Affäre um „Graue Pässe“: Schleuser im Staatsdienst

Angestellte des türkischen Konsulates in Hannover haben auf Schwindeleien bei der Einreise mit Dienstpässen hingewiesen. Dafür werden sie abgestraft.

Die Fassade des türkischen Generalkonsulates in Hannover

Das türkische Generalkonsulat in Hannover war der letzte Einsatzort der Fidans Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa

HANNOVER/HAMBURG taz | Mehmet Fidan steht mit seiner Frau Güler vor der Tür des türkischen Konsulats in Hannover und klingelt. Er will persönliche Dokumente abholen. Doch man verweigert ihm den Einlass. Ein Journalist der türkischsprachigen Plattform „Avrupa Postasi“ filmt das Ganze.

37 Jahre lang stand Mehmet Fidan im Dienst des türkischen Staates. Sein letzter Dienstort war genau hier, in diesem Konsulat, auch seine Frau arbeitete hier. Doch dann wagte Güler Fidan es, auf Unregelmäßigkeiten aufmerksam zu machen – und fiel in Ungnade. Jetzt lässt man die beiden nicht einmal mehr herein.

Der Videobericht davon sorgt im Netz und in der Türkei für Diskussionen – schon einen Tag später veröffentlichte die regierungstreue Tageszeitung Sabah einen Gegenbericht, in dem sie den Auftritt als falsch und inszeniert bezeichnet. Offiziell äußern möchten sich aber weder das Konsulat noch das Ehepaar Fidan gegenüber der taz.

Ein Vertrauter des Paares berichtet, dass mehrere Disziplinarverfahren angestrengt wurden. Doch die beiden weigern sich, nach Ankara zurück zu kehren. Derzeit sind sie vom Dienst suspendiert. Jetzt hofft Mehmet Fidan auf seine Frühverrentung und dass er bei seinem erwachsenen Sohn in Deutschland bleiben kann. Seine Frau muss eine andere Lösung finden.

Schwunghafter Handel mit „grauen Pässen“

Die Unregelmäßigkeiten, die den Fidans auffielen, stehen im Zusammenhang mit einem Skandal, der in der Türkei schon seit fast einem Jahr für großen Wirbel sorgt. Es geht um illegale Einschleusungen in die EU mit Hilfe von staatlichen Stellen. Auch in Deutschland hat es deshalb schon Gerichtsverfahren gegeben.

Zwischen Ende 2018 und März 2021 sollen mehrere tausend Personen mit sogenannten „grauen Pässen“ nach Deutschland und in weitere Länder der EU eingereist sein, ohne dazu berechtigt gewesen zu sein. Die grauen Dienstpässe sind eigentlich dazu gedacht, Angehörigen des öffentlichen Dienstes die Einreise zum Beispiel zu Fortbildungen zu ermöglichen, ohne dass sie umständliche Visaverfahren durchlaufen müssen.

Offensichtlich gab es aber in etlichen Gemeinden, vor allem in den strukturschwachen Provinzen der Türkei, einen schwunghaften Handel mit diesen Papieren. Zwischen 6.000 und 10.000 Euro sollen Personen für einen solchen Pass gezahlt haben – die meisten wohl in der Hoffnung, dann in Deutschland arbeiten und Geld verdienen zu können.

Eine dieser Reisegruppen war Güler Fidan aufgefallen. Das Konsulat erhält Meldungen darüber, wenn Menschen mit Dienst- oder Diplomatenpässen anreisen. Doch diese Gruppe von 45 Menschen aus der Provinz Yesilyurt bei Malatya kam ihr seltsam vor.

Angeblich wollten sie mitten in der Pandemie für eine Umweltfortbildung in der Region Hannover anreisen. Dort wusste auf Nachfrage aber niemand etwas davon. Auf ihre Nachfragen in der Türkei erhielt sie nur ausweichende und unstimmige Antworten.

Viele der Gemeinden werden von Erdogans AKP geführt

Sie war nicht die einzige, die irgendwann misstrauisch wurde. In Bayern begannen Grenzschützer bei den grauen Pässen genauer hinzusehen. In der Türkei begannen Oppo­sitionspolitiker*innen mit parlamentarischen Anfragen nach dem Verbleib diverser Reisegruppen zu forschen.

So hat es zumindest der Hamburger Rechtsanwalt Mahmut Erdem in den Akten gelesen. Er hat in Deutschland mehrere Menschen vertreten, die deshalb in Schwierigkeiten geraten sind. Zum Beispiel Ersit Kilit, der vom Amtsgericht Hannover zu einer Geldstrafe von 900 Euro verurteilt wurde, weil er über seine Baufirma die Einladung zu der erfundenen Umweltfortbildung ausgestellt hatte, mit der dann wiederum graue Pässe beantragt wurden.

Der Anwalt geht allerdings davon aus, dass die wahren Hintermänner bisher gar keine Konsequenzen zu spüren bekommen haben. „Das waren nicht ein paar kleine Schlepper, dahinter steckt eine große Organisation. Da wurden Busse angemietet, Personenbeförderungsscheine beantragt, Hotelübernachtungen gebucht und in der Pandemie sogar die notwendigen Coronatests für die Einreisenden organisiert“, berichtet er.

In der Türkei wurden zwar Aufsichtsverfahren gegen 90 Gemeinden eingeleitet. Konsequenzen gab es bisher jedoch, abgesehen von ein paar Versetzungen, kaum. Die Opposition glaubt, dass dies vor allem etwas damit zu tun hat, dass der überwiegende Teil der Gemeinden von Bürgermeistern geführt wird, die der Regierungspartei AKP angehören. Nur drei der betroffenen Gemeinden sind der oppositionellen CHP und eine der prokurdischen HDP zu zuordnen.

Ausländerrechtlich haben die so eingereisten Menschen allerdings ein Problem, denn ein Bleiberecht, geschweige denn eine Arbeitserlaubnis haben sie natürlich nicht. Im Gegenteil: Wenn sie auffliegen, müssen sie mit strafrechtlichen Ermittlungsverfahren rechnen, und zwar sowohl in Deutschland als auch in der Türkei.

Rechtsanwalt Erdem sagt, es habe einzelne Fälle gegeben, in denen die illegal Eingereisten nachträglich Asyl beantragt haben, aber die Erfolgsaussichten schätzt der erfahrene Anwalt nicht sehr hoch ein – auch wenn natürlich jeder Einzelfall sehr genau geprüft werden muss. Die meisten Betroffenen würden wohl versuchen unterzutauchen, Schwarzgeld zu verdienen und dann unauffällig in die Türkei zurückzukommen, vermutet er.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.