Afghanistan-Protestcamp in Berlin: Kampf gegen die Gleichgültigkeit
Anlässlich des Jahrestags der Machtübernahme der Taliban findet am Alexanderplatz ein Protestcamp statt – auch gegen die deutsche Abschiebepolitik.

Seit Donnerstagabend haben hier Aktivist*innen des „Afghanistan Acitivist Collective“ ihre Zelte aufgeschlagen. Auch, um gegen Abschiebungen aus Deutschland in das von den ultraislamistischen Taliban beherrschte Afghanistan zu protestieren. Konkreter Anlass des Protests ist der vierte Jahrestag der Machtübernahme der Taliban an diesem Freitag. Noch bis Sonntag wollen die rund 25 Aktivist:innen am Alex campieren.
Im „Afghanistan Acitivist Collective“ seien „hauptsächlich „geflüchtete Menschen aus der ersten und zweiten Generation“ organisiert, sagt Sprecherin Zoya Hashemi zur taz. Viele von ihnen würden den 15. August 2021 niemals vergessen. Seitdem geschähen in ihrer Heimat unerträgliche Verbrechen, Tag für Tag, sagen die Aktivist:innen.
Das Protestcamp wurde seither jedes Jahr organisiert. Es gehe darum, dem Schweigen und der Gleichgültigkeit des Westens gegenüber der Terrorherrschaft der Taliban etwas entgegenzusetzen, so die Aktivist:innen. „No recognition of Taliban“ und „Taliban's place is in court“ steht auf großen Bannern, „Keine Anerkennung der Taliban“ also und „Der Platz der Taliban ist der vor Gericht“.
Kundgebungen und Hungerstreik
Auf den Tischen des Camps finden sich Infomaterialien und feministische und anarchistische Kunst afghanischer Künstler:innen. Neben Kundgebungen ist bis Sonntag auch ein Hungerstreik einzelner Aktivist:innen angekündigt, um auf die humanitäre und politische Situation in Afghanistan aufmerksam zu machen.
Nicht zuletzt die Lage der Frauen hat sich in Afghanistan seit 2021 immer weiter zugespitzt. Mit etlichen Dekreten wurden sie inzwischen komplett aus dem öffentlichen Leben verdrängt. Mädchen und Frauen haben keinen Zugang zu Bildung, die Zahl der Zwangsverheiratungen nimmt zu.
Auspeitschen, steinigen, Demütigungen aller Art: Die mittelalterlichen Strafen des Regimes treffen vor allem Frauen. Als einzigen Ausweg aus der islamistischen Hölle sähen immer mehr von ihnen den Suizid, berichten die Aktivist:innen. Und gerade, wenn es um die Situation der Frauen gehe, zeige sich die ganze „Scheinheiligkeit und Widersprüchlichkeit westlicher Staaten“, kritisiert Zoya Hashemi.
So sei das Bild der unterdrückten afghanischen Frau zwar 2001 den Nato-Staaten gelegen gekommen, um den damals begonnenen Krieg gegen die Taliban als demokratische und menschenrechtsorientierte Mission zu rechtfertigen. Heute, nach dem Rückzug der westlichen Truppen, sei das alles verdrängt und vergessen. Kaum jemand interessiere sich noch für die Situation der Frauen in dem Land, so die Aktivist:innen vom Alexanderplatz.
Abschieben um jeden Preis
Mehr noch: Rund 84.500 afghanische Migrant:innen in Deutschland besitzen nicht einmal einen dauerhaften Schutzstatus und sind von Abschiebung bedroht. „Die Bundesregierung tut gern so, als würde sie nur kriminelle Männer abschieben und als hätten diese ohnehin nichts zu befürchten“, sagt Hashemi.
Doch letztlich, so die Aktivistin weiter, bedeuteten Abschiebungen „für jede Person, die sich gegen die Taliban positioniert, unmenschliche Haftbedingungen, Folter und nicht selten den direkten Tod“. Der sofortige Stopp aller Abschiebungen nach Afghanistan und in Drittstaaten gehört dann auch zu den zentralen Forderungen der Aktivist:innen.
Dass die Taliban heute wieder so weit erstarkt sind, sei eine direkte Konsequenz aus dem gescheiterten Afghanistan-Einsatz der Nato. Eine beträchtliche Menge an militärischer Ausrüstung, mit denen das Regime heute seine Schreckensherrschaft ausübt, stamme aus Beständen der Nato und ihrer Verbündeten.
Umso absurder sei das heutige Desinteresse und die öffentliche Gleichgültigkeit, sagt Hashemi. Auch in den Medien sei die Situation vor Ort ihrer Meinung nach kaum noch präsent, ebenso wenig wie der Protest dagegen in Deutschland. Hashemi sagt: „Wir sind in einem Ausmaß dehumanisiert, dass wir eigentlich gar nicht existent sind. Aber wir für uns, wir machen weiter.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Russland und Ukraine
Ukrainische Gebietsabtretungen im Tausch für Frieden?
Ökonom über ungerechtes Rentensystem
„Es geht um Umverteilung“
Krieg in der Ukraine
Lieber Aufstand als Deal
Badeverbote und Hitzewellen
Gefangen in der Betonwüste
E-Autos versus Verbrenner
Der gefühlte Freiheitsverlust
Proteste gegen Hunger in Gaza
Viel Krach gegen „Gila & Nancy“