Actionfilm und die US-Realität: Gegen die Zukunft
Der Action-Verwirrfilm „Tenet“ von Christopher Nolan sollte vergangenes Jahr das Kino retten. Jetzt lehrt einen die DVD-Version das Fürchten.
Der Regisseur Christopher Nolan ist bekannt für ungewöhnliche Zeitkonstruktionen. Sein Film „Memento“ aus dem Jahr 2000 etwa folgt einer Chronologie, in der die Geschichte, im Wechsel von Szene zu Szene vorwärts wie rückwärts erzählt wird. In der Mitte des Films treffen sich kurz beide Richtungen. In „Tenet“, seinem jüngsten Streich, hat sich die Zeitebenenverquickung noch einmal kräftig verdichtet. Hier läuft die Zeit in den meisten Szenen simultan vorwärts und rückwärts.
Mit überraschenden Konsequenzen wie Gefahren aus der Zukunft. Von denen erfährt der von John David Washington verkörperte Protagonist, der lediglich „Der Protagonist“ heißt, während seines CIA-Einsatzes, der wie der Filmtitel nach dem Palindrom „Tenet“ benannt ist. Welcher Lehrsatz, welches Axiom sich genau hinter dem Ausdruck verbirgt, ist nicht unbedingt entscheidend.
Was der Protagonist in dieser Geschichte aber lernt, ist, der Zeit als etwas Gegebenem zu misstrauen. Oder vielmehr der sich stur in eine Richtung abspulenden Zeit, wie die landläufige Vorstellung des Chronologischen geht.
Verstörende Wirkung
Denn die Gefahren lauern nicht einfach in der Zukunft, wie zum Beispiel die Klimakatastrophe oder das langfristig absehbare Ende des Lebens auf der Erde, sondern kollidieren durchaus schon mal mit der Gegenwart. Kugeln fliegen aus Einschusslöchern in Pistolen, von Bomben hervorgerufene Detonationslöcher in Gebäuden schließen sich wieder und dergleichen mehr.
„Tenet“. Regie: Christopher Nolan. Mit John David Washington, Robert Pattinson u. a. Großbritannien/USA 2020, 150 Min. Auf DVD
Was wie das Gedankenspiel eines Physikers mit Vorliebe für Action-Krawumm wirkt, hat bei aller spinnerten Anmutung eine heftig verstörende Wirkung. Die Zeit ist ziemlich kräftig aus den Fugen geraten, dieser Eindruck entsteht auch ohne die Kenntnis dessen, ob der in „Tenet“ präsentierte Zeitmatsch einer strengen gedanklichen Prüfung standhält.
Was die Verstörung des Films, der inzwischen auf DVD erschienen ist, gerade in diesen Tagen womöglich größer ausfallen lässt als zum Kinostart im vergangenen Sommer, sind die Ereignisse von vor zwei Wochen am Washingtoner Kapitol, die trotz eines allgemeinen Unbehagens beim Gedanken, wie das Ende der Amtszeit Donald Trumps verlaufen würde, allemal unerwartet waren und jenseits der Grenzen der eigenen Vorstellung lagen.
Im Unterschied zum Protagonisten in „Tenet“ und seinem CIA-Kollegen Neil, gespielt von Robert Pattinson, steht weder den Demokraten noch sonst jemandem der Weg der Zeitumkehrung zwecks Krisenintervention offen. Bis auf Weiteres bleiben allein die rechtlichen Mittel der parlamentarischen Demokratie, gegen die der Sturm auf das Kapitol sich richtete.
Was allerdings ernsthaft Angst macht, ist die Ähnlichkeit des Schurken Sator (Kenneth Branagh) aus „Tenet“ mit Trump in einem Punkt. Beide scheinen der keineswegs neuen Fantasie anzuhängen, alle anderen mit in den Untergang reißen zu müssen. Für die Amtseinführung Joe Bidens hilft da nur Vertrauen in die Festigkeit des Gewebes der US-Verfassung.
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