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Ägyptens Friedensplan für NahostNeue Roadmap zu Weihnachten

Was der ägyptische Vorschlag zur Befriedung des Gazakriegs beinhaltet – und warum Hamas und Teile des israelischen Sicherheitsapparates ihn ablehnen.

Am Rande einer Beerdigung für Opfer israelischer Luftangriffe im Süden des Gazastreifens Foto: Ibraheem Abu Mustafa/reuters

Er ist eher kühne Vision als auf breitem Konsens aufgebaut: Der ägyptische und von Katar unterstützte Vorstoß zu einem Waffenstillstand – der gar den Weg zu einem Frieden zwischen Israel und den Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen ebnen könnte. Der Plan, den Ägypten Israel, der Hamas, den USA und den europäischen Regierungen am Montag vorlegte, ist nicht öffentlich einsehbar, doch die Inhalte kursieren in verschiedenen Medien.

Im ersten Schritt sieht Kairo laut diesen Berichten eine zweiwöchige Unterbrechung der Kämpfe vor. Während dieser Zeit sollen 40 israelische Geiseln gegen 120 palästinensische Inhaftierte in israelischen Gefängnissen getauscht werden. Außerdem soll humanitäre Hilfe in den Gazastreifen gelangen.

In der zweiten Phase soll ein Gespräch zwischen den verfeindeten palästinensischen Fraktionen stattfinden, das auf eine Versöhnung von Fatah und Hamas abzielt und auf die Bildung einer technokratischen Regierung im Westjordanland und im Gazastreifen. Diese soll unter der Aufsicht internationaler Kräfte gebildet werden und den Wiederaufbau des Gaza­strei­fens beaufsichtigen sowie den Weg zu palästinensischen Wahlen ebnen.

In der dritten Stufe soll ein umfassender Waffenstillstand folgen. Die verbliebenen israelischen Geiseln, einschließlich der Soldat:innen, sollen freigelassen werden – im Gegenzug für eine noch nicht definierte, aber wohl sehr hohe Anzahl von palästinensischen Inhaftierten in israelischen Gefängnissen, die der Hamas und dem Islamischen Dschihad nahestehen. Schließlich würde Israel sein Militär aus dem Gazastreifen abziehen.

Kein Existenzrecht der Hamas

Hamas und Islamischer Dschihad wiesen den Vorstoß Ägyptens laut Medienberichten am Montag zurück. Sie lehnten, so ließen sie verlauten, alle Zugeständnisse, die über die Freilassung der Geiseln hinausgehen, ab. Einer der zentralen Streitpunkte ist wohl die Beschaffenheit der vorgeschlagenen Technokratenregierung. Zwar beinhaltet der Plan die Zusicherung einer Amnestie für alle Hamas-Mitglieder. Doch die Hamas dürfte befürchten, dass sie damit die Kontrolle über den Gazastreifen verlieren und sie in das Ende ihrer Existenz einwilligen würde.

Aus Israel kam keine offizielle Absage. Doch die Zeichen waren deutlich. Netanjahu betonte am Montag gegenüber Sol­da­t:in­nen im Gazastreifen, dass Israel seine Militäroffensive nicht beenden werde, bis die Hamas zerschlagen ist.

Genau dieses von Regierungschef Netanjahu immer wiederholte Kriegsziel würde mit dem ägyptischen Vorschlag scheitern – nicht nur, weil der Vorschlag die Unversehrtheit von Hamas-Kämpfern garantiert, sondern auch, weil die Sorge herrscht, dass die Hamas unter dem Deckmantel einer technokratischen Regierung den Gazastreifen weiter kontrollieren könnte.

Außerdem wäre ein weiteres Ziel mit dem Vorschlag gescheitert: Netanjahu hatte mehrfach betont, dass Israel für einen längeren Zeitraum nach dem Krieg die Kontrolle im Gazastreifen behalten würde. Der Plan sieht jedoch den kompletten Abzug der israelischen Streitkräfte vor.

Netanjahu lässt die Muskeln spielen

Doch die Ablehnung des Plans ist zumindest unter israelischen Sicherheitsbeamten nicht absolut. Nach Medienberichten würden sie den Vorschlag als Grundlage für weitere Verhandlungen betrachten. Ob diese Verhandlungen unter Netanjahu geführt werden können, ist zu bezweifeln. Angesichts des massiven innenpolitischen Drucks ist er in den Wahlkampfmodus gewechselt, wettert gegen die Zweistaatenlösung und ließ in einem am Montag veröffentlichten Kommentar im Wall Street Journal weiter seine Muskeln spielen.

Seine Bedingungen für Frieden: „Die Hamas muss zerstört, Gaza entmilitarisiert und die palästinensische Gesellschaft entradikalisiert werden.“ Dabei ging er mit keinem Wort auf die israelischen Geiseln ein, deren Schicksal die israelische Gesellschaft spaltet – und genauso wenig auf die Möglichkeit eines palästinensischen Staates.

Doch ohnehin stellt sich die Frage, ob nicht bald jemand anders die Geschicke des Landes lenken wird. Zum ersten Mal seit dem Beginn des Krieges forderten am Samstagabend Tausende in Tel Aviv und im Norden Israels ein Ende der Netanjahu-Regierung. Bislang hatten die Geiseln im Fokus der Proteste gestanden.

Organisiert wurden die regierungskritischen Proteste maßgeblich von Be­woh­ne­r:in­nen der nördlichen Ortschaften an der Grenze zum Libanon, die vor mehr als zwei Monaten aus dem Zentrum des Landes evakuiert wurden und angesichts der täglichen Raketenangriffe noch immer nicht zurückkehren können. Sie fühlen sich vom Staat im Stich gelassen.

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2 Kommentare

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  • Die Zwei-Staaten-Idee ist keine Lösung, das zeigt die Geschichte.



    Nur 1 gemeinsamer Staat mit muslimischen Israelis in Regierung und Armee sehe ich als realistisch an.

    • @Kasimir_Affe:

      Das zeigt die Geschichte:

      Als die Römer (lang ist's her) die Region besetzten, nannten sie diese, nach der für sie offensichtlich bedeutendsten, dort ansässigen, Bevölkerungsruppe Judäa (Land der Juden). Nachdem die römischen Besatzer die Juden im zweiten Jahrhundert massakriert oder vertrieben hatten, weil sie ihnen zu aufmüpfig geworden waren, benannten sie die Region in Palaestina um, abgeleitet von den Philistern, die ebenfalls dort siedelten. Mit Arabern hatten die allerdings absolut nichts zu tun. Sie stammten eher aus dem nördlichen und/oder westlichen Mittelmeerraum. Seitdem gab es dort nie(!) einen eigenständigen Staat, bis der Staat Israel 1948 im Einvernehmen mit den Vereinten Nationen gegründet wurde. Auch die arabisch/muslimische Bevölkerung hätte in den vorwiegend von ihr besiedelten Gebieten einen Staat gründen können.

      1945 lebten in der Gesamtregion Israel/Palästina ca. 1.000.000 Moslems, gut 500.000 Juden und rund 250.000 Christen. Davor war Region noch weitaus dünner besiedelt und stand immer unter der Kontrolle irgendwelcher Besatzungsmächte. Nach dem ersten Weltkrieg waeen es die Briten, davor mehrere Jahunderte lang die Osmanen (auch keine Araber).

      Solange es in der Region in größerer Zahl bewaffnete religiöse Fanatiker gibt, die einen islamischen Gottesstatt errichten wollen und bereit/willens sind, alles aus dem Weg zu räumen, was ihnen dabei im Weg steht (am Ende sind das nicht "nur" die Juden), gibt es keine Lösung.

      Ein gemeinsamer Staat ist völlig unrealistisch. Die Juden wären dort in spätestens 10 bis 20 Jahren in der Minderheit und müssten letztlich ihr westlich orientiertes Selbstverständnis opfern.

      Aber natürlich müssen auch die Hardliner in Israel "entmachtet" werden, die einem Nebeneinander von zwei Staaten im Weg stehen.

      Zugriff auf den "längsten Hebel" haben zur Zeit arabische Nachbarstaaten, die auch nicht an einem Hamas-Staat interessiert sind (sein können).