Ängste im Alter: Mann gegen Maus
Mit dem Alter überkommt den Andro die Angst. Vor allem vorm Klimawandel, vor Menschenmengen, manchmal sogar vor Eichhörnchen.
I ch gehe seit Jahren kaum noch auf Konzerte, und als ich im Columbia Club in der Menge stehe, weiß ich auch sofort wieder, warum. Es ist eng, es ist dunkel, es ist laut. Ich muss stehen, lange. Mein Rücken tut weh, jetzt schon. Das Konzert hat noch nicht mal angefangen.
Und dann schubst mich noch ein Mädchen von vielleicht fünfzehn oder fünfunddreißig Jahren – so genau kann ich das nicht mehr unterscheiden. Ich verschütte das halbe Bier und falle beinah eine Stufe hoch, obwohl ich etwa doppelt so schwer bin. Aber ich habe einfach nicht damit gerechnet. Denn heute sind die Käfer des Waldes, der Wiese und des Küchenschranks meine besten Freunde und die Paten meines Temperaments. Lärm, Gewalt und ruckartige Bewegungen sind längst aus meinem Leben verbannt.
Warum drängeln die Leute so? Man muss doch rücksichtsvoll miteinander umgehen. Ich merke, dass ich schon wieder verdächtig nah am Wasser gebaut habe. Ich will nach Hause. Ich verstehe das alles nicht mehr. In erster Linie aber habe ich Angst. Das macht die Andropause.
Es ist dieser ewige Kampf Mann gegen Maus in mir, den die mutige Maus nun wohl endgültig verloren hat. Ständig habe ich vor praktisch allem entsetzliche Angst: Inflation, Ausländer, Frauen. Deflation, Inländer, Männer. E-Roller, Deoroller. Haarausfall, Haareinfall. Unisex, Schulsex, Bürosex. Zukunft, keine Zukunft.
Der alternde Mann hat es weniger leicht, als viele denken. Die Hormone spielen verrückt, der Andropausenclown versteht die Welt nicht mehr. Die Frau ist weg, und sein bester Freund ist der Urologe. Alle Folgen der Kolumne "Andropause" gibt's hier.
Wir Andros haben die Welt vernichtet
Sobald ich auch nur das Haus verlasse, packt mich die Furcht, von Kindern, Hunden oder Eichhörnchen plattgemacht zu werden; wenn ich im Bett liege, habe ich Angst, dass ich gleich schon wieder aufs Klo muss. Und jetzt auch noch das Klima. Unsere Mütter, unsere Väter haben wenigstens nur Europa zerstört, und, schenkt man einer deutschen Fernsehserie Glauben, auch das wohl eher aus Versehen. Wir Andros haben jedoch die ganze Welt vernichtet. Das macht mir Angst.
Im Grunde ist Altersangst eine Form der Überforderung. Wie ein uraltes Kleinkind greine ich permanent vor mich hin, weil ich nicht mehr begreife, was um mich herum geschieht. Und wie ein rechtsliberaler Kolumnist will ich bloß, dass alles so bleibt, wie es immer war. Was deshalb ein wenig absurd wirkt, weil ich das eigentlich nie gut fand: Schwarze Pädagogik, schwarze Klamotten und schwarze Grillwurst – schon die Jugend des Boomers roch nach Tod.
Allerdings ist Angst auch die einzige Würze in der faden Suppe des Alters. „Adrenalin ist ein Jungbrunnen“, pflegt mein Urologe Zbigniew zu sagen und fordert mich auf, meine Ängste zuzulassen. Wann spüre ich schließlich sonst noch, dass ich lebe, außer wenn ich weine oder wütend bin? Angst ist in einem Alter, in dem man abends zum Einschlafen Kaffee trinkt, der letzte verlässliche Fitmacher.
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