machtübernahme durch die islamistischen Taliban in Kabul verhindert.
Am Ende der langen Liste der Befragten stand im Dezember auch Angela Merkel (CDU). Die ehemalige Bundeskanzlerin bezeichnete im Zeugenstand den Einsatz als „furchtbares Scheitern“. „Wir, die internationale Gemeinschaft, waren auf der Flucht vor den Taliban.
Stegner sah im Kanzleramt eine Verantwortung für dieses Scheitern. Bei der Vorstellung des Berichts sagte er, das Kanzleramt sei bei den Sitzungen des Afghanistan-Krisenstabs vor allem durch Wortlosigkeit in Erscheinung getreten. Auch Grünen-Politikerin Sara Nanni kritisierte dies. „Das Problem ist, dass es an politischer Führung mangelte.“
Bereits früh wurde im Untersuchungsausschuss bei der Befragung von Mitarbeitenden aus dem Innenministerium, dem Entwicklungsministerium, dem Auswärtigen Amt und dem Verteidigungsministerium deutlich, wie sehr die Häuser in ihren eigenen Logiken verhaftet blieben. Auch während der chaotischen Abzugsphase wichen sie kaum von ihren bürokratischen Standards ab, um etwa eine pragmatische Ausreise der deutschen Ortskräfte zu ermöglichen.
Im September 2021 standen Bundestagswahlen an, und im Innenministerium von CSU-Mann Horst Seehofer war man darauf bedacht, die Zahl der Ortskräfte in Deutschland gering zu halten – Abschiebungen nach Afghanistan wurden passend dazu erst am 11. August, vier Tage vor dem Fall Kabuls an die Taliban, ausgesetzt.
Stegner sprach davon, dass zu Zeiten des Abzugs „ähnliche bürokratischen Standards wie in einem Katasteramt“ an den Tag gelegt wurden.
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