AfD mitregieren lassen?: Macht macht mächtig
Eine Regierungsbeteiligung würde die AfD entzaubern? Die FPÖ an der Spitze hat einen anhaltenden Rechtsruck bewirkt, zeigt der Blick nach Österreich.
D ie Debatte über eine mögliche Regierungsbeteiligung der AfD hat für mich als Österreicher etwas von einer Zeitreise. Bald 25 Jahre ist es her, dass die ÖVP gegen große Widerstände eine Koalition mit Jörg Haiders FPÖ gebildet hat. Zentrale Argumente, mit denen damals eine Einbindung der FPÖ befürwortet wurde, werden aktuell in Deutschland recycelt.
Der Trick – wir nennen es „Einser-Schmäh“–, mit dem sich Apologeten extrem rechter Parteien eine gute Ausgangsposition verschaffen, dreht sich um das Wort „Ausgrenzung“: Unermüdlich betonen sie, dass die jeweilige Partei ausgegrenzt wird. In dieser Darstellung ist Ausgrenzung eher etwas, das einem widerfährt, als etwas, das man selbst verursacht. Ausgeblendet wird, dass sich extremistische Parteien durch ihre radikale Agenda de facto selbst ausgrenzen.
In Österreich wurde in den 1990ern vor allem der SPÖ vorgeworfen, eine „Ausgrenzungsstrategie“ gegenüber den Freiheitlichen zu verfolgen. „Ständig dämonisiert“ werde die FPÖ vonseiten der SPÖ, so Andreas Khol, ÖVP-Klubobmann der ersten ÖVP/FPÖ-Regierung. Dass die „Ausgrenzung“ der FPÖ ständigen Zuwachs sichere, war damals gleichsam Common Sense.
Marc Felix Serrao folgt diesem Narrativ in einem Kommentar in der NZZ: Wiederholt schreibt er von einer „Ausgrenzung“ der AfD und beobachtet deren „Dämonisierung“. Zwar bezeichnet er die AfD als „aggressiv und illiberal“, doch gesteht er deren Gegnern nicht zu, dass ihre Ablehnung gut begründet sein könnte. AfD-Kritiker erscheinen bei ihm irrational: Diese ließen sich von „Panik“ statt von „Vernunft“ leiten, hätten einen „Hang zur Hysterie“ und neigten zu „magischem Denken“.
Bemerkenswerte Auslassung in der NZZ
Serrao folgend, könnte man fast meinen, die AfD selbst leiste keinen Beitrag zu der Kritik, die sie auslöst. Für einen Hinweis, dass drei AfD-Landesverbände vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft werden und die AfD im Bund als „Verdachtsfall des Rechtsextremismus“ geführt wird, war im Kommentar kein Platz.
Eine Auslassung, die umso bemerkenswerter ist, als Serrao ein offenes Plädoyer für eine Regierungsbeteiligung der AfD formuliert: „Die Ausgrenzung hat die AfD groß gemacht – wer sie wieder kleinkriegen will, muss sie mitregieren lassen. Je früher, desto besser: bevor die Partei noch mehr Zuspruch erhält.“
Eine Argumentation, die heute genauso daneben ist wie seinerzeit gegenüber der FPÖ: Serrao mag den extremistischen Charakter der AfD unterschlagen, doch hält er sie für problematisch genug, dass „mehr Zuspruch“ verhindert werden sollte. Eine Partei, die besser keinen Zuwachs an Stimmen (und damit Macht) bekommen sollte, eignet sich für die Spitze des Staates?
Österreich ist Avantgarde
Serrao präsentiert der Leserschaft zwei mögliche Folgen, wenn „Rechtspopulisten“ an die Macht gelangen: „Entweder entzaubern“ sie sich oder „sie entradikalisieren sich“. Um seine Hypothese zu untermauern, berichtet Serrao von den Schwedendemokraten, den Wahren Finnen und der Dänischen Volkspartei.
Die FPÖ lässt er aus und verletzt damit meine patriotischen Gefühle. Schließlich ist Österreich Avantgarde, wenn es um die Einbindung rechtspopulistischer Parteien geht. Wir haben schon mit der radikalen Rechten koaliert, als das noch „Sanktionen“ nach sich gezogen hat!
Warum ignoriert Serrao die FPÖ? AfD und FPÖ sind inhaltlich kaum voneinander zu unterscheiden, Österreich bietet sich als „kleiner Bruder“ Deutschlands in jeder Hinsicht als Vergleichsmodell an.
Mangelnde Regierungsfähigkeit und Extremismus waren auch 1999/2000 die zentralen Einwände dagegen, die FPÖ mitregieren zu lassen. Befürworter einer ÖVP/FPÖ-Koalition entgegneten, dass es entweder zu einer Mäßigung oder Entzauberung von Haiders Partei kommen würde. Beide Prognosen haben sich als falsch herausgestellt.
Die FPÖ hat nach der vorzeitig gescheiterten Regierung Schüssel I noch zweimal mitregiert; jede einzelne Koalition war von Skandalen geprägt. Die letzte ÖVP/FPÖ-Koalition endete damit, dass der FPÖ-Vizekanzler Österreich im globalen Maßstab blamierte.
Blamagen sind für Rechts-Wähler*innen irrelevant
Dass sich die FPÖ im Laufe ihrer Regierungsbeteiligungen gemäßigt hätte, behauptet heute niemand. Tatsächlich wurde die Partei zunehmend radikaler. Für ÖVP-Kanzler Karl Nehammer stellt FPÖ-Chef Herbert Kickl ein „Sicherheitsrisiko“ dar. „Ja, auf jeden Fall“ sei Kickl rechtsextrem, so Nehammer. Die FPÖ distanziert sich heute nicht einmal mehr von den Identitären – gemäß Kickl ein „interessantes und unterstützenswertes Projekt“.
Das seinerzeitige Zauberwort von der „Entzauberung“ ist aus dem österreichischen Diskurs ebenfalls verschwunden. Zwar büßte die FPÖ nach jedem Crash Stimmen ein, doch kam sie jedes Mal zurück. Seit Ende 2022 liegt die FPÖ in Umfragen stabil an erster Stelle.
Die Comebacks gelingen immer schneller, die Wählerschaft wird stetig größer. Mehr Entzauberung geht nicht – doch für FPÖ-Wähler*innen scheinen Blamagen und Skandale irrelevant.
Die FPÖ an der Spitze des Staates hat weniger die Freiheitlichen verändert als einen anhaltenden Rechtsruck in Österreich bewirkt. Die Sprachsoziologin Ruth Wodak hält fest: „Was Martin Sellner und die AfD in geheimen Runden besprechen, ist in Österreich die öffentliche Position des aussichtsreichsten Kanzlerkandidaten.“
Am Beispiel Österreich sieht man deutlich, dass eine Regierungsbeteiligung extrem rechter Parteien unerfreulich ausgehen kann. Dies auszublenden und stattdessen hypothetische Vorteile einer AfD-Regierungsbeteiligung zu sehen, grenzt an magisches Denken. Wer es für eine gute Idee hält, die AfD mitregieren zu lassen, sollte einen Blick auf die Verheerungen werfen, welche die FPÖ in der Regierung hinterlassen hat.
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