AfD-Scheitern in Schleswig-Holstein: Tag der Befreiung
In Kiel ist die AfD gescheitert – und erstmals überhaupt aus einem Landtag geflogen. Innerhalb der Partei verhärten sich nun die Fronten.
Nur 4,4 Prozent der schleswig-holsteinischen Wähler*innen haben die AfD gewählt. Der Landtag ist somit von der Partei befreit. Der Rückgang von 1,5 Prozentpunkten entspricht über einem Viertel der bisherigen Stimmen – die meisten sind zur CDU abgewandert, die sich hier modern gibt und nach rechts abgrenzt.
Viele freute das – zumal an diesem Datum. Die Niederlage der AfD „zählt zu den besten Nachrichten des gestrigen Wahltags“, sagte Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, „diese Partei, die der Verfassungsschutz als rechtsextremen Verdachtsfall beobachten darf, schadet nach meiner Auffassung unserer Demokratie und hat in den Parlamenten nichts verloren.“ Er forderte Wähler*innen in Nordrhein-Westfalen auf, sich an Schleswig-Holstein ein Vorbild zu nehmen – dort wird am kommenden Sonntag gewählt.
Ergebnis verhärtet die Fronten
In Parteikreisen fürchten nicht wenige genau dies: Dass von der Wahlniederlage in dem kleinen Bundesland nur eine Woche vor der wichtigsten Landtagswahl in NRW eine negative Sogwirkung ausgehen könnte. In NRW liegt sie in Umfragen zwischen 6 und 8 Prozent.
In jedem Fall verhärtet das Ergebnis in der Partei nachhaltig die Fronten und verschärft den ohnehin zunehmend eskalierenden Ost-West-Konflikt, der oftmals analog zur strittigen Haltung zu Russlands Krieg verläuft. Nicht wenige sprechen sogar davon, dass der Osten die Wahl sabotiert habe, weil der thüringische Landeschef und Rechtsextremist Björn Höcke kurz vor der Wahl öffentlich mit seiner eigenen Kandidatur für den Bundesvorstand geliebäugelt hatte und gewissermaßen als faschistisches Schreckgespenst die angeblich bürgerliche AfD-Wählerschaft in Schleswig-Holstein vergrault habe.
Viele halten Chrupalla für unfähig, die Partei zu führen, und für intellektuell überfordert. Allein wagt sich keiner so richtig hervor, um diesen vor dem Parteitag im Juni herauszufordern. Der immerhin mit Chrupalla zusammen im Vorstand der Bundestagsfraktion sitzende Norbert Kleinwächter sagte dem RND, dass die Parteispitze dringend „neue Köpfe“ brauche – mit bestem Gruß an den Parteivorsitzenden Chrupalla.
Die Völkischen, deren Wunschkandidat Chrupalla stets war, deuteten die Wahlniederlage vielmehr als Schwäche der westlichen Landesverbände um und leiten daraus einen Machtanspruch ab, zumal die AfD in Sachsen und Thüringen derzeit stärkste Kraft in Umfragen ist. Chrupalla machte die Niederlage dann auch routiniert am Dauerstreit der AfD Schleswig-Holstein fest, sprach von mangelnder Unterscheidbarkeit sowie fehlender Disziplin.
Vor der verkorksten Saarlandwahl hatte Chrupalla noch geschimpft, dass er doch auch nichts dafür könne, wenn der Westen es einfach nicht hinbekomme. Viele Expert*innen sehen die AfD auf dem Weg zu einer im Osten verankerten völkischen Regionalpartei, die im Osten starke Wahlergebnisse einfährt und im Westen mit der Fünfprozenthürde kämpft.
Niemand fühlt sich verantwortlich
Verantwortung für die Niederlage wollte niemand übernehmen. Und so sprach es auch Bände, dass die geplante gemeinsame Pressekonferenz von Chrupalla und dem schleswig-holsteinischen Spitzenkandidaten Jörg Nobis am Montagvormittag erst verschoben und dann ganz abgesagt wurde. Nobis hatte sich angeblich verspätet, Chrupalla wollte sich ohnehin nur digital zuschalten lassen, weil er die 2G-Voraussetzungen nicht erfüllte. Und so platzte der Termin, mit teils widersprüchlichen Erklärungen der AfD, obwohl die Partei selbstverständlich mit Alice Weidel, Beatrix von Storch und Stephan Brandner gleich drei Vize-Vorsitzende hat.
Klar war letztlich: Öffentlichkeit war nach dem Wahldebakel unerwünscht. Zumal öffentliche Auftritte von Chrupalla nebst kruder Aussagen zum Ukrainekrieg zuletzt die Sorgenfalten bei vielen AfD-Mitgliedern im Westen vertieft hatte. So lähmt die Russlandfrage weiter die AfD und überlagert fast alles – womöglich auch die NRW-Wahl.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott