AfD-nahe Erasmus-Stiftung: Steuergeld für politische Unbildung
Nach der Wahl könnte die Stiftung der AfD Millionen vom Staat erhalten. Das Personal in Vorstand und Kuratorium zeigt, wie antidemokratisch sie ist.
Klar spitzt die Kampagne etwas zu, aber im Kern stimmt es: Wenn die AfD nach der Wahl ein zweites Mal in den Bundestag einzieht, steht ihrer parteinahen Desiderius-Erasmus-Stiftung nach bestehender Praxis eine staatliche Förderung zu – ebenso wie sie andere parteinahe Stiftungen wie die Friedrich-Ebert-Stiftung der SPD oder die Konrad-Adenauer-Stiftung der CDU in Anspruch nehmen.
Die parteilose Vorsitzende der Erasmus-Stiftung, Erika Steinbach, rechnet im ersten Jahr nach der Wahl mit rund acht Millionen Euro Förderung, im zweiten Jahr gar mit 14 Millionen, wie sie der taz sagte. Die genauer Förderungshöhe ergebe sich aus dem Wahlergebnis der AfD. Zum Vergleich: Die der AfD zustehende Parteienförderung lag 2020 bei 11,8 Millionen Euro.
Fließen soll das Geld in den Aufbau eines AfD-nahen Bildungswerks: Die Stiftung will Politikberatung für AfDler*innen organisieren, Stipendien vergeben und Auslandskontakte pflegen. Steinbach sagt, man habe bereits begonnen, in allen Teilen des Landes Personal für den Aufbau zu suchen.
Steuergeld für einen Rechtsruck in der politischen Bildung
Steinbach ist bemüht, einen handzahmen Eindruck zu vermitteln. „Die Themenpalette ist breit gestreut“, wie sie sagt, „uns geht es um Schulbildung, Hochschulbildung sowie um Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit, aber auch eine Zukunft Deutschlands als Nation.“ Ab dem zweiten Jahr wolle man auch ein Stipendienprogramm aufsetzen, so Steinbach. Man wolle für eine „Erweiterung des Diskurses“ sorgen, weil die Meinungsfreiheit in Deutschland bedroht sei, wie sie behauptet.
Die Stiftung könnte mit dem Staatsgeld Personal einstellen, rechte Karrieren ermöglichen und dabei helfen, extrem rechte Positionen gesellschaftsfähig zu machen und so die AfD weiter zu normalisieren. Steuergeld würde einen Rechtsruck in der politischen Bildung finanzieren, sagen Kritiker*innen. Geld, das der Stärkung demokratischer Parteien und politischer Bildung dienen soll, würde in antidemokratische Strukturen fließen – und dafür sorgen, dass rechtsextreme Inhalte in Hochglanzbroschüren mit intellektuellem Anstrich verpackt würden.
Davon jedenfalls ist ein breites Bündnis von mittlerweile über 80 Organisationen und Initiativen überzeugt, das in einem zivilgesellschaftlichen Manifest vor dem „Stiftungstrick der AfD“ warnt. Beteiligt sind der Zentralrat der Juden, der Deutsche Gewerkschaftsbund, Fridays for Future und viele mehr. Sie fordern ein Stiftungsgesetz für die Förderung parteinaher Bildungsinstitutionen – Geld soll es künftig demnach nur geben, wenn klar sei, dass die Einrichtung sich demokratischen Grundwerten verpflichtet fühlt. Steinbach sagt, sie habe nichts zu befürchten: Ihre Stiftung stünde mit beiden Beinen fest auf dem Grundgesetz.
Hetze, Antisemitismus, Geschichtsrevisionismus
Meron Mendel von der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main ist da anderer Meinung. Er ist Initiator des Protests und beschäftigt sich seit drei Jahren intensiv mit der Stiftung. Er sagt: „Diejenigen, die in der Erasmus-Stiftung sitzen, haben nachweislich keine Qualifikation, um politische Bildung zu machen.“ Inhaltlich erschöpften sich viele Äußerungen von Mitgliedern des Vorstands und des Kuratoriums in Hetze gegen Geflüchtete, Antisemitismus, Sexismus, Homophobie oder Geschichtsrevisionismus. „Es ist in der Verantwortung der neuen Koalition, eine gesetzliche Regelung zu treffen.“
Kritik an mangelnder Transparenz bei der Finanzierung der parteinahen Stiftungen gibt es schon länger. Jährlich werden an diese rund eine halbe Milliarde Euro ausgeschüttet. „Das ist keine Parteienfinanzierung, sondern zweckgebundenes Geld für politische Bildung. Es kann nicht sein, dass Organisationen nicht nachweisen müssen, dass sie den Zweck erfüllen“, sagt Mendel.
Dass die Steuergelder für die Erasmus-Stiftung tatsächlich demokratieförderlich wären, erscheint besonders fraglich, wenn man sich mit den Köpfen in Vorstand und Kuratorium auseinandersetzt. Die Liste problematischer Personen ist lang.
Kurzer, unvollständiger Auszug: Marc Jongen, AfD-Bundestagsabgeordneter, sprach mit Blick auf Geflüchtete von einer „Migranteninvasion“. Vorstand Sebastian Wippel darf laut Landgericht Görlitz als Faschist bezeichnet werden und wünschte Angela Merkel den Tod durch Terror. Das Kuratoriumsmitglied Angelika Barbe beteiligte sich an „Querdenken“-Demos und Kuratoriumsmitglied Karl Albrecht Schachtschneider gehört dem inneren Kreis der extrem rechten Initiative „Ein Prozent“ an.
Verbindungen zum Institut für Staatspolitik
Auffällig sind zudem personelle Kontinuitäten zum geheimdienstlichen Beobachtungsobjekt Institut für Staatspolitik (IfS). Dessen Geschäftsführer Erik Lehnert war bis Mai 2020 auch Vorstand in der Erasmus-Stiftung. Er musste gehen, als der Verfassungsschutz den neurechten Thinktank als rechtsextremen Verdachtsfall einstufte. Inhaltliche Differenzen waren nicht der Grund für seinen Abgang. Das aktuelle Vorstandsmitglied Jan Moldenhauer ist als Referent und Autor auch im Umfeld des IfS zu verorten.
Auch ein mittlerweile ausgetretenes Gründungsmitglied des IfS ist für die Erasmus-Stiftung eine wichtige Personalie: Karlheinz Weißmann dürfte im Kuratorium mitverantwortlich sein für die inhaltliche Ausrichtung. Steinbach sagt der taz, dass Weißmann „durch und durch Demokrat“ sei.
Deutlich anders sieht das Armin Pfahl-Traughber, Extremismusforscher und ehemaliger Referatsleiter für Rechtsextremismus beim Verfassungsschutz. In einem WDR-Feature sagte er: „Weißmann beruft sich auf Jungkonservative der Weimarer Republik. Das ist eine erklärte Strömung des antidemokratischen Denkens.“ Sie orientiere sich an „einer ethnischen Homogenität der Gesellschaft“, die gegen zentrale Prinzipien des Pluralismus verstießen, wozu auch Vielfalt und die Menschenrechte gehörten. „Wenn solche Grundprinzipien geistig abgelehnt werden, sprechen wir von Rechtsextremismus“, so Pfahl-Traughber.
Trotz der Problempersonalien haben SPD und CDU in dieser Legislatur kein Stiftungsgesetz vorgelegt. Wie eine Ausgestaltung aussehen könnte und ob sie im neuen Bundestag konsensfähig wäre, wird sich nach der Wahl zeigen. Grüne und Linke fordern jedenfalls schon länger, dass die Erasmus-Stiftung keine Staatsmittel bekommen soll. Die Grünen haben am Freitag eine parlamentarische Anfrage eingereicht, die der taz vorliegt, und unter anderem nach Erkenntnissen der Bundesregierung zum Personal der AfD-Stiftung und ihrer rechtsextremen Verstrickungen fragt.
Steinbach hetzte gegen Lübcke
Fündig würde die Bundesregierung nicht zuletzt bei der Stiftungschefin Steinbach selbst, die häufig in sozialen Medien rassistische Ressentiments schürt, gegen Minderheiten hetzt oder geschichtsrevisionistische Positionen bezieht. Als das Kind eines AfD-Politikers von einer Waldorfschule abgelehnt wurde, twitterte sie: „Die Kinder von AfD-Mitgliedern sind die neuen ‚Judenkinder.‘“ Für Mendel ist das Holocaustrelativierung.
Steinbach, die 2017 aus der CDU austrat, wurde zudem für den Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke mitverantwortlich gemacht, nachdem sie Hass gegen Lübcke anstachelte. Steinbach weist die Verantwortung von sich und verurteile Extremismus jeglicher Art. Nur wie ein Lippenbekenntnis wirkt die Distanzierung allerdings, wenn man sich Steinbachs Konflikt mit Mendel vergegenwärtigt. Im Zuge ihrer teilweise auch rechtlichen Auseinandersetzung veröffentlichte sie 2019 Gerichtsunterlagen inklusive der Privatadresse von Mendel.
„In dieser Zeitspanne habe ich sehr viele Drohbriefe und Einschüchterungsversuche bekommen. Ich stand im regelmäßigen Austausch mit der Polizei“, beschreibt Mendel die Folgen der Veröffentlichung. Steinbach sagt dazu, dass sie Mendel nicht persönlich habe schaden wollen. Zudem sei auch ihre eigene Adresse auf dem Schreiben gewesen. „Auch ich stand schon mehrfach unter Polizeischutz, die Antifa liebt mich heiß und inniglich“, sagt sie – als wäre das eine Entschuldigung für ihr Verhalten.
Die Kampagne „Kein Geld für die AfD“ hat dazu aufgefordert, Politiker*innen anzuschreiben – damit diese sich gegen eine Förderung der Erasmus-Stiftung einsetzen. Einen Standardbrief hat die Kampagne bereits vorbereitet. Wer weiß – vielleicht überlegen sich Olaf, Armin und Annalena ja doch noch eine passende Antwort.
Korrektur, 14.9.2021: In der ursprünglichen Version des Artikels haben wir Armin Pfahl-Traughber mit einem falschen Begriff zitiert. Er hatte im zitierten WDR-Feature „Pluralismus“ als Merkmal von moderner Demokratie und damit als Abgrenzungskriterium zum Extremismus benannt, nicht „Globalismus“, wie es zunächst in diesem Artikel hieß.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers