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Afghanistan-Protestcamp in BerlinKampf gegen die Gleichgültigkeit

Anlässlich des Jahrestags der Machtübernahme der Taliban findet am Alexanderplatz ein Protestcamp statt – auch gegen die deutsche Abschiebepolitik.

Protest gegen den Islamistenterror in Afghanistan: Noch bis Sonntag wird auf dem Alexanderplatz in Berlin-Mitte demonstriert Foto: Lea Wolters

Berlin taz | Die Hitze ist drückend auf dem Alexanderplatz. Die Menschen, die die sonst so belebte Betonwüste in der Mitte Berlins passieren, wirken unglaublich träge. Umso auffälliger ist die Gruppe am Brunnen der Völkerverständigung, von wo afghanische Musik laut über den Platz schallt.

Seit Donnerstagabend haben hier Ak­ti­vis­t*in­nen des „Afghanistan Acitivist Collective“ ihre Zelte aufgeschlagen. Auch, um gegen Abschiebungen aus Deutschland in das von den ultraislamistischen Taliban beherrschte Afghanistan zu protestieren. Konkreter Anlass des Protests ist der vierte Jahrestag der Machtübernahme der Taliban an diesem Freitag. Noch bis Sonntag wollen die rund 25 Ak­ti­vis­t:in­nen am Alex campieren.

Im „Afghanistan Acitivist Collective“ seien „hauptsächlich „geflüchtete Menschen aus der ersten und zweiten Generation“ organisiert, sagt Sprecherin Zoya Hashemi zur taz. Viele von ihnen würden den 15. August 2021 niemals vergessen. Seitdem geschähen in ihrer Heimat unerträgliche Verbrechen, Tag für Tag, sagen die Aktivist:innen.

Das Protestcamp wurde seither jedes Jahr organisiert. Es gehe darum, dem Schweigen und der Gleichgültigkeit des Westens gegenüber der Terrorherrschaft der Taliban etwas entgegenzusetzen, so die Aktivist:innen. „No recognition of Taliban“ und „Taliban's place is in court“ steht auf großen Bannern, „Keine Anerkennung der Taliban“ also und „Der Platz der Taliban ist der vor Gericht“.

Kundgebungen und Hungerstreik

Auf den Tischen des Camps finden sich Infomaterialien und feministische und anarchistische Kunst afghanischer Künstler:innen. Neben Kundgebungen ist bis Sonntag auch ein Hungerstreik einzelner Ak­ti­vis­t:in­nen angekündigt, um auf die humanitäre und politische Situation in Afghanistan aufmerksam zu machen.

Nicht zuletzt die Lage der Frauen hat sich in Afghanistan seit 2021 immer weiter zugespitzt. Mit etlichen Dekreten wurden sie inzwischen komplett aus dem öffentlichen Leben verdrängt. Mädchen und Frauen haben keinen Zugang zu Bildung, die Zahl der Zwangsverheiratungen nimmt zu.

Auspeitschen, steinigen, Demütigungen aller Art: Die mittelalterlichen Strafen des Regimes treffen vor allem Frauen. Als einzigen Ausweg aus der islamistischen Hölle sähen immer mehr von ihnen den Suizid, berichten die Aktivist:innen. Und gerade, wenn es um die Situation der Frauen gehe, zeige sich die ganze „Scheinheiligkeit und Widersprüchlichkeit westlicher Staaten“, kritisiert Zoya Hashemi.

So sei das Bild der unterdrückten afghanischen Frau zwar 2001 den Nato-Staaten gelegen gekommen, um den damals begonnenen Krieg gegen die Taliban als demokratische und menschenrechtsorientierte Mission zu rechtfertigen. Heute, nach dem Rückzug der westlichen Truppen, sei das alles verdrängt und vergessen. Kaum jemand interessiere sich noch für die Situation der Frauen in dem Land, so die Ak­ti­vis­t:in­nen vom Alexanderplatz.

Abschieben um jeden Preis

Mehr noch: Rund 84.500 afghanische Mi­gran­t:in­nen in Deutschland besitzen nicht einmal einen dauerhaften Schutzstatus und sind von Abschiebung bedroht. „Die Bundesregierung tut gern so, als würde sie nur kriminelle Männer abschieben und als hätten diese ohnehin nichts zu befürchten“, sagt Hashemi.

Doch letztlich, so die Aktivistin weiter, bedeuteten Abschiebungen „für jede Person, die sich gegen die Taliban positioniert, unmenschliche Haftbedingungen, Folter und nicht selten den direkten Tod“. Der sofortige Stopp aller Abschiebungen nach Afghanistan und in Drittstaaten gehört dann auch zu den zentralen Forderungen der Aktivist:innen.

Dass die Taliban heute wieder so weit erstarkt sind, sei eine direkte Konsequenz aus dem gescheiterten Afghanistan-Einsatz der Nato. Eine beträchtliche Menge an militärischer Ausrüstung, mit denen das Regime heute seine Schreckensherrschaft ausübt, stamme aus Beständen der Nato und ihrer Verbündeten.

Umso absurder sei das heutige Desinteresse und die öffentliche Gleichgültigkeit, sagt Hashemi. Auch in den Medien sei die Situation vor Ort ihrer Meinung nach kaum noch präsent, ebenso wenig wie der Protest dagegen in Deutschland. Hashemi sagt: „Wir sind in einem Ausmaß dehumanisiert, dass wir eigentlich gar nicht existent sind. Aber wir für uns, wir machen weiter.“

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