Äußerungen zum Überfall auf Ukraine: Russischer Kommunalpolitiker erneut verurteilt
Weil er Russlands Ukraine-Überfall „Krieg“ nannte, wurde Bezirkspolitiker Alexei Gorinow 2022 zu sieben Jahren Haft verurteilt. Nun folgte ein neues Urteil.
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„Für mich sind der Irrsinn und das Verbrechen dieses Krieges so klar, dass ich außer diesem Irrsinn und dieses Verbrechens nichts darin erkennen kann“, zitiert er den großen russischen Dichter Lew Tolstoi in seinem Letzten Wort. Doch selbst dabei unterbricht ihn der Richter Roman Wladimirow und geht in seine Pause.
Gorinow fährt einfach fort. Er bittet die Ukrainer*innen um Entschuldigung, sagt, seine Schuld bestehe einzig darin, dass es ihm nicht gelungen sei, diesen Krieg zu stoppen. „Gewalt gebiert Gegengewalt. Das ist der wahre Grund für all unser Elend.“ Wladimirow verurteilt ihn kurze Zeit später zu drei Jahren Straflager – wegen „Rechtfertigung von Terrorismus“.
Alles mit allem aufgerechnet muss Gorinow noch fünf Jahre in der Strafkolonie des sogenannten „strengen Regimes“ für „Wiederholungstäter“ verbringen. Hier sind die Rechte und die Bewegungsfreiheit von Häftlingen noch eingeschränkter.
Bewusstes Abhören in Zelle
Der 63-Jährige hatte sich in seiner Strafzelle mit anderen Gefangenen über den Anschlag auf die Krim-Brücke und die ukrainische Asow-Einheit unterhalten. Diese Gefangenen waren mit Aufnahmegeräten extra in seine Zelle gesetzt worden, um den Moskauer zu denunzieren. Der Gerichtsprozess war wieder einmal eine Farce, die Aussagen der „Mitgefangenen“ ähnelten sich aufs Wort.
Das Gericht warf Gorinow vor, die ukrainische Armee nicht genug verurteilt zu haben und somit einer „nationalistischen Ideologie“ anzuhängen. „Ich bin gegen den Krieg. Ich habe nichts mit Terrorismus zu tun“, sagte er während des Prozesses immer wieder.
Es war dieses Wort – „Krieg“ –, das den Moskauer bereits im Juli 2022 ins Straflager brachte. Er war der erste, den Russlands willfährige Justiz wegen des Paragrafen 207.3 verurteilte. Sieben Jahre Haft wegen „Verbreitung falscher Informationen über die russische Armee“, eines Gesetzes, das erst nach dem russischen Überfall der Ukraine geschaffen wurde und seitdem praktisch gegen alle eingesetzt werden kann, die den russischen Angriff auf die Ukraine verurteilen.
Gorinow hatte sich als Lokalabgeordneter in seinem Stadtteil Krasnoselski im Nordosten der russischen Hauptstadt im März 2022 gegen die Ausrichtung eines Malwettbewerbs für Kinder ausgesprochen. „Wie kann man einen solchen Wettbewerb veranstalten, während in der Ukraine, unserem souveränen Nachbar, durch die Aggression unseres Landes Kinder getötet werden und zu Waisen gemacht werden?“, hatte Gorinow bei einer Haushaltssitzung gefragt – und büßt für seine Worte standfest ein.
Gesundheitszustand verschlechtert sich
Das Regime lässt kaum etwas aus, um den Gewissensgefangenen zu quälen. Es sperrt ihn zuweilen in Einzelhaft ein, lässt seine Anwälte nicht zu ihm, nimmt ihm Decken weg und lässt nicht zu, dass er sich aus der Gefängnisbibliothek Bücher ausleihen kann.
Bereits bei seiner Verhaftung hatte Gorinow nur noch einen Teil seiner Lunge. In der Strafkolonie verschlechterte sich seine Gesundheit weiter. „Mein Großvater war repressiert, sein Vater wurde von den Geheimdiensten erschossen. Da ist sie, die Verbindung zwischen den Generationen, wir drehen uns seit 100 Jahren im Kreis“, sagt Gorinow vor der Urteilsverkündung am Freitag – und holt nach der Urteilsverkündung wieder sein selbst geschriebenes Plakat aus: „Hört auf zu töten. Lasst uns den Krieg stoppen.“
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