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Afghanistan-Demo in Berlin„Holt sie raus“

Mehr als 2.000 Menschen fordern vor dem Bundestag eine Luftbrücke für Menschen in Afghanistan: Nicht nur für Ortskräfte, sondern für alle Gefährdeten.

Protest am Dienstagabend vor dem Reichtstag Foto: ap

Berlin taz | Der emotionalste Moment auf dieser Demo ereignet sich am Schluss. Eine Frau tritt auf die Bühne vor dem Bundestag und erzählt, dass ihr Vater und ihre Schwester noch in Kabul seien. Sie kämen nicht zum Flughafen. Immer wieder stockt sie; sie weint und schluchzt. „Wie können meine Schwester, mein Bruder, mein Vater rausgehen aus Afghanistan?“

Die Menschen, die am frühen Dienstagabend vor das Reichstagsgebäude in Berlin gekommen sind, fordern von der Bundesregierung mehr Einsatz für die Menschen in Afghanistan. Laut Ver­an­stal­te­r*in­nen sind es rund 3.000 Personen; die Polizei spricht in der Spitze von 2.200 Menschen. Sie wollen eine Luftbrücke, um die in Afghanistan verbliebenen, gefährdeten Menschen – Ortskräfte der Bundeswehr, aber auch Frauenrechtler*innen, queere Menschen oder De­mo­kra­tie­ak­ti­vis­ti*­in­nen – schnell und unbürokratisch aus dem Land zu bringen.

Unter dem Motto „Schafft sichere Fluchtwege aus Afghanistan“ hatten verschiedene Akteure erst am Morgen zu der Demonstration aufgerufen. Beteiligt waren unter anderem die Initiativen Seebrücke, Migrantifa und der Verein der afghanischen Diaspora in Berlin, Yaar.

Es sind mehr Menschen gekommen als erwartet. Irgendwann reicht der gepflasterte Vorplatz nicht aus und die Demonstrierenden müssen auf die Wiese vor dem Bundestag ausweichen. Auch von der Klimademo in Nähe, die gerade vorbei ist, sind einige weitergezogen.

„Man fragt sich, wo die Prioritäten sitzen“

Red­ne­r*in­nen wie Be­su­che­r*in­nen stehen unter dem Eindruck der Bilder der vergangenen Tage. Am Morgen war bekannt geworden, dass ein Transportflugzeug der Bundeswehr gerade mal sieben Leute evakuiert hatte. Eine 26-jährige Demoteilnehmerin, die sich Len nennt, regt das auf: „Bundesinnenminister Seehofer freut sich an seinem 69. Geburtstag, dass 69 Menschen nach Afghanistan abgeschoben werden, und dann heißt es, dass jetzt sieben Personen ausgeflogen wurden. Da fragt man sich, wo die Prioritäten sitzen.“

Parallel zum Demoaufruf war auch eine Petition online gegangen, „Rettung aller gefährdeten Menschen jetzt“ ist ihr Titel und zugleich die zentrale Forderung. Rund 30.000 Unterschriften sind innerhalb von 24 Stunden zusammengekommen. Dazu aufgerufen – und die Demonstration mitorganisiert – hatten der Jurist Tilmann Röder sowie Kava Spartak, Geschäftsführer von Yaar.

„Wir sind eine Initiative aus Menschen, die das gleiche Problem haben: Alle haben eine Riesenliste an Leuten in Afghanistan, die uns seit Monaten kontaktieren und sagen: ‚Ihr lasst uns im Stich. Wir kommen hier nicht raus‘“, sagt Spartak. Er sei permanent in Kontakt mit Menschen vor Ort. „Deutschland sollte eine Vorbildrolle übernehmen und darf sich nicht rechter Rhetorik beugen. Jetzt von ‚Flüchtlingskrise‘ zu sprechen ist eine Farce.“ Mehrere CDU-Politiker*innen hatten am Dienstag gefordert, dass sich 2015 – das Jahr, in dem sehr viele Geflüchtete nach Europa kamen – „nicht wiederholen“ dürfe.

Viele Exil-Afghaner*innen sind gekommen

Auch viele Mitglieder der afghanischen Diaspora sind zu dem Protest vor dem Sitz des Bundestags gekommen. Mashallah etwa: Er ist 15 Jahre alt, wurde im Irak geboren, wohin seine Eltern geflüchtet waren, und ist in Berlin aufgewachsen. Dies ist die zweite Demo in seinem Leben. In Afghanistan war er noch nie, auch wenn er es sich wünscht: „Mein Traum ist es, mein Land in Frieden zu sehen.“

Sala Mohammedi hingegen hat bis 2015 in Afghanistan gelebt. „Ich habe gesehen, was die Taliban machen: Frauen dürfen nicht rausgehen, Frauen dürfen nicht zur Schule gehen“, erzählt die 33-Jährige. Dass eine Generalamnestie wirklich geben werde, die die Taliban wenige Stunden zuvor verkündet haben, glaubt sie nicht: „Jetzt sagen sie zwar, es ist okay. Aber später machen sie alles kaputt.“

Um die Dringlichkeit zu verdeutlichen, fanden in sieben anderen deutschen Städten am Dienstagabend Demos mit den gleichen Forderungen stattgefunden. Hunderte Menschen haben etwa in Potsdam an einer Kundgebung teilgenommen. Sie hielten am Landtag Plakate mit Aufschriften wie „Verantwortung & Humanität statt Bürokratie“, „Save Afghanistan“ und „Luftbrücke jetzt“.

Der Kreisvorsitzende der Linken Potsdam, Roland Gehrmann, die die Kundgebung organisiert hatten, sprach von etwa 350 Teilnehmern – deutlich mehr als die ursprünglich erwarteten 200. In Köln kamen laut der Veranstalter etwa 1.000 Menschen – ebenfalls deutlich mehr als erwartet. Am Mittwoch sind sechs weitere Demonstrationen angekündigt.

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8 Kommentare

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  • „…sondern für alle Gefährdeten….“



    Im Prinzip also für mindestens 50% der afghanischen Bevölkerung, also die Frauen, die unter Talibanherrschaft eine Art patriachalische Sklaverei erwartet.

    Viele, viele Millionen..,

    Wie entwickelt sich da wohl die Wohnungssituation in Berlin ?

    • 1G
      17900 (Profil gelöscht)
      @Paul Rabe:

      Wir sind schuld, wer sonst.



      US-Amerikaner haben das zwar initiiert, aber was solls.

      Eine Politik, die immer nur zuschaut bis das Kind in den Brunnen gefallen ist, muss abgewähldt werden.



      Die Tatenlosigkeit ist v.a. auch im Fall China bemerkenswert.

  • Frage:



    Welche Menschen sind denn in Afghanistan nicht gefährdet?



    Haben die Dolmetscher_Innen keine Verwandten? Where would you draw the line?



    Es muss doch weiterhin darum gehen, eine zivile moderne afghanische Gesellschaft weiter durchzusetzen - um der Afghanen um ihretwillen. und überall.



    Das Zurückweichen ist die Katastrophe.



    Der offentiche Rahmen muss aber militärisch abgesichert werden.

  • Horst Köhler hat, sehr kurz vor seinem plötzlichem Rücktritt Mai 2010, mal gesagt, dass es bei dem Krieg um die militärische Sicherung von "freien Handelswegen" ging:

    de.wikipedia.org/w...landseins%C3%A4tze

    Tatsächlich gibt es in Afghanistan wohl auch sehr wertvolle Mineralvorkommen, z.B. an Lithium:

    www.nytimes.com/20...nerals.html?emc=na

    Folgt man dieser Sichtweise, so war dieser Krieg ethisch betrachtet wenig anders als Rache- und Raubmord auf kollektiver Ebene.

    Man kann sich fragen, ob das jetzt wiedergekehrte Argument, es ginge darum, die Rechte von Frauen zu sichern, nicht immer bloß eine Massage der öffentlichen Meinung war (Ich meine es wurden sogar mal Geheimdienstdokumente in dieser Richtung öffentlich). Es widerspricht auch aller historischer Erfahrung: Im Allgemeinen verbessert Krieg die Lage von Frauen im Land mitnichten, abgesehen davon dass es andere Mittel gäbe, eine Verbesserung ihrer Situation zu erreichen.

    Das wird noch gestützt durch die Erfahrung, dass "der Westen" oft wenig zimperlich war, seine Interessen mit Hilfe von übelsten Diktatoren zu sichern, wenn man sich z.B. mal an den "Arabischen Frühling" erinnert (Saddam Hussein, Mubarak, auch die Taliban - alle mal vom Westen unterstützt), oder auch an die enge Kooperation mit den Herrschern Saudi-Arabiens.

    Deutschland hätte sich nie in diesen Krieg hineinziehen lassen dürfen.



    Alles was man jetzt noch tun kann ist eine großzügige Aufnahme der Flüchtlinge. Indem wir den Flüchtlingen helfen und sie schützen, können wir zumindest etwas vom geschehenen Unrecht wieder gut machen.

  • Die Medaille hat zwei Seiten.



    Wenn alle "Aktivisti" etc vorsorglich rausgeflogen werden, wer soll denn im Land für Änderungen eintreten?



    Erste Abgeordnete melden sich um vor Ort für ihre Rechte einzutreten. Erste Proteste finden in Städten statt.

  • "Für alle Gefährdeten" - aha.



    Ist ja eine altruistische Forderung ... also mindestens 19Mio der 38 Mio Einwohner, oder? Mindestens Frauen und Kinder sind ja alle gefährdet...



    Ein bisschen mehr Realismus würde nicht schaden....

  • Für alle Gefährdeten? Das wären alle Frauen. Ziemlich viele Flugzeuge...

  • RS
    Ria Sauter

    Unfassbar, dass das Flugzeug mit nur 7 Personen zurückkam. die Verantwortlichen schämen sich für gar nichts mehr.



    Wie kann es ein, dass eine solche Mörderbande, wie die Taliban, das Land so einfach übernehmen konnte? Ich kann das nicht begreifen. Die afghanischen Soldaten wurden doch ausgebildet und waren in der Überzahl oder irre ich mich?